Mann wird von Polizisten festgenommen
APA/AFP
Harte Strafen für Deserteure

Hunderte Festnahmen bei Demos in Russland

Trotz brutaler Polizeigewalt demonstrieren in Russland wieder Menschen gegen die von Kreml-Chef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung für den Krieg in der Ukraine. Sowohl in Moskau als auch in St. Petersburg und anderen Städten wurden zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen. Erst am Samstag hatte Putin ein geändertes Gesetz über härtere Strafen für Deserteure in Kraft gesetzt.

Allein in Moskau gab es am Samstag bei einer Demonstration gegen die Teilmobilmachung in Russland für den Krieg in der Ukraine mehr als 100 Festnahmen. In St. Petersburg wurden in sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, die zeigten, wie Männer in Kampfuniform und mit Helm auf Demonstranten einknüppelten.

Das Menschenrechtsportal OVD-Info berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, dass Sicherheitskräfte Elektroschocker einsetzten. Am späten Nachmittag war von landesweit mehr als 700 Festnahmen in insgesamt 22 Städten die Rede. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ermunterte am Samstag einmal mehr die Russen, sich der Teilmobilisierung zu entziehen. „Vor dieser verbrecherischen Mobilmachung wegzulaufen ist besser, als verstümmelt zu werden und sich dann vor Gericht verantworten zu müssen, weil man sich an einem Angriffskrieg beteiligt hat“, sagte er auf Russisch in seiner abendlichen Videoansprache.

Mann wird von Polizisten festgenommen
Reuters/Reuters Photographer
Die Polizei geht laut Augenzeugenberichten mit Gewalt gegen die Demonstranten vor

Putin will rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten. Das hatte bereits am vergangenen Mittwoch Proteste in etwa 40 Städten ausgelöst.

Hunderte Festnahmen bei Demos in Russland

Trotz brutaler Polizeigewalt demonstrieren in Russland wieder Menschen gegen die von Kreml-Chef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung für den Krieg in der Ukraine. Sowohl in Moskau als auch in St. Petersburg und anderen Städten wurden zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten festgenommen. Erst am Samstag hatte Putin ein geändertes Gesetz über härtere Strafen für Deserteure in Kraft gesetzt.

Zunehmende offizielle Kritik an Teilmobilmachung

Unterdessen mehrt sich von offiziellen Stellen die Kritik am Vorgehen des Militärs bei der Teilmobilmachung. Der Chef des Menschenrechtsrats beim russischen Präsidenten, Waleri Fadejew, forderte Verteidigungsminister Sergej Schoigu auf, das „Knüppelsystem“ vieler Einberufungsstellen im Land zu beenden. Es bekämen auch Männer Einberufungsbefehle, die keine Kampferfahrung hätten.

In der Region Jakutien in Sibirien räumte der Republikchef Aissen Nikolajew ein, dass Fehler gemacht worden seien in den Wehrkreisämtern. Es seien Männer eingezogen worden, die nicht unter die Mobilmachung fielen. „Es wurden Reservisten fehlerhaft eingezogen, sie müssen zurückgeschickt werden. Die Arbeit hat bereits begonnen“, sagte Nikolajew.

In den sozialen Netzwerken in Russland gibt es zahlreiche Fälle, in denen Väter kinderreicher Familien, Männer ohne Kampferfahrung oder auch ältere und chronisch kranke Reserveoffiziere berichten, dass sie eingezogen worden seien. Nikolajew sagte, dass die Entscheidungen der Militärkommissariate besser überprüft werden müssten.

Russische Parlamentsspitzen kritisieren Teilmobilisierung

Auch zwei Spitzenvertreter des russischen Parlaments und enge Verbündete von Präsident Putin zeigten kürzlich Verständnis für die zahlreichen Beschwerden über die Kampagne zur Mobilisierung Hunderttausender Soldaten. Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrats, des Oberhauses des russischen Parlaments, verwies auf Berichte, wonach auch Männer einberufen wurden, die von der kürzlich verkündeten Teilmobilisierung eigentlich nicht betroffen sein dürften.

