Rekrutierung in  Machatschkala (russische Republik Dagestan)
IMAGO/TASS
Proteste in Russland

Dagestan im Fokus der Teilmobilmachung

Die seit Tagen anhaltenden Proteste in Russland gegen die Teilmobilmachung von Präsident Wladimir Putin für den Angriffskrieg in der Ukraine eskalieren vor allem in der Region Dagestan. Von Aktivisten verbreitete Videos zeigen gewalttätiges Vorgehen der Polizei bei den Protesten, die Kaukasus-Region ist gleich aus mehreren Gründen besonders betroffen. Russland räumte unterdessen Fehler bei der Teilmobilmachung ein.

Dagestan ist eine multiethnische Region mit einer muslimischen Mehrheit und eines der ärmsten Gebiete Russlands. Dagestan gehört zu den Regionen Russlands, aus denen Beobachtern zufolge besonders viele Männer eingezogen werden. Zudem ist es unter den Gebieten mit dem höchsten Anteil von im Kampf in der Ukraine Getöteten, wie aus Todesanzeigen im Internet und Zählungen durch unabhängige russische Medien hervorgeht.

Aktivisten beklagen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten besonders stark von der Mobilmachung betroffen sind und sprechen deshalb teils sogar von „ethnischen Säuberungen“. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezog sich am Montag in seiner Ansprache in der Nacht auf Montag auf die Proteste: „Wir sehen, dass Menschen, besonders in Dagestan, angefangen haben, um ihr Leben zu kämpfen“, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Montag.

Beobachter: Über 100 Festnahmen am Sonntag

Nach Angaben von Aktivisten wurden alleine am Sonntag mehr als 100 Menschen festgenommen. In Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Region Dagestan, habe die Polizei mindestens 101 Menschen festgenommen, gab die Organisation OWD-Info bekannt, die sich auf die Beobachtung von Oppositionsaktionen spezialisiert hat.

Grafik zu Dagestan
Grafik: APA/ORF.at

Russische Medien veröffentlichten Videos von Frauen, die sich während der Demonstration mit Polizisten streiten. „Warum nehmt ihr unsere Kinder?“, fragt eine von ihnen. Andere Videos zeigen, wie Protestierende brutal von der Polizei festgenommen werden.

Im Dorf Endirej in Dagestan blockierten Anrainer eine Straße, um so die von Putin angeordnete Teilmobilisierung zu behindern, wie die Bürgerrechtler mitteilten. Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten Gewehre in die Luft richten, dann sind Schüsse zu hören. Laut dagestanischen Medien war der Protest eine Reaktion darauf, dass aus dem Dorf 110 Männer in den Krieg gegen die Ukraine gezwungen wurden. Um die Bevölkerung zu beruhigen, erklärte der Militärkommissar der Region am Wochenende, dass zunächst nur Männer mit „speziellen Militärfähigkeiten“ eingezogen würden, keine Wehrpflichtigen.

Proteste in Dagestan gegen Teilmobilmachung

Die seit Tagen anhaltenden Proteste in Russland gegen die Teilmobilmachung von Präsident Wladimir Putin für den Angriffskrieg in der Ukraine eskalieren vor allem in der Region Dagestan. Von Aktivisten verbreitete Videos zeigen gewalttätiges Vorgehen der Polizei bei den Protesten, die Kaukasus-Region ist gleich aus mehreren Gründen besonders betroffen. Russland räumte unterdessen Fehler bei der Teilmobilmachung ein.

Schüsse in Einberufungszentrum

Auch in den Regionen Jakutien und Burjatien in Sibirien sind die Proteste gegen die Mobilmachung besonders groß. Ein Reservist eröffnete am Montag in einem Einberufungszentrum in Sibirien nach Angaben des örtlichen Gouverneurs das Feuer und verletzte einen dort arbeitenden Militärangehörigen. „In Ust-Ilimsk hat ein junger Mann auf das Militärregistrierungs- und Einberufungsbüro geschossen“, erklärte Igor Kobsew, der Gouverneur der dünn besiedelten Region Irkuzk, im Onlinedienst Telegram. Der verwundete Militärangehörige sei lebensgefährlich verletzt worden.

„Der Schütze ist sofort verhaftet worden und wird definitiv bestraft werden“, führte Kobsew fort. Nach Angaben des russischen Ermittlungskomitees ist der Verdächtige ein 25-jähriger Bewohner der Stadt Ust-Ilimsk.

Medien: Mann zündet sich an

In der Stadt Rjasan rund 200 Kilometer südöstlich von Moskau soll sich ein verzweifelter Mann indes angezündet haben. Das Medium „Nowaja Gaseta“ veröffentlichte am Montag das Video einer Überwachungskamera, auf dem zu sehen ist, wie sich eine Person mit einer Flüssigkeit übergießt und kurz darauf am ganzen Körper brennt. Augenzeugen zufolge rief der brennende Mann am Busbahnhof in Rjasan: „Ich will nicht an die Front!“

Polizisten sollen das Feuer gelöscht haben, und der Mann soll verletzt in ein Krankenhaus gekommen sein. Über seinen genauen Gesundheitszustand gab es in russischen Medien unterschiedliche Angaben. Offizielle Mitteilungen zu dem Vorfall, der sich bereits am Sonntag ereignet haben soll, gab es zunächst nicht.

Kreml räumte „Fehler“ ein

Wenige Tage nach Beginn der russischen Teilmobilmachung räumte der Kreml am Montag „Fehler“ bei der Umsetzung ein. „In der Tat gab es Fälle, in denen gegen das Dekret verstoßen wurde“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Angesichts der zahlreichen Ausreisen von Russen im kampffähigen Alter ließ Peskow durchblicken, dass Grenzschließungen nicht undenkbar seien.
„Bisher“ sei keine diesbezügliche Entscheidung getroffen worden. Zuvor hatte der russische Senator Sergej Zekow dazu aufgerufen, die Grenzen für Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren zu schließen. Auch zu Gerüchten zur Einführung des Kriegsrechts in Grenzregionen sagte Peskow, es gebe keine Entscheidung bisher.

Putin hatte in der vergangenen Woche die Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten für den Krieg in der Ukraine bekanntgegeben. In vielen Fällen waren auch ältere Menschen, Kranke, Männer ohne Erfahrung sowie Studenten eingezogen worden.

„In einigen Regionen arbeiten die Gouverneure aktiv daran, die Situation zu berichtigen“, sagte Kreml-Sprecher Peskow nun. Die Anzahl der Verstöße gegen das Dekret nehme ab, führte er aus. „Wir hoffen, dass sich das beschleunigt und dass alle Fehler korrigiert werden.“

Viele Russen wollen ausreisen

Ein Ansturm von Russen war in den vergangenen Tagen von den Grenzen zu Georgien, Finnland, Kasachstan und der Mongolei gemeldet worden. Die von der Nachrichtenagentur AFP interviewten Männer gaben alle an, mit der Ausreise einer Einberufung entgehen zu wollen.

Die finnische Grenzschutzbehörde verzeichnete am Wochenende bei den Einreisen aus Russland einen Rekord für dieses Jahr. „Das letzte Wochenende war das verkehrsreichste Wochenende des Jahres an der östlichen Grenze“, sagte Mert Sasioglu vom finnischen Grenzschutz.