Trump-Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung
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Trügerisches Hoch

US-Demokraten im Umfragedilemma

Bei den US-Midterm-Wahlen erleidet in der Regel die Partei Verluste, die den Präsidenten stellt. Entsprechend sehen die Umfragen auch Gewinne der Republikaner voraus. In manchen Bundesstaaten übertreffen aber manche der demokratischen Senatskandidatinnen und -kandidaten die Erwartungen – und zwar just in jenen Staaten, in denen die Umfragen schon bei den Wahlen 2016 und 2020 falsch lagen.

Die Kongresswahlen sind erst im November, die Vorauswahl der Kandidatinnen und Kandidaten der beiden Großparteien dafür ist schon am Ende angelangt. Gewählt werden am 8. November das Repräsentantenhaus und etwa ein Drittel des Senats, die Republikaner hoffen auf eine Mehrheit in beiden Kongresskammern, im Rennen um das Repräsentantenhaus haben sie auch die Nase vorn.

Beim Wahlkampf um die einzelnen Senatssitze stehen hingegen etliche der demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten gut da, für manche überraschend gut. Die „New York Times“ verglich die Umfragen mit jenen der Präsidentschaftswahl 2020 (Biden gegen Donald Trump) und 2016 (Trump gegen Hillary Clinton). Die Zeitung kommt zum Schluss, dass „die Umfragenwarnblinker wieder aufleuchten“. So seien nun die Erhebungen für die Demokraten in jenen Bundesstaaten gut, in denen sie schon bei den früheren Wahlen die republikanischen Kandidaten „systematisch unterschätzt“ hätten.

„Ground Zero“ für Umfragefehler

Als Beispiel nennt die Zeitung Wisconsin: Hier übertrifft derzeit der demokratische Senatskandidat Mandela Barnes die Erwartungen, er führt gegen den republikanischen Amtsinhaber die Umfragen deutlich an. Gleiches galt hier aber auch schon für Biden 2020 und Clinton 2016. Tatsächlich verlor dann Clinton in Wisconsin, Biden gewann – jedoch viel niedriger als vorhergesagt.

Vor zwei Jahren habe sich Wisconsin als „Ground Zero“ der Umfragefehler erwiesen, so die „New York Times“. Die Daten aus Wisconsin seien dabei aber auch nur ein Beispiel für ein breiteres Muster. „Und umgekehrt veröffentlichen die Demokraten weniger beeindruckende Zahlen in einigen Staaten, in denen die Umfragen vor zwei Jahren ziemlich genau waren wie in Georgia.“

US-Präsident in einer Menschenmenge
AP/Susan Walsh
Biden steht auf keinem Wahlzettel, muss aber trotzdem wahlkämpfen: Für die Demokraten steht viel auf dem Spiel

Das könnte an der volatilen Wählermeinung liegen oder auch daran, dass die Umfrageinstitute seit 2020 nichts an ihren Methoden geändert hätten. Auch verschiedene Verzerrungen spielen mit hinein. Manche Institute erklärten etwa auch, dass sich viele Wählerinnen und Wähler nicht zum Thema Abtreibung deklarieren wollen. Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, der die Bundesstaaten Abtreibungen beschränken lässt, ist es eines der am meisten aufgeheizten Wahlkampfthemen des Jahres. Auch inwiefern die Bevölkerung die Demokraten wegen Bidens Politik abstrafen will, ist für die Messungen schwer einzuschätzen.

Millionen für riskante Taktik

Die Demokraten können sich daher nicht entspannen, ihre Mehrheit im Senat ist ohnedies knapp. Demokratische Förder- und Kampagnengruppen verfolgen nun in einigen Bundesstaaten riskante Strategien. Sie versuchen, radikalen Konservativen Auftrieb zu verleihen, weil sie in ihnen die leichteren Gegner sehen. Sie setzen in einigen Bundesstaaten ihre Wahlkampfmillionen dafür ein, Rechtsradikale und fanatische Trump-Anhänger auf den Wahlzettel zu bekommen, also jene, die die Präsidentschaftswahl 2020 für gestohlen halten, wie die „Washington Post“ schrieb.

Für diese Taktik seien heuer schon 19 Millionen US-Dollar in acht Bundesstaaten ausgegeben worden. Viel davon fließe etwa in TV-Werbung, die gerade die radikalen Meinungen der Wunschgegner betont, um die republikanischen Anhänger dazu zu bringen, für sie zu stimmen.

Sorge um Demokratie

Das sehen aber nicht alle Demokraten gern. Einige beklagten, am Ende hieve man so Kandidaten ins Amt, die eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie darstellten. „Das ist eine zutiefst prekäre und gefährliche Strategie“, meinte etwa der ehemalige Kongressabgeordnete von Indiana, Tim Roemer.

Zusammen mit gleichgesinnten Demokraten schrieb er einen Protestbrief an die eigene Partei. „Sie riskiert, diese Lügner emporzuheben und ihnen für weitere drei oder vier Monate eine Plattform zu geben und das Vertrauen weiter zu untergraben – selbst wenn sie am Ende verlieren.“

Ungleiches Risiko

Für Trump wären republikanische Erfolge, vor allem Mehrheiten in Repräsentantenhaus oder Senat, ein starker Rückenwind auch innerhalb der eigenen Partei. Er kokettiert seit Längerem mit einer neuen Kandidatur für das Weiße Haus 2024. Trump kann dafür weiterhin sein Narrativ nutzen, eine korrupte Elite habe es auf ihn abgesehen.

Speziell nach der Razzia auf seinem Anwesen in Florida, bei der das FBI kistenweise geheime Dokumente fand, wird diese Argumentation erneut ventiliert. „Sie versuchen, mich zum Schweigen zu bringen, und was noch wichtiger ist: Sie versuchen, euch zum Schweigen zu bringen“, rief Trump seinen Anhängern bei seinem ersten Wahlkampfauftritt seit der Hausdurchsuchung zu. „Aber wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen.“

Donald Trump spricht vor einer Menschenmenge
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Für Trump sind die Kongresswahlen auch ein Stimmungstest für seine mögliche Wiederkandidatur 2024

Der „schockierende Machtmissbrauch der Regierung“ werde „eine Gegenreaktion hervorrufen, wie sie noch niemand zuvor gesehen hat“, so Trump. Was die Unterlagen bei ihm zu Hause zu suchen hatten, darüber verlor Trump kein Wort. Seine Fans interessiert das auch offenbar nicht. Wer sich nach der Erstürmung des Kapitols am 6. Jänner nicht von Trump abwandte, den wird auch die Lagerung sensibler Regierungsdokumente wenig kümmern.

Für Biden wären große Verluste der Demokraten bei den Midterms ungleich schlimmer. Nicht nur die Mehrheiten in den Kammern stehen auf dem Spiel, sondern auch seine Aussichten auf die kommenden Jahre. Verlieren die Demokraten die Mehrheit auch nur in einer Kammer an die Republikaner, könnten diese sofort die politische Agenda von Präsident Biden blockieren. Und sie könnten, so wird gemutmaßt, auch Untersuchungen gegen amtierende Demokraten anstoßen, als Revanche für die Ermittlungen gegen Trump.