Anton Mattle mit Retouschenpinsel
Johann Groder /APA/EXPA/
Tiroler Lehren

Retuschen gegen den Abwärtstrend

Nach Wien werde die Tirol-Wahl ausstrahlen, hat es im Vorfeld der Landtagswahl vom Sonntag geheißen. Das große politische Erdbeben ist es nicht geworden. Wohl aber ein Ergebnis, das besonders in St. Pölten wahrgenommen wird. In Niederösterreich seien die klaren Mehrheiten wie in der Vergangenheit auch nicht mehr selbstverständlich. Tirol hat freilich einige Blaupausen geliefert, wie man auch einen Abwärtstrend kontern könnte.

Bundesangelegenheiten und Landtagswahlen seien unterschiedliche Fragestellungen. Recht flott hat der neue ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in seine Rolle gefunden, als er am Sonntagabend im ORF in der Runde der Bundespolitik aufgetreten ist. An einem anderen Ort wird man recht genau analysieren, was aus der Tiroler Wahl zu lernen sei. Vor allem dann, wenn ein angeblich unaufhaltsamer Abwärtstrend im Raum steht, wie es zuletzt in Tirol behauptet wurde.

In Niederösterreich werde die zur Wiederwahl stehende Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sehr klar signalisieren, dass in Niederösterreich eine Landtagswahl verhandelt werde – das hat die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle im ORF.at-Gespräch mit Caecilia Smekal im Vorfeld der Tirol-Wahl deutlich gemacht: „Mikl-Leitner wird stark betonen, dass es sich um eine reine Landeswahl handelt, die nichts mit der Bundes-ÖVP zu tun hat“

Diskussion der Bundesparteien

Bei ZIB-Chefredakteur Matthias Schrom diskutierten für die Bundesparteien ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, der grüne oberösterreichische Umweltlandesrat Stefan Kaineder, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, der FPÖ-Abgeordnete Christian Hafenecker und NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos.

„Verlustrealisation ohne Machtverlust“

Für Peter Filzmaier „hat die ÖVP das Bestmögliche rausgeholt, was aus der jetzigen Situation herauszuholen gewesen ist“, so der Politologe im Gespräch mit ORF.at: „Es ist eine Verlustrealisation ohne Machtverlust.“ Dieses Modell empfehle sich für die Volkspartei auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Niederösterreich und in Salzburg. In knapp sieben Monaten wird in Salzburg der Landtag neu gewählt. Der Salzburger Landeshauptmann und ÖVP-Chef Wilfried Haslauer gibt sich optimistisch – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

In Niederösterreich sei die Frage des Erhalts der Macht durch die dortige Proporzverfassung (die ja den Parteien nach Stimmstärke etwaige Landesrätinnen und -räte zuerkennt) ohnedies besser, so Filzmaier weiter. Man werde sich dort allfälligen Verlusten stellen, aber alles daransetzen, die Macht nicht zu verlieren.

ÖVP-Sitzenkandidat Anton Mattle, FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger und SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer im Wahlstudio
Roland Schlager / APA
Einer wird der Juniorpartner sein: ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle, FPÖ-Spitzenkandidat Markus Abwerzger und SPÖ-Spitzenkandidat Georg Dornauer im Wahlstudio am Sonntagabend

Aus der Tirol-Wahl lerne man jedenfalls auch, welche Themen dominant seien, und das sei im Moment das Thema Teuerung mit allen Spielarten: „Dieses Thema wird wohl kaum bis zum kommenden Frühjahr vergehen.“ Eine eigene Themengestaltung sei im Bereich der Landespolitik nicht anzuraten. Richtig wäre für die Länder, auf Maßnahmen des Bundes noch eines draufzusetzen, so Filzmaier, der sich sicher zeigte, dass gerade die ÖVP in Niederösterreich solche Spielräume kenne.

Warum die SPÖ von ÖVP-Verlusten nicht profitierte

Dass die SPÖ in Tirol die Verluste der ÖVP nicht zu kapitalisieren wusste, hält Filzmaier abgesehen von der überschaubaren Strahlkraft des Tiroler SPÖ-Spitzenkandidaten Georg Dornauer für eine „alte Weisheit“: „Nur weil die ÖVP verliert, gewinnt noch lange nicht die SPÖ. Und Tirol ist eine Wahl, wo die SPÖ trotz gigantischer ÖVP-Verluste nichts holen konnte.“ Und, so fügt Filzmaier hinzu: ÖVP-Verluste gingen auch nicht per Automatismus an die FPÖ, wie die Tirol-Wahl zeige.

Analyse des Tiroler Wahlergebnisses

Politikexperte Peter Filzmaier analysiert das Ergebnis und mögliche bundespolitische Konsequenzen.