„Solche Auswüchse sind absolut inakzeptabel. Und ich halte es für absolut richtig, dass sie eine scharfe Reaktion in der Gesellschaft auslösen“, schrieb sie am Sonntag auf Telegram. Die Regionalgouverneure Russlands seien für die Umsetzung verantwortlich. Sie müssten sicherstellen, dass die Kriterien der Teilmobilisierung vollständig und fehlerfrei beachtet würden. Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende des Unterhauses, der Duma, wiederum erklärte, dass Fehler, sollten sie gemacht worden sein, korrigiert werden müssten. „Behörden auf allen Ebenen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein.“

Kadyrow: Brauchen Reservisten nicht

Derweil flüchteten Tausende weiter aus dem Land, um einer Einberufung zu entgehen. Der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, Ramsan Kadyrow, nannte die Ausreisenden „Faulpelze“, „Nichtsnutze“ und „Feiglinge“, die ruhig gehen sollten, weil sie der Armee nur schaden könnten. Zugleich sagte er, dass Russland eigentlich genügend Ressourcen habe ohne Reservisten. Es gebe in Russland fünf Millionen gut vorbereitete Menschen, die mit Waffen umgehen könnten.

Die Verwunderung und die Kritik in der russischen Gesellschaft sind seit Tagen groß, weil Putin Reservisten mobilisiert, nicht aber die Angehörigen der verschiedenen Sicherheitsstrukturen. Es gibt allein rund eine Million Soldaten, dazu die Nationalgarde und die Truppen des Innenministeriums sowie etwa Sicherheitskräfte des Strafvollzugs. „Wenn 50 Prozent der Mitarbeiter im Dienst gelassen werden, dann besiegt die andere Hälfte in einer Zahl von 2,5 Millionen Menschen jede westliche Armee. Und die Reserve ist nicht nötig“, sagte auch Kadyrow.

Das von Putin am Samstag in Kraft gesetzte Gesetz sieht nun härtere Strafen für Deserteure in Kraft. Wer etwa in den Zeiten einer Mobilmachung oder des Kriegszustands Fahnenflucht begeht, kann nun mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Wer sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begibt – dazu hatte die ukrainische Regierung aufgerufen –, muss mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen.

Putin entlässt Vizeminister

Zugleich entließ der Präsident genau sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine den für die Ausstattung und die Versorgung der Armee zuständigen Vizeverteidigungsminister Dmitri Bulgakow. Offiziell begründete das Verteidigungsministerium den Schritt in einer Mitteilung vom Samstag mit der Versetzung Bulgakows „auf einen anderen Posten“. Sein Nachfolger soll Generaloberst Michail Misinzew werden, der bisher das nationale Zentrum für Verteidigungsmanagement leitete. Er soll künftig insbesondere für die Logistik der Armee zuständig sein.

Misinzew ist auch im Ausland bereits bekannt: So wurde er für die schweren Angriffe auf die südukrainische Hafenstadt Mariupol verantwortlich gemacht, die Ende Mai von den Russen erobert worden war. Während der wochenlangen Belagerung wurden ukrainischen Angaben zufolge Tausende Zivilisten getötet und ein Großteil der Stadt zerstört. In Großbritannien steht Misinzew, der auch als „Schlächter von Mariupol“ bezeichnet wird, deshalb auf einer Sanktionsliste.

Nach jüngsten Niederlagen war Russlands militärische Führung um Verteidigungsminister Schoigu zuletzt auch in kremlnahen Kreisen in die Kritik geraten. Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven musste sich die russische Armee vor rund zwei Wochen aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw zurückziehen. Am vergangenen Mittwoch dann befahl Putin eine Teilmobilmachung seiner Streitkräfte.