Frauenministerin Susanne Raab und Innenminister Gerhard Karner
APA/Benedikt Loebell
Frauen als Opfer

Noch viel zu tun bei Gewaltschutz

Im September 2019 wurde ein neues Gewaltschutzgesetz beschlossen, am Freitag haben Innen-, Justiz- und Frauenministerium gemeinsam mit Schutzorganisationen eine Zwischenbilanz präsentiert. Diese fiel grundsätzlich positiv aus, doch in manchen Bereichen sehen Fachleute Nachbesserungsbedarf und Lücken. Das Gesetz soll daher „optimiert“ werden. Anhaltenden Handlungsbedarf spiegeln auch die Zahlen wider: Heuer gab es schon 27 weibliche Todesopfer zwischen sechs und 87 Jahren, 21.000 Frauen benötigten Unterstützung in Gewaltschutzzentren, 100.000 bezogen Beratung.

Laut Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sollen etwa die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen intensiviert und institutionalisiert werden. Derzeit werde dieses Instrument zum Schutz vor häuslicher Gewalt in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, wie Sandra Messner vom Zentrum für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik (ZSW) erläuterte, die im Auftrag des Innenministeriums mit einem Team das Gewaltschutzgesetz evaluiert hat.

Die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen würden von Expertinnen und Experten grundsätzlich begrüßt, seien aber „nicht das Allheilmittel, um Frauenmorde zu verhindern“, legte Messner in einer Pressekonferenz dar. Grund dafür sei unter anderem die lange Vorbereitungszeit.

Bedenklich sei es, dass Protokolle dieser Konferenzen mitunter in Gerichtsakten landen und Gefährder und Gefährderinnen, gegen die von den Strafverfolgungsbehörden ermittelt wird, im Rahmen ihrer Beschuldigtenrechte dann darauf Zugriff haben. Das gehöre abgestellt, die Koordination zwischen Polizei, Justiz und Hilfseinrichtungen für von Gewalt betroffene Familien, Frauen und Kinder gehöre verbessert, sagte Messner.

Sicherheitslücken bei Gewaltschutzgesetz

Fachleute haben das Gewaltschutzgesetz aus dem Jahr 2019 überprüft und Sicherheitslücken gefunden. Besonders bei Belästigungen von Frauen über Internet und Telefon gibt es zu schwache Maßnahme, so die Experten und Expertinnen.

Deutlich mehr Fallkonferenzen

Innenminister Karner will mit dem Installieren von Expertengruppen in jedem einzelnen Bundesland die Wirkung der Fallkonferenzen stärken. Heuer wurden bis Mitte September österreichweit rund 120 Fallkonferenzen durchgeführt, eine deutliche Steigerung gegenüber 2020 (27) und 2021 (57).

Als weitere Maßnahme gegen die Gewalt im häuslichen Bereich wird eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen erweitert. In Pflegebeziehungen komme es immer wieder zu körperlichen Übergriffen bis hin zu Tötungsdelikten, so Karner: „Es ist hier für die Polizei kaum möglich, wirksame Maßnahmen zu setzen, da kaum eine polizeiliche Vorgeschichte vorliegt. Hier ist eine enge Vernetzung mit Pflegeorganisationen und dem Sozialministerium nötig.“

App und Unterstützung für Polizeikräfte

Ein „stiller Notruf“, den derzeit rund 5.000 meist weibliche Personen zum Schutz vor potenziellen Gefährdern nutzen, soll weiterentwickelt und offensiver beworben werden. Am Ende könnte es eine „verdeckte“ App geben. Schließlich wird für alle Streifenpolizistinnen und -polizisten in Österreich eine Unterstützungshotline geschaffen, die rund um die Uhr zur Verfügung steht. Expertinnen und Experten sollen dann den Beamten an Ort und Stelle bei Bedarf fernmündlich bei Amtshandlungen zu häuslicher Gewalt mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) bezeichnete das Gewaltschutzgesetz als „Meilenstein“. Sie kündigte einen weiteren Gewaltschutzgipfel für 6. Dezember und eine qualitative wissenschaftliche Studie zu Frauenmorden bis Ende des Jahres an. Zudem wolle man sich auf neue und spezielle Formen der Gewalt konzentrieren, etwa Onlinegewalt und Cybergewalt in Paarbeziehungen, aber auch – so Raab – „importierte Gewalt“ wie Genitalverstümmelung und Kinderehe. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) war krankheitsbedingt abwesend.

