Sex Pistols Print gegen God Save the Queen
Peter Mulhy / AFP / picturedesk.com
Aufstand und Aneignung

Die Queen als Ikone

Die erste Königin der Popkultur sei Elizabeth II. gewesen, liest man in den Nachrufen zum Tod der Queen. Auch die, die sich in der Populärkultur gegen die Königin aufgelehnt haben, von den Sex Pistols bis zu den Smiths, konnten sich dem Faszinosum der britischen Krone nicht entziehen. Und bestätigten alle Insignien des Königshauses. Dabei erinnert das Haus Windsor durchaus an die späten Habsburger.

Zweifellos: Es gibt naheliegendere Gedanken als die eines Vergleichs der Gefühle, die momentan dem Ableben der britischen Königin entgegengebracht werden mit einer Spät-Habsburger-Sentimentalität. Strukturell ist die Bewunderung für ein Königreich (oder wie im Habsburger Fall: für ein Kaiserreich) durchaus artverwandt. Waren für die Habsburger in Wien die Napoleonischen Kriege und die Neuordnung Europas die große Zäsur, so betrat Elisabeth II. im Jahr 1952 den Thron, als die Idee des British Empire der Vorstellung eines vielfältigeren Commonwealth weichen musste. Vielvölkerstaaten mit einst größerer Macht charakterisiert beide „Reiche“.

Indien war drei Jahre davor unabhängig geworden, und die „London Declaration“ hatte eine Neuausrichtung des ehemaligen Empires zur Folge. Bei ihrer Thronbesteigung war ihre Rolle als Staatsoberhaupt verschiedener unabhängiger Staaten eigentlich vorgezeichnet, aber noch nicht geübt. Elizabeth sollte diese Rolle nicht zuletzt bei ihren zahlreichen Auslandsreisen erlernen (möglicherweise nicht immer von ihrem Ehemann Prinz Philip in allen Finessen fein unterstützt).

70 Jahre Thronjubiläum bestrahlter Buckingham Palace bei Nacht
Hannah McKay / AFP / picturedesk.com
Bilder von der Feier des 70. Thronjubiläums der Queen im Sommer 2022

Die Zeit des Empires war Geschichte

Schon die Sueskrise (1956/57), Elisabeths erste außenpolitische Bewährungsprobe, mag man als ein Art „Königgrätz“ für die Idee einer Weltmacht ansehen: Der Sturz des auch als „Hitler vom Nil“ apostrophierten ägyptischen Staatschefs Gamal Abdel Nasser nach dessen Verstaatlichung des Sueskanals war damals trotz gemeinsamer Intervention mit Frankreich misslungen; und damit so etwas wie der koloniale Zugriff gegen die Ausgleichsinteressen im Kalten Krieg vorbei. Als Ronald Reagan der Queen trotz zweier vorangegangener Treffen 1982 und 1983 nicht einmal mitteilte, dass die USA auf der zum Commonwealth zählenden Karibik-Insel Grenada landen würden, konnte sie das nur mit Grollen zur Kenntnis nehmen.

Die Queen in Wien 1969

In ihrer 70-jährigen Regentschaft hat Queen Elizabeth nur einmal offiziell Österreich besucht. Im Mai 1969 war die Monarchin unter anderem zu Gast in Wien.

Großbritanniens außenpolitischer Einfluss war geschwunden, das Königreich später zu einer Art „Mitmachnation“ geworden – man denke nur an die Zeit von Tony Blair und dessen Verhältnis zu den US-Militärinterventionen. Alleine Margaret Thatcher und der Falkland-Krieg könnten hier als Gegenbeispiel, das durch dessen Bedeutsamkeit dann vielleicht doch keines sein kann, herhalten.

„Die erste postkoloniale Monarchin“

„So gesehen war Elizabeth also die erste postkoloniale Monarchin des Vereinten Königreichs, gemessen lächelnde Zeugin des Verfalls britischer Macht, verlässliche Konstante der Aufrechterhaltung der zunehmend sinnlosen Insignien jener verfallenen Macht“, schrieb zuletzt der England-Kenner Robert Rotifer in seinem Beitrag zum Verhältnis von Queen und Popkultur auf fm4.ORF.at.

