Türkeis Präsident  Recep Tayyip Erdogan
AP/Turkish Presidency
Streit Athen – Ankara

Erdogans Spiel mit Athen

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei hat sich in den letzten Wochen erneut aufgeschaukelt. Das Verhältnis zwischen Athen und Ankara ist wegen einer Reihe von Konflikten auf einem Tiefpunkt. Von den Vorwürfen gegenseitiger Luftraumverletzungen über die Militarisierung griechischer Inseln in der Ostägais bis hin zu türkischen Erdgasbohrungen im Mittelmeer reichen die Streitpunkte der beiden Nachbarn. Dazu kommt in der Türkei noch eine rasante Inflation – und das vor dem Superwahljahr 2023.

Fast täglich gibt es zudem Aufklärungsflüge beider Länder vor allem rings um die griechischen Inseln nahe der türkischen Küste. Die Regierung in Ankara hatte mit scharfem Ton die griechische Souveränität über mehrere Ägäis-Inseln infrage gestellt und legte offiziell ihre Kontakte zur griechischen Regierungsspitze auf Eis.

Die kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei sind für Mitte Juni 2023 geplant, werfen aber etwa im Verhältnis zu Griechenland ihren Schatten voraus. Fachleute sehen darin auch ein Manöver des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um von der wirtschaftlichen Krise des Landes abzulenken. Griechenland als immer größeres Feindbild aufzubauen und die alten Konflikte wieder aufflammen zu lassen, lenke von der Innenpolitik ab.

Kyriakos Mitsitakis
Reuters/Alkis Konstantinidis
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis

Mitsotakis: Immer bereit, Erdogan zu treffen

Der griechische Premier, Kyriakos Mitsotakis, setzt weiterhin auf Kommunikation mit Erdogan. „Ich bin immer bereit, mich mit dem türkischen Präsidenten zu treffen“, sagte er bei einer Pressekonferenz am Sonntag in Thessaloniki. Natürlich könne er Erdogan nicht zu einem Treffen zwingen, er hoffe aber auf ein Gespräch am Rande der ersten Zusammenkunft der Europäischen Politischen Gemeinschaft Anfang Oktober in Prag. Dort sollen die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs von 44 Staaten eingeladen werden.

Im Mai hatte Erdogan den Draht zu Mitsotakis gekappt und auch alle anderen Kommunikationskanäle zwischen den Ländern für geschlossen erklärt. Dass es angesichts der aggressiven Rhetorik seitens der Türkei zu einem Krieg kommen könnte, glaubt Mitsotakis dennoch nicht. „Nein, denn ich kann mir einen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei nicht vorstellen“, sagte er auf eine entsprechende Frage. Er glaube, die Türkei wisse sehr gut um die Effektivität der griechischen Streitkräfte Bescheid.

Aggressive Rhetorik „vergiftet“ türkische Gesellschaft

Die Provokationen aus Ankara hätten wohl eher mit den Wahlen zu tun, die im kommenden Jahr in der Türkei anstehen, mutmaßte Mitsotakis. Die aggressive Rhetorik sei jedoch ein Fehler, „weil sie damit die türkische Gesellschaft vergiften und die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei untergraben“. Auch militarisiert stellten die griechischen Inseln keinerlei Gefahr für die Türkei dar, betonte der Premier einmal mehr – das sei international bekannt.

Griechischer F-16 über dem Mittelmeer
APA/AFP/Greek Defense Ministry
Ein griechischer F-16-Kampfjet über dem Mittelmeer

Feuer auf Frachtschiff eröffnet

Immer öfter kommt es zu Zwischenfällen. So eröffnete am Wochenende die griechische Küstenwache in der Ägäis das Feuer wegen eines Frachtschiffes. Nach entsprechenden türkischen Berichten bestätigte Athen am Sonntag die Schüsse. Das Schiff „Anatolian“ habe sich innerhalb der griechischen Hoheitsgewässer vor der Insel Lesbos verdächtig bewegt, sein Kapitän eine Kontrolle verweigert, hieß es aus Athen. Laut Ankara geriet das Schiff in internationalen Gewässern elf Seemeilen vor der türkischen Insel Bozcada unter Beschuss.

Die beiden beteiligten griechischen Schiffe hätten damit internationales Recht missachtet, hieß es vom türkischen Staatssender TRT unter Berufung auf ein Mitglied der Küstenwache. Die griechischen Schiffe seien weggefahren, als die türkische Küstenwache den Ort des Vorfalls erreichte. Der Sender veröffentlichte Aufnahmen, die den Beschuss zeigen sollen. Sie konnten nicht unabhängig überprüft werden. Laut der griechischen Küstenwache fuhr das Schiff nach der Verweigerung der Kontrolle in nahe gelegene türkische Gewässer ein. Die türkische Küstenwache sei über den Zwischenfall informiert worden.