Mehr Betretungsverbote

Als positiv wird die Ausweitung von Betretungs- und Annäherungsverboten beurteilt. 2021 wurden 13.690 Betretungs- und Annäherungsverbote erlassen, heuer waren es bis Ende Juli schon 9.500. 11.000 Gefährderberatungen, die mit September 2021 implementiert wurden, wurden durchgeführt. Allerdings gibt es in beiden Bereichen Verbesserungsbedarf.

Bei Stalking und Cyberstalking würden aus Sicht von Expertinnen und Experten aber zu wenige Annäherungsverbote ausgesprochen, auch hinsichtlich Anrufen und Textnachrichten wären Kontaktverbote wünschenswert, berichtete Sozialforscherin Messner. Es gebe außerdem den Ruf nach strengeren Kontrollen dieser Kontaktverbote und dem Erlassen von Festnahmeanordnungen bei Verstößen dagegen.

Defizite gibt es in der Praxis auch beim Kommunizieren, wenn Betretungs- und Annäherungsverbote verlängert werden. „Da stehen dann die Männer oft vor der Tür, weil sie nichts davon wissen“, berichtete Messner. Das sei eine zu schließende Gesetzeslücke. Bei Verstößen wären strengere Kontrollen und Sanktionen ein Desiderat. Die Polizei würde hier häufig U-Haft anregen, die Justiz gebe einer solchen aber häufig nicht statt.

Beratung für Gefährder wird begrüßt

Bei der verpflichtenden Gewaltpräventionsberatung für Gefährder und Gefährderinnen bedürfe es einer „qualitätsvollen Kooperation“ zwischen Exekutive und NGOs. Für die Beratungsgespräche sind generell sechs Stunden vorgesehen, hier wäre eine flexiblere zeitliche Ausgestaltung erstrebenswert.

Immerhin 40 Prozent der Betroffenen – im Regelfall Männer – nehmen nach den sechs Stunden weitere Beratung in Anspruch. Die Beratungsstellen wünschen sich eine rechtliche Möglichkeit, paktiv Kontakt mit Gefährdern aufzunehmen. Ein grundsätzlicher Wunsch der Polizei sei ein Ausbau bei Dolmetscherinnen und Dolmetschern.

Opposition fordert mehr Budget

SPÖ und FPÖ verlangten von der Regierung mehr Geld für die Präventionsarbeit, „damit Österreich endlich die Istanbul-Konvention, also den Schutz von Frauen, umsetzen kann“, wie es FPÖ-Frauensprecherin Rosa Ecker in einer Aussendung formulierte. Die bestehenden Maßnahmen würden nicht greifen beziehungsweise nicht ausreichen. Überdies müssten die Beratungsstellen für Frauen und Mädchen in den Regionen ausgebaut werden.

SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner bezeichnete Österreich als „Hochrisikoland, wenn es um die Gewalt an Frauen geht“. Sie bekräftigte die Forderung nach einem „ständigen Krisenstab, der die Zusammenarbeit von Innen- und Justizministerium und aller im Gewaltschutz tätigen Organisationen verbessert“.

Die Frauen- und Mädchenberatungsstellen seien „am Limit“, es gebe „einen Ansturm an Hilferufen von Frauen“, meinte Holzleitner in einer Presseaussendung: „Die Frauen- und Mädchenberatungsstellen dürfen sich nicht länger mit langen Projektanträgen herumschlagen. Sie brauchen eine solide Basisfinanzierung. Hilfe muss rasch geschehen, lange Wartezeiten sind lebensgefährlich.“

Grüne: „Politischer Auftrag“

Die grüne Frauensprecherin Meri Disoski will die bei der Evaluierung des Gewaltschutzgesetzes formulierten Vorschläge für weitere Verbesserungen aufgreifen und umsetzen, wie sie per Aussendung mitteilte: „Die hohe Zahl an Femiziden in Österreich ist ein politischer Handlungsauftrag, um diesen Weg in der Koalition auch weiterzugehen. Hier ist auch der Finanzminister gefordert, die notwendigen Mittel für weitere Verbesserungen zur Verfügung zu stellen.“