„Das Problem der Zugpferde bei der SPÖ ist ja nicht auf Tirol beschränkt“, meinte Filzmaier weiter und erinnerte daran, dass die roten Spitzenkandidaten in Niederösterreich und Salzburg „auch von widerständiger Strahlkraft“ seien.

Es hat keinen Sinn zu streiten

Die Bundespolitik sei jedenfalls gut beraten, wenn sie nach der Tirol-Wahl verkünde: Man sei nachdenklich und habe die Signale verstanden. „Es hat für Türkis-Grün im Bund jedenfalls keinen Sinn, untereinander zu streiten“, so der Politologe. Die Regierung müsse schauen, dass sie bis 2024 wie geplant weiter regiere – „und dann hoffen, dass die Krisen weniger geworden sind, auch wenn man dazu selbst am Ende wenig beigetragen hat“.

Wahlwerbung der ÖVP auf Heuballen für Toni Mattle anlässlich der Landtagswahl Tirol 2022
ORF.at/Christian Öser
Neue Marke, Maximalziel in der „Verlustrealisation“

Dass die Grünen im Schatten der ÖVP mit Verlusten aus einer Wahl gehen, ist für den Politologen logisch: „Es wäre unlogisch, wenn man im Schatten einer schwächelnden ÖVP profitieren kann.“ Auf Bundesebene werden die Grünen weiter von der SPÖ angegriffen werden, „nachdem die SPÖ sieht, dass man von den Grünen Stimmen holen kann, während ihr zur FPÖ weiter nichts einfällt“.

Ein dominantes Thema

Für die SORA-Wahltagsbefragung wurden über 1.200 Wahlberechtigte in Tirol von 19. bis 24. September telefonisch und online befragt. 54 Prozent nannten Inflation als das Thema, über das sie am häufigsten im Wahlkampf diskutiert haben. Jeweils 37 Prozent der Befragten führten „Sicherung der Energieversorgung“ und „leistbares Wohnen“ an. Gleich 88 Prozent finden, dass man sich das Leben in Tirol immer schwerer wird leisten können.

Relativ gute Nachrichten für Nehammer

Erleichtert könne am Abend der Tirol-Wahl Bundeskanzler Karl Nehammer sein. Das befindet jedenfalls „Kurier“-Innenpolitik-Expertin Daniela Kittner in einem Kommentar: „Obwohl die ÖVP zehn Prozentpunkte verliert, kann Nehammer auch über dieses Ergebnis erleichtert sein. Parteiintern waren 30 Prozent als kritische Marke ausgegeben worden, diese wurde deutlich übersprungen. Wäre die Tiroler ÖVP darunter geblieben, hätte erneut eine Kanzlerdebatte eingesetzt. Karoline Edtstadler ist bereits als Favoritin für den Kanzlerposten gehandelt worden. Diese Debatte dürfte nun ausbleiben, auch weil ein weiterer Kanzlerwechsel für die Grünen, die aus dieser Wahl geschwächt hervorgehen, schwer mitzutragen wäre.“

„Politisch glimpflicher als mathematisch“ – so sei die ÖVP am Sonntag in Tirol davongekommen, befindet Ernst Sittinger von der „Kleinen Zeitung“: „Erstens war das Erwartungsmanagement auf Pessimismus angelegt. ÖVP-Kandidat Anton Mattle hat die schlechten 34 Prozent von vornherein als eine Art Wunschziel ausgegeben, und weil mehrere Umfragen die Landesschwarzen sogar unter der 30-Prozent-Marke wähnten, sieht das Resultat nun schon fast wieder wie ein Sieg aus.“ Und mit zwei fast gleich starken Zweiten habe man trotz Riesenverlusts auch künftig zwei Machtoptionen.

Die Themen der Wahl

Inflation und steigende Preise, gefolgt von „Sicherung der Energieversorgung“ sowie „leistbares Wohnen“ waren die Themen, die die Wählerinnen und Wähler laut Wahltagsbefragung von ISA/SORA für den ORF bei der Tiroler Landtagswahl am meisten beschäftigt haben. Dahinter rangieren der Krieg in der Ukraine, Umweltschutz und Pflege. Covid kam eine untergeordnete Rolle zu und kam bei den Befragten doch erst an neunter Stelle.

Was der Politik zu denken geben könnte, ist jedenfalls das gefallene Vertrauen darauf, dass Landespolitik ein besseres Leben für die Menschen im Land schaffen kann. Nur noch 49 Prozent der Befragten vertrauen darauf, dass die Landespolitik gute Lösungen entwickeln kann, zwei Drittel befinden, dass sich die Gesellschaft immer mehr auseinander entwickelt.