Erdogan: „Können plötzlich eines Nachts kommen“

Erdogan droht Griechenland immer schärfer und bedient sich einer Kriegsrhetorik. „Wir können plötzlich eines Nachts kommen“, so der türkische Präsident Richtung Nachbarland. Den Satz hatte der türkische Präsident in der Vergangenheit häufig bezogen auf militärische Operationen verwendet – etwa in Syrien und im Irak. Erdogan bezog sich auf die angebliche Ausrichtung des S-300-Luftverteidigungssystems Griechenlands auf türkische Jets.

Türkischer F-16
Reuters/Osman Orsal
Ein türkischer F-16-Kampfjet kurz vor der Landung auf seiner Basis

Zuvor hatte Erdogan Griechenland wegen der Militarisierung griechischer Inseln in der Ostägäis schwer kritisiert und eine offene Drohung ausgesprochen. „Eure Besetzung der Inseln bindet uns nicht. Wir werden das Notwendige tun, wenn die Zeit gekommen ist.“

Mitsotakis: Drohungen „inakzeptabel“

Athen bestreitet diese Vorwürfe Ankaras. Mitsotakis reagierte enttäuscht auf die Äußerungen Erdogans: „Es ist inakzeptabel, dass Griechenland Drohungen von einem Land erhält, das ein Verbündeter in der NATO ist – Drohungen, die so weit gehen, die griechische Souveränität infrage zu stellen“, sagte Mitsotakis daraufhin im staatlichen griechischen Fernsehen.

Ankara argumentiert, Griechenland verstoße mit der Stationierung von Militäreinheiten und Waffensystemen auf Inseln in der Ägäis gegen die Verträge von Lausanne (1923) und Paris (1947). Athen begründet die Militarisierung mit einer Bedrohung durch Ankara und dem Recht eines jeden Staates auf Selbstverteidigung.

Bohrschiff Abdülhamid Han
APA/AFP/Adem Altan
Das türkische Gasbohrschiff „Abdülhamid Han“

Gasbohrschiff wieder ausgeschickt

Auch in Sachen Gasbohrungen in der Ägäis kriselt es zwischen den beiden NATO-Ländern. Athen hätte immer wieder seine Souveränität verletzt. Griechenland bezichtigte die Türkei 2020, die Vorkommen illegal zu erkunden. Die Regierung in Ankara vertrat den Standpunkt, dass die Gewässer zum türkischen Festlandsockel gehörten. Das Gasbohrschiff „Abdülhamid Han“ wurde Mitte August wieder ausgeschickt.

Die „Abdülhamid Han“ sollte ihre Erkundungsarbeiten zunächst nicht in umstrittenen Gewässern durchführen. „Wenn unser Schiff mit seinen Bohrarbeiten dort fertig ist, wird es nicht aufhören. Es wird zu anderen Bohrlöchern übergehen.“ Man werde sich holen, „was uns gehört“, so Erdogan zur Ausfahrt des Schiffes.

Schlechte Wirtschaftslage bald Wahlkampfthema

Die wirtschaftliche Lage setzt der Türkei weiter zu und das wird auch Thema im Wahlkampf für die Präsidenten- und Parlamentswahl im kommenden Jahr werden. Die Verbraucherpreise in der Türkei sind im August so stark gestiegen wie seit 1998 nicht mehr.

Menschen kaufen auf einem Martk in Istanbul ein
Reuters/Dilara Senkaya
Die Güter des täglichen Bedarfs werden in der Türkei teurer und teurer

Waren und Dienstleistungen verteuerten sich um durchschnittlich 80,21 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie das Statistikamt letzte Woche mitteilte. Der Inflationsgipfel dürfte nach Prognose der Zentralbank erst im Herbst erreicht werden, und zwar mit Teuerungsraten von nahezu 90 Prozent. Umfragen zufolge glauben viele Türkinnen und Türken der amtlichen Statistik nicht: Etwa jeder Zweite ist der Meinung, dass die Preise noch stärker steigen als offiziell ausgewiesen. Auch Oppositionspolitiker und manche Ökonomen trauen den offiziellen Daten nicht.

Lira schwächelt seit geraumer Zeit

Die Transportkosten – zu denen etwa Benzin gerechnet wird – erhöhten sich im vergangenen Monat um 117 Prozent. Lebensmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich um mehr als 90 Prozent. Die inländischen Erzeugerpreise schnellten sogar um 143,75 Prozent nach oben.

Grund für die Entwicklung sind vor allem die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine, durch den viele Rohstoffe deutlich teurer geworden sind. Die steigende Inflation ist aber auch eng verbunden mit der schwächelnden Lira: Die Landeswährung hat im vergangenen Jahr 44 Prozent an Wert zum Dollar verloren, in diesem Jahr bisher weitere 27 Prozent.

Der Grund dafür ist, dass die Zentralbank ihren Leitzins seit vergangenem Herbst schrittweise von 19 auf aktuell 14 Prozent gesenkt hat, obwohl die ökonomischen Lehrbücher bei stark steigenden Preisen eigentlich Zinserhöhungen empfehlen. Erdogan setzt hingegen auf sinkende Zinsen. Diese machen eine Währung allerdings für Anlegerinnen und Anleger unattraktiver. Die schwache Lira wiederum verteuert Importe, auf die die rohstoffarme Türkei angewiesen ist.