IHS-Chef Klaus Nusser im Interview
ORF
Jugend, Ukraine

IHS-Chef Neusser mit Aufruf zur Solidarität

Der interimistische Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) hat in der ORF-„Pressestunde“ in mehreren Punkten zu Zusammenhalt appelliert. Sowohl in Bezug auf die Ukraine als auch auf die krisengeplagte junge Generation in Österreich gebe es „eine Bringschuld“. Auch in der Krise dürften langfristige Ziele wie die Energiewende nicht in den Hintergrund geraten, mahnte Neusser zudem.

Neusser trat in der „Pressestunde“ Behauptungen entgegen, die westlichen Sanktionen gegen Russland seien sinnlos. „Die Sanktionen haben große Wirkung auf Russland, wirtschaftlich geht es bergab“, so Neusser. Kreml-Chef Wladimir Putin sei im Krieg in der Ukraine „all in“ gegangen, also auf volles Risiko. Wer im Kreml aber tatsächlich das Sagen habe, Putin oder der Apparat, sei für ihn nicht erkennbar. Bei einem kompletten Stopp der russischen Gaslieferungen für Österreich würde der Wohlstandsverlust laut IHS drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen.

Doch sei die Ukraine historisch gesehen ein altes Kulturgebiet für Österreich, „wir sind da auch ein bisschen in der Bringschuld“, man könne solidarischer sein. Bis zum Sommer 2023 müssten laut IHS-Modellrechnung beim Gasverbrauch 27 Prozent eingespart werden, 15 Prozent Einsparung bei den Haushalten wäre realistisch, meinte Neusser. „Ich denke, wird werden hier in Österreich vielleicht mit ein paar Schrammen über den Winter kommen.“

Folgen der Sanktionen gegen Russland

Die russische Wirtschaft leide enorm unter den Sanktionen, und das werde sich auch noch verstärken, welchen Effekt das auf die politische Führung haben wird, lasse sich nicht sagen.

Ob Österreich vor einer Rezession im Winter stehe, könne er nicht sagen. Die Wachstumsraten gingen zurück, das sei klar. Die Entwicklung könne sich ins nächste Jahr hineinziehen, eine Rezession sei möglich, doch schwierig zu prognostizieren.

Einen großen Teil der Fiskalpolitik geben die Notenbanken vor, die Europäische Zentralbank (EZB) beschloss zur Bekämpfung der Rekordinflation zuletzt die größte Zinserhöhung ihrer Geschichte – er steht nun bei 1,25 Prozent. Die US-Notenbank Fed treibt den Leitzins noch stärker hinauf, er liegt gar in der Spanne von 3,0 bis 3,25 Prozent.

Diese Anhebungen reichten in Neussers Augen noch nicht aus, „real sind die Zinsen immer noch negativ“. Es sei zu erwarten, dass die Fed noch ganz scharf vorgehen und die Zinsen über vier Prozent anheben werde. „Ich hoffe, dass auch in Europa da nachgezogen wird.“

Inflation „sollte dann abflauen“

Es sei auch ein günstiger Moment, um die Zinsen anzuheben, so Neusser. Es sei nun vordringlich, die Inflation zu bekämpfen. Der Arbeitsmarkt stehe in Österreich gut da, es würden händeringend Fachkräfte gesucht. Die Lage würde aber schwieriger, wenn die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt schwinde. „Derzeit sehe ich das aber noch nicht“, sagte Neusser. Die Maßnahmen der EZB gegen die Inflation würden noch ein halbes oder ein Jahr brauchen, bis die Wirkung sichtbar werde. Auf den Energiemärkten werde es wohl keine weiteren gravierenden Preissteigerungen geben, aber „es ist noch nicht alles bei den Konsumenten angekommen“, sagte Neusser. „Also da kommt noch etwas, aber dann nachher sollte es eigentlich abflauen.“

Probleme der hohen Inflation

Neusser sprach in der „Pressestunde“ über den Kampf gegen die hohe Inflation. Der Moment für höhere Zinsen sei günstig.