Dass die Insignien der Macht der Königin als durchaus Bedeutung tragend interpretiert wurden, zeigt aber der Umgang mit der Queen, nicht zuletzt auch der Gegenkultur. Der einstige Ober-Queen-Kritiker, John Lydon alias Johnny Rotten sandte ihr ein „Rest in peace“ hinterher, nachdem er seinen einstigen Zorn schon zum Platinthronjubiläum der Monarchin zurückgelegt hatte und zwischen Funktion und persönlichem Leben unterschieden sehen wollte.

Vivian Westwood und die Queen 1999
Fiona Hanson / EPA / picturedesk.com
Mut zur Farbe: Vivienne Westwood trifft 1999 die Queen

„Ein von Nostalgie ertränktes Land“

1977 reimte die Hymne „God Save the Queen“ bei den Pistols noch auf „fascist regime“. „‚God Save the Queen‘ war schockierend, nicht nur weil es sagte, dass die Gegenwart eine Lüge war, sondern auch weil es eine erbärmliche Zukunft voraussagte. In einem von Nostalgie ertränkten Land war das ein ernsthafter Etikettenbruch“, zitiert Rotifer das bekannte Buch des Musikers und Musikkritikers Jon Savage, „England’s Dreaming“ (1991), das auf die Liedzeile der Pistols „There ain’t no future in England’s dreaming“ Bezug nimmt.

Cover des Smiths Album The Queen is Dead
Warner Music
The Smiths und das Cover zu ihrem 1986er Album „The Queen Is Dead“: Damals war auch Margaret Thatchers Stern über dem Zenit.

Eine Premierministerin als Gegenqueen?

Als die Smiths 1986 ihr legendäres Album „The Queen Is Dead“ veröffentlichten, das momentan auch in keinem popkulturellem Nachruf zu Elizabeth II. fehlen darf, war schon Thatcher die Premierministerin des Landes. Diese hätte selbst der späte Morrissey nicht rechts überholen können. Aber dass man die Königin just in dem Moment für tot erklärt, als die erste Premierministerin des Landes im Bereich der Symbolpolitik alles tut, genau jene Wiedererkennbarkeit der Königin auf allen Ebene zu wiederholen, mag man für eine besondere Pointe der britischen Geschichte halten – Handtasche, Frisur, Kleidung, alles war bei Thatcher genau so stabil wie bei Elizabeth.

„So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht", hatte Thatcher 1987 gesagt. Und man könnte darin auch eine Antwort auf Labour und den Aufruhr des Punk der 1970er Jahre erkennen. Und ohne Handtasche wäre Thatchers Furor gegen die EU („I want my money back“) nur die halbe Miete gewesen.

Queen Elizabeth II. und Margaret Thatcher im Jahr 2000 bei einer Ausstellungseröffnung in London
Fiona Hanson / EPA / picturedesk.com
Dresscode und Wiedererkennbarkeit: Queen Elizabeth II. und Margaret Thatcher im Jahr 2000 bei einer Ausstellungseröffnung in London

Gegenkultur und royale Symbole

Die Gegenkultur hatte zu diesem Zeitpunkt ohnedies schon alle Insignien der royalen Macht zu ihren eigenen gemacht. Heute würde man es als eine Form der Aneignung bezeichnen. Bei Vivienne Westwood, der Ex-Frau des Sex-Pistols-Managers Malcolm McLaren, kreist der Ring des Saturns um den Reichsapfel der Königin. Als die Modemacherin aus dem Stall des Punk im März 1999 auf die Königin traf, überboten sich beide geradezu in der Farbigkeit ihrer Tweeds – bei Westwood waren alleine die Schuhe avantgardistischer.

