LNG-Terminal in Portugal
APA/AFP/Patricia De Melo Moreira
EU-Energiepolitik

Pipeline-Projekt legt Solidaritätslücke offen

Eine neue Gaspipeline von der Iberischen Halbinsel durch Frankreich nach Mitteleuropa würde helfen, die Abhängigkeit von russischem Gas zu senken. Bereits vor Jahren liefen die Arbeiten an, 2019 wurde das Projekt aus Umwelt- und Kostengründen wieder eingestellt. Spanien und Deutschland wollen es nun wiederbeleben, Paris aber winkt ab.

Die „MidCat“-Pipeline über die Pyrenäen wäre die dritte Gasverbindung zwischen Frankreich und Spanien. Die bisher existierenden Leitungen haben nur eine geringe Leistungsfähigkeit, mit „MidCat“ könnten jährlich sieben Mrd. Kubikmeter Gas – das entspricht etwa einem Fünftel des spanischen Jahresverbrauchs – von Katalonien nach Südwestfrankreich transportiert werden. Sie würde nach Ansicht ihrer Befürworterinnen und Befürworter Europa helfen, seine Energieversorgung auf breitere Beine zu stellen.

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez wirbt daher seit Monaten dafür, die Pipeline fertig zu bauen. Unterstützt wird er dabei vom deutschen Kanzler Olaf Scholz und Portugals Ministerpräsident Antonio Costa. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach sich jedoch im September gegen das Projekt aus und bezeichnete das Argument, „MidCat“ würde die Gasprobleme Europas lindern, als „faktisch falsch“, wie jüngst auch die „Financial Times“ („FT“) schrieb. Diese Position bekräftigte Macron beim jüngsten EU-Gipfel in Prag, wenn er Gespräche auch nicht rundweg ablehnte. Doch die Priorität müssten Netzwerke für Strom haben.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
AP/Sean Kilpatrick
Macron kann keine überzeugenden Argumente für das Milliardenprojekt „MidCat“ finden

Macron: Zu teuer, zu umweltfeindlich

Macrons Begründung: Der Bau der Pipeline würde zu lange dauern, um die drohende Energiekrise jetzt zu lindern. Auch wäre es mit prognostizierten drei Milliarden Euro zu teuer und stünde dem EU-Ziel entgegen, sich von fossilen Brennstoffen zu befreien. Zudem, so Macron, seien derzeit nicht einmal die beiden bestehenden Pipelines voll ausgelastet und die Arbeiten an der Pipeline könnten Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Für Spanien ist jedoch der Bau der dritten Pipeline kein kurzfristiges bilaterales Vorhaben, sondern zielt darauf ab, die Energieversorgung der EU langfristig sicherzustellen – man müsse auch an die folgenden Winter denken. Auch könne man langfristig Wasserstoff über die Pipeline liefern, sie stehe also nicht im Widerspruch zu den Klimazielen der EU.

Teresa Ribera, Spaniens Energie- und Umweltministerin, sagte, es sei verfrüht, die Pipeline abzuschreiben. Sie sagte der „FT“: „Es handelt sich um Gespräche, die über die bilateralen Beziehungen zwischen Spanien und Frankreich hinausgehen. Hier geht es nicht um die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen durch zwei Länder. Es gibt ein größeres Bild, das berücksichtigt werden muss.“

Spanien hadert mit „Insel“-Dasein

Spanien beklagt sich seit Langem darüber, wegen seiner schlechten Verbindungen zu Frankreich eine „Energieinsel“ zu sein. Das Land könnte dank seiner sechs Terminals für Flüssigerdgas (LNG; liquefied natural gas) mit den dazugehörenden Regasifizierungsanlagen sowie zweier Pipelines aus Nordafrika deutlich mehr Erdgas in den Rest Europas liefern.

Frankreich hingegen will nicht Transitland sein, sondern selbst exportieren. Wie ein französischer Beamter vergangene Woche gegenüber dem Nachrichtenportal Politico bestätigte, will Paris kurzfristig Flüssiggas von den eigenen LNG-Terminals liefern – und in Zukunft auch mit Wasserstoff, der mit Atomstrom produziert wird, seine eigene marode Atomindustrie schützen.

Im Dezember 2017 demonstrieren Menschen in Barcelona gegen den Bau von MidCat
IMAGO/ZUMA Wire
Umweltaktivisten und -aktivistinnen hatten mit dem Projekt von Anfang an keine Freude

Plan B liegt parat

In Madrid existiert inzwischen ein Plan B. Der spanische Gasnetzbetreiber Enagas und der italienische Gaskonzern Snam prüfen den Bau einer Unterseeleitung von Barcelona in das norditalienische Livorno, die Frankreich umgehen würde. Die mehr als 700 Kilometer lange Pipeline auf dem Meeresboden, die später auch für „grünen“ Wasserstoff nutzbar wäre, würde allerdings mehr kosten und länger dauern, wie Ribera kürzlich in einem „Handelsblatt“-Interview sagte.

Ob das Gezerre um „MidCat“ damit ein Ende findet, ist noch ungeklärt. Die Europäische Kommission, die die Pipeline früher als Projekt von gemeinsamem europäischem Interesse (PCI) betrachtete, das für eine EU-Finanzierung infrage kommt, hat sie inzwischen jedenfalls von der Liste gestrichen. „Potenziell förderfähig wären Wasserstoff-Infrastrukturprojekte“, sagte ein Kommissionssprecher Anfang September.

Diametrale Sichtweisen

Befürworter und Befürworterinnen des Projekts versuchen nun, „MidCat“ als Bindeglied zur Wasserstoffstrategie der EU darzustellen, wie das Onlinenachrichtenportal EURACTIV berichtete. „Das ist nicht unsere Erfindung, sondern das, was im RepowerEU-Plan steht“, sagte Enagas-Chef Arturo Gonzalo Aizpiri. In Frankreich scheint das nicht angekommen zu sein. Thierry Bros, ein Energieexperte an der Sciences Po, dem Institut für politische Studien in Paris, sagte der „FT“, der Vorstoß für die Pipeline habe wenig mit europäischer Solidarität oder dem Ukraine-Krieg zu tun.

„Die Deutschen haben ihre Gas- und Stromnetze nicht richtig verwaltet. Die Spanier haben zu viele LNG-Terminals gebaut“, sagte Bros. „Ich sehe nicht ein, warum Frankreichs Steuerzahler für die Fehler Spaniens und Deutschlands zahlen sollen.“ Der Weg zu der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union jüngst geforderten „Energiesolidarität“ in der EU dürfte ein langer werden.