Stimmzettel werden in Donezk ausgezählt
Reuters/Alexander Ermochenko
Nach Scheinreferenden

Moskau fixiert Fahrplan für Annexion

Nach den völkerrechtswidrigen Scheinreferenden will Russland am Freitag die Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete offiziell machen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin wird an der Zeremonie im Großen Kremlpalast teilnehmen, kündigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow an. Im Ausland reißt die Kritik an den Scheinreferenden nicht ab.

„Im Großen Kremlpalast findet um 15.00 Uhr (14.00 Uhr MESZ) eine Zeremonie zur Unterzeichnung von Abkommen über den Beitritt neuer Gebiete in die Russische Föderation statt“, so Peskow. Putin werde im Anschluss eine Rede halten und die von Russland in den annektierten Gebieten eingesetzten Verwalter empfangen, hieß es.

In der russischen Hauptstadt wurden für Freitag die Feierlichkeiten zur Aufnahme der ukrainischen Regionen in die Russische Föderation vorbereitet. Die Behörden kündigten die Sperrung von Straßen im Zentrum an, vor allem um den Roten Platz herum.

Bühnenaufbauten in Moskau
Reuters/Evgenia Novozhenina
Moskau bereitete sich am Donnerstag auf die Zeremonie vor

Peskow sagte, dass es sich bei der Zeremonie noch nicht um die Ansprache Putins vor der Föderationsversammlung – den beiden Kammern des russischen Parlaments – handle. Diese solle erst später stattfinden. Die beiden Kammern haben bereits angekündigt, ihrerseits am Montag und am Dienstag über die Annexionen zu entscheiden.

Separatistenchefs in Moskau

Auch die vier Chefs der von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen werden laut Peskow bei der Zeremonie anwesend sein. Die Chefs der prorussischen Verwaltungen in der ostukrainischen Region Donezk sowie in den südukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson seien bereits am Mittwochabend mit dem Flugzeug in der russischen Hauptstadt gelandet, meldeten russische Nachrichtenagenturen. Auch der Separatistenchef in der Region Luhansk hielt sich bereits in Moskau auf, wie er selbst der staatlichen Agentur TASS sagte.

Die mehrtägigen Scheinreferenden in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk sowie in den südukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson gingen am Dienstag zu Ende, tags darauf baten die Anführer der dortigen Separatisten formell Putin um die Annexion.

Die russischen Besatzer sprachen von einer angeblich überwältigenden Zustimmung von teils sogar mehr als 99 Prozent. Es wurde bereits erwartet, dass die Besatzungsverwaltungen anschließend bei Putin offiziell die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen würden – und so eine beispiellose Annexionswelle beginnt.

Beobachter wiesen auf schwere Mängel hin

Die Gebiete entsprechen zusammen grob der Fläche Portugals und machen zusammen etwa 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes aus. Mit einem Anschluss könnte die Regierung in Moskau die ukrainische Gegenoffensive zur Rückeroberung der Gebiete als einen Angriff auf Russland darstellen. Putin hat erklärt, er sei bereit, die „territoriale Integrität“ seines Landes mit Atomwaffen zu verteidigen.

Karte zeigt Ostukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ISW, OCHA

Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten wurden. Beobachter hatten in den vergangenen Tagen auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die ukrainischen Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

Selenskyj beruft Nationalen Sicherheitsrat ein

Im Hinblick auf die geplante Annexion kommt in der Ukraine noch vor dem Wochenende der Nationale Sicherheitsrat zusammen. „Präsident Wolodymyr Selenskyj beruft für morgen dringend eine Sitzung des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ein“, teilte Präsidentensprecher Serhij Nykyforow am Donnerstag auf Facebook mit.

Russland kündigt Annexion an

Russland will die vier besetzten Gebiete in der Ukraine am Freitag offiziell annektieren. Die Situation wird damit weiter verschärft.

Die Tagesordnung und andere Einzelheiten würden später mitgeteilt, hieß es. Der Sicherheitsrat ist ein Gremium unter Vorsitz des ukrainischen Präsidenten. Zu ihm gehören unter anderen die Chefs von Armee und Geheimdiensten, Verteidigungs- und Innenminister und andere Regierungsmitglieder.

Guterres: Annexionen inakzeptabel

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat die angekündigte Annexion von ukrainischen Gebieten durch Russland scharf verurteilt und als rechtlich wertlos beschrieben. „Sie ist nicht mit dem internationalen Recht vereinbar. Sie stellt sich gegen alles, wofür die internationale Gemeinschaft stehen soll“, sagte Guterres. Die Ankündigung des Kreml stelle eine gefährliche Eskalation dar, habe „keinen Platz in der modernen Welt“ und dürfe nicht akzeptiert werden, so der UNO-Generalsekretär.

Scharfe Kritik an Scheinreferenden

Die Kritik an den Scheinreferenden hält an: Am Donnerstag verurteilte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock die Vorgänge in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine. Die Menschen seien unter Drohungen und manchmal sogar mit vorgehaltener Waffe „aus ihren Wohnungen und von ihren Arbeitsplätzen geholt und gezwungen worden, ihre Stimme abzugeben und den Wahlzettel in eine gläserne Wahlurne zu stecken“, kritisierte sie in Berlin.

„Dies ist das Gegenteil von freien und fairen Wahlen. Und dies ist das Gegenteil von Frieden. Es ist der diktierte Frieden, der Diktatfrieden“, ergänzte sie. „Solange dieses russische Diktat in den besetzten Gebieten der Ukraine gilt, ist kein Bürger frei oder sicher. Kein Bürger ist geschützt“, sagte Baerbock.

Westliche Politikerinnen und Politiker bezeichneten die Abstimmungen schon in den vergangenen Tagen als illegal. Auch Österreich verurteilte die Abhaltung der Scheinreferenden „aufs Schärfste“. „Sie sind ein weiterer schwerwiegender Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“, schrieb das Außenministerium in einer Stellungnahme von Mittwoch. Der ukrainische Präsident Selenskyj sprach von einer „Farce“.

Peskow: Eroberung von Donezk als „Mindestziel“

Schon an Mittwoch hatte Peskow gesagt, dass Russland den Krieg auch nach den Scheinreferenden fortsetzen wolle – jedenfalls bis zur Eroberung des gesamten Gebiets Donezk. Bisher kontrollieren die russischen Truppen und die Separatistenverbände rund 58 Prozent des ostukrainischen Gebiets.

„Sie wissen ja, dass nicht das gesamte Territorium der Donezker Volksrepublik befreit ist“, sagte Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. „Deshalb, als ein Minimum, müssen wir das gesamte Gebiet der Donezker Volksrepublik befreien.“ Das russische Verteidigungsministerium hatte eingeräumt, dort viel langsamer voranzukommen als geplant.