Er sprach sich auch erneut gegen die Besteuerung von Zufallsgewinnen der Energieunternehmen aus. Es brauche Rechtssicherheit, Besteuerungen, die zuvor nicht ausgemacht seien, schreckten Investoren ab, so Neusser. Den Unternehmen die Erträge im Nachhinein wegzunehmen sei nicht gut, weil man noch riesige Investitionen brauche, um die Klimawende zu schaffen.

Zwiespältiges Zeugnis für Regierung

Zu den finanziellen Hilfen an die Bevölkerung meinte der IHS-Chef, es gebe so viele Maßnahmen, dass er selbst den Überblick verloren habe. Es gebe viele Einzelhilfen, die in Summe sehr teuer würden – 30 Milliarden Euro. Und vieles greife erst im nächsten Jahr wie etwa die Abschaffung der kalten Progression. Manches sei gar nicht treffsicher, auch weil die Daten fehlten. Da hätte es bessere Lösungen gegeben, so Neusser, etwa die Kinderbeihilfe zu erhöhen.

Sein Zeugnis für die Regierung fiel daher zwiespältig aus: Er befürwortete die Geschwindigkeit mancher Hilfen, doch bemängle die Treffsicherheit. Dass etwa die Besitzer von Zweitwohnsitzen ebenso von der Strompreisbremse profitieren, „stört mich am meisten“, so Neusser.

Besteuerung von Zufallsgewinnen

Der IHS-Chef sprach sich gegen die Besteuerung von Zufallsgewinnen aus. Er nannte als Argument Rechtssicherheit.

CO2-Bepreisung: Neusser gegen Verschiebung

Eine neue mögliche Verschiebung der CO2-Bepreisung kritisierte der Ökonom. Das sei vielleicht wirtschaftlich nachvollziehbar, ökologisch aber nicht. Nun sei der Klimabonus erhöht worden, somit solle auch die andere Seite umgesetzt werden. „Ich sehe eher ein Problem darin, dass man sich zu sehr verheddert in Diskussionen über Strompreisdeckel und Prämien und die langfristigen Ziele aus den Augen verliert“, so Neusser. Wohlstand beruhe nicht „auf Umverteilungsübungen“. Man müsse ihn mit Zukunftsinvestitionen fördern, etwa in Forschung und Entwicklung. Auch die Energiewende sei zuletzt wegen der Krisen in den Hintergrund gerückt, ihn solle man wieder stärker in den Fokus rücken.

Ausbleibende Pensionsreformen

Es sei auch wieder die heute junge Generation, die den Preis für das Verschleppen von Pensionsreformen trage, so Neusser.

Jungen „unter die Arme greifen“

Man sei der jüngeren Generation nun etwas schuldig, meinte er. Sie habe in den Pandemiejahren einen hohen Preis bezahlen müssen. Nun überlege man wieder Maßnahmen zu ihren Kosten, etwa Studierende wieder ins Distance-Learning zu schicken, weil sich die Unis die Heizkosten nicht leisten könnten. „Ich fände das wirklich ganz schlimm“, so Neusser dazu. „Wir sind es der nächsten Generation schuldig, dass wir da unter die Arme greifen.“ Auch sprach sich Neusser für eine Anhebung des Pensionsalters aus, auch wenn sich Parteien gern von diesem Thema fernhielten. Den Preis dafür müsse in der Zukunft wieder die heute junge Generation zahlen, so Neusser. Als falsch befand es Neusser, zusätzliche Pensionserhöhungen aus Steuergeldern zu finanzieren, vielmehr sollte die Erhöhung an die Lohnsumme gekoppelt werden.

Neusser ist interimistischer Leiter des IHS und will nicht auf Dauer Direktor des Instituts bleiben. „Mein Deal ist ganz klar, dass ich so lange bleibe, bis der Nachfolger oder die Nachfolgerin gefunden ist.“ Die Bewerbungsfrist gehe Anfang Oktober zu Ende.