Man mag heute den Namen der Band Queen und eingedenk der mittlerweile bekannten sexuellen Orientierung ihres Sängers als genderpolitische Pointe lesen, Ende der 1970er und Anfang der 80er Jahre half dieser Mainstream-Act mit, die Insignien der Krone sehr breit in die Populärkultur zu transportieren. Union Jack, Fliegerwappen, Krone, all diese Symbole Britannias sind bis zur grenzenlosen Undifferenzierung popkulturell in die Welt getragen worden. Und die Queen wurde mit zur Ikone dieses Trends, selbst als man sich gegen sie auflehnte.

Kleiderhaken im Haus Westwood. Um den Reichsapfel kreist der Ring des Saturn
heid/ORF.at
Kleiderhaken im Haus Westwood. Um den Reichsapfel kreist der Ring des Saturn.

God save the …

Britische Fußballfans, die im Core sicher nicht dem Royalismus zuzurechnen sind, treten schon aus patriotischen Gründen mit allen Insignien auch des Königshauses auf. Als der harte Kern der Rapid-Fans im Frühjahr 2022 im London Stadium im Europacup-Match gegen Westham United ein breites Banner mit dem Slogan „God Save the Ultras“ aufzog, war das ein klarer Fall von Majestätsbeleidigung, der die Fans eines Londoner Arbeiterfußballclubs in helle Empörung versetzte.

Ultras Rapid in London mit Transparent God Save the Ultras
Ausschnitt Webseite Ultras Rapid
Pointiert gesetzter Nadelstich: Ein Plakat der Rapid Ultras wird im Frühjahr zum roten Tuch im London Stadium

Die Wiedererkennbarkeit der Macht

„Die Wiedererkennbarkeit garantiert die Insignien der Macht“, erinnert der Kulturwissenschaftler Johannes Domsich in einem Gespräch mit ORF.at zum Ableben der Queen. Wesentlich sei eben der Faktor der Stabilität, der sich in einem Herrscherbild, wie es von der Queen eben in 70 Jahren in Umlauf gewesen sei, verbürge. „Die Queen steht für die letzte Illusion, die Idee einer Weltherrschaft“, so Domsich, der daran erinnert, dass man sich gerade in Europa in „postrevolutionären Zeiten“ nicht mehr an die Bedeutung des Herrscherbildes erinnern könne.

„Man hat sehr stark vergessen, was die Funktion von Monarchen ist“, so der Kulturwissenschaftler: „Sie sind Identifikation einer Nationalstaatlichkeit, also das, was die Engländer unter ihrer Welt verstehen.“ Und wesentlich sei dabei auch das Moment der Identifikation mit der Macht: „So wird die Herrscherin zu einer Figur der Identifikation, die aber über den Menschen und ihrem Alltag steht, zugleich aber mit den Menschen gerade auch über kleine, wiedererkennbare Gesten verbunden ist.“

Briefmarken mit der Queen
Martin Keene / PA / picturedesk.com
Ikonografie der Wiedererkennbarkeit – auch bei den Marken

Über Jahre habe die Queen ihr Aussehen, ihre Frisur nicht geändert – „damit hat sie zum Abbild ihrer selbst gepasst, wie es auf Geldscheinen, Münzen oder auch Briefmarken verbreitet wurde“. „Die Darstellung des Herrschers oder der Herrscherin auf dem Geld hat letztlich eine Funktion: zu signalisieren, das ist das richtige Geld. Und auch dass man über diesen Herrscher und diese Herrscherin miteinander verbunden ist“, so Domsich. Elizabeth sei letztlich für eine Einigkeit gestanden, die es schon lange nicht mehr gegeben habe, so Domsich.

4,5 Milliarden neue Geldscheine

Wenn jetzt eine neue Zeit in der Geschichte der britischen Monarchie anbricht, bedeutet das auch: Alleine 4,5 Millionen Pfund-Scheine mit dem Bild der Monarchin müssen aus dem Verkehr genommen und durch das Bild eines neuen Monarchen auf diesem Geld ersetzt werden.