Unterricht
ORF.at/Zita Klimek
„Nicht umsetzbar“

Lehrerkritik an neuen Lehrplänen

Vertreterinnen und Vertreter der Lehrkräfte üben Kritik an den neuen Lehrplänen für die Volks- und Mittelschule und AHS-Unterstufe. Sie seien teils „unleserlich verfasst“ und in der Praxis nicht umsetzbar, heißt es in der Stellungnahme der Pflichtschullehrergewerkschaft zu den Entwürfen, deren Begutachtungsfrist am Montag geendet hat. Ähnliches ist von der AHS-Vertretung zu hören.

Die Pflichtschullehrerinnen und -lehrer vermissen vor allem den Praxisbezug: „Pro Unterrichtsfach sollen angeblich mindestens zehn Fachpraktikerinnen und -praktiker an den Inhalten mitgearbeitet haben. Offensichtlich wurde diese Expertise bei der Lehrplanerstellung nicht ausreichend berücksichtigt, was wir nicht nur sehr bedauern, sondern auch negative Auswirkungen auf die praktische Verwendbarkeit im Unterricht haben wird.“

Die neuen Lehrpläne für alle Fächer der Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe werden seit 2018 erarbeitet und sollen ab 2023/24 gelten. Technisch sind sie Verordnungen, die vom Bildungsminister oder der Bildungsministerin erlassen werden.

Fachliche Kompetenzen „unleserlich verfasst“

In sämtlichen Lehrplänen wird zwischen fachlichen, überfachlichen und fächerübergreifenden Kompetenzen unterschieden. Nach Ansicht der Gewerkschaft sind dabei die fachlichen Kompetenzen „unleserlich verfasst“ und drohten dadurch zu einem „bestgehüteten Geheimnis“ zu werden.

Die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen wie Motivation, Selbstwahrnehmung und Vertrauen in die eigene Person bzw. soziale und lernmethodische Kompetenzen wiederum erscheine in den derzeit oft großen Klassen mit Kindern verschiedener Nationalitäten bzw. mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen „schier unmöglich“.

„Schwer umsetzbar“ erscheint den Pädagoginnen und Pädagogen auch die Implementierung von 13 fächerübergreifenden Themen in den Unterricht. Diese reichen von „Entrepreneurship Education“, „informatische“ und „interkulturelle Bildung“ über „reflexive Geschlechterpädagogik“ und „Gleichstellung“ bzw. „Sexualpädagogik“ bis zu „Verkehrsbildung“ und „Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung“.

Praxisbezug wird vermisst

Ganz generell fragt die Vertretung der Plfichtschullehrkräfte nach dem Praxisbezug mancher Formulierungen im Lehrplan. Dort heißt es etwa zu den allgemeinen didaktischen Grundsätzen: „Lehrerinnen und Lehrer verstehen es als ihre Aufgabe, Schülerinnen und Schüler individuell wahrzunehmen und zu fördern, und vermeiden stereotype Zu- und Festschreibungen. Lehrerinnen und Lehrer kennen und nutzen geeignete pädagogische Diagnoseinstrumente, um die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler festzustellen und deren Lernprozesse entsprechend begleiten zu können.“

Und weiter: „Sie fördern individuelle Lernprozesse durch unterschiedliche und abwechslungsreiche Lernsettings und verwenden dazu passende Lernmaterialien. Sie geben individuelle, lernförderliche Rückmeldungen und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, ihren Kompetenzzuwachs bewusst wahrzunehmen.“

Die Vertretung der Pflichtschullehrkräfte meldet Zweifel an, dass diese Grundsätze in Klassen mit 25 bis 29 Schülerinnen und Schülern umsetzbar sind. Den am Lehrplan beteiligten Fachpraktikern dürfte hier der Praxisbezug abhandengekommen sein, vermuten sie – „oder man geht generell davon aus, dass ca. 125.000 ‚Wunderwuzzis‘ ihren Dienst an Österreichs Schulen versehen“.

AHS-Lehrkräfte: Rasches Inkrafttreten „unmöglich“

Die AHS-Lehrergewerkschaft argumentiert ähnlich: „Die Gliederung in fachliche, überfachliche und fächerübergreifende Kompetenzen, die Textfülle und die große Zahl an fächerübergreifenden Themen machen den Lehrplan schwer lesbar. Viele der angestrebten Ziele scheinen uns schwer umsetzbar bzw. praxisfern.“

Abgelehnt wird von der AHS-Vertretung das geplante Inkrafttreten mit dem Schuljahr: Es sei „unmöglich“, dass bis zu diesem Zeitpunkt „approbierte Schulbücher vorliegen, die die Lehrplanänderungen berücksichtigen“, hieß es. Keinesfalls dürften die neuen Lehrpläne zu Mehrarbeit führen – genau das ergebe sich aber aufgrund der Vorgaben im Entwurf.

Elternverbände: Lehrpläne entrümpeln

Für den Bundesverband der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen (BEV) zeugen die geplanten Veränderungen zwar „von positivem Willen und Engagement“. Notwendig ist aus Sicht der Elternvertreterinnen und -vertreter aber, das Rollenverständnis der Lehrkräfte nicht nur zu erweitern, sondern auch „über Generationen entstandene Welt- und Menschenbilder aufzubrechen“.

Ähnlich ihre Forderung bei der Entrümpelung des Lehrplans: „Es ist schön zu lesen, was alles kommen soll, ebenso wichtig ist jedoch die Auflistung allen dessen, was gestrichen wird. Wir bitten Sie, diese Auflistung schnellstmöglich nachzureichen.“

„Mängel“ bei Deutsch- und Wirtschaftslehrplänen

„Schwere Mängel“ bei den Deutschlehrplänen ortet die IG Autorinnen Autoren: In diesen komme nur einmal das Wort „Buch“ vor, und das in vollkommen nebensächlichen Zusammenhängen. Die Urheberinnen und Urheber literarischer Texte fehlen laut Sprecher Gerhard Ruiss gleich völlig.

Nach den Wirtschaftspädagogen der Unis haben außerdem auch Vertretungen der Wirtschaft Verbesserungen bei der Wirtschaftsbildung eingemahnt. Der Fokus auf Kompetenzen sei positiv, schreiben Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Allerdings werde mit den aktuellen Entwürfen das Ziel einer umfassenden Modernisierung und damit besseren Lebensvorbereitung für die Jugend „noch nicht erreicht“.

Ablehnung von FPÖ, SPÖ und NEOS

Die FPÖ lehnt neue Lehrpläne im Moment komplett ab. Zunächst müssten jene Lücken geschlossen werden, die in den CoV-Jahren entstanden seien, bevor man sich Gedanken über neue Lehrpläne mache, so Klubobmann-Stellvertreterin Dagmar Belakowitsch bei einer Pressekonferenz.

Für die SPÖ sind die Entwürfe ein „Sammelsurium an vergebenen Chancen und Gelegenheiten“. Es reiche nicht, die Lehrpläne nur auf Kompetenzorientierung umzuschreiben, aber auf die nötigen Voraussetzungen für die Umsetzung zu vergessen, meinte Bildungssprecherin Petra Tanzler in einer Aussendung.

Für NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre ist die kleinteilige Fächerstruktur „nach wie vor zu unflexibel und innovationshemmend“: „Eine echte Reform hätte die starren Fächergrenzen endlich überwinden müssen.“