„Verschwinden/Izginjanje“

Wenn eine Sprache verloren geht

Fünfzig Jahre nach dem Ortstafelsturm wirft der aufrüttelnde Essayfilm „Verschwinden/Izginjanje“ einen Blick auf die Situation der Kärntner Sloweninnen und Slowenen. Die Minderheitenrechte sind längst nicht eingelöst, ein wesentliches Stück Kärntner Geschichte droht verloren zu gehen.

„Das ist bei uns Brauchtum, zu Christus Auferstehung.“ Das Böllerschießen am Karsamstag nehmen die jungen Burschen in Plescherken in Südkärnten ernst, die ganze Nacht lang, bis zum nächsten Vormittag. Das wird immer schon so gemacht. Doch sie sind zu jung, um noch Slowenisch zu können, sagt einer. „Der Papa hat mit der Oma immer slowenisch geredet. Ich hätt’s gern gelernt. Wenn man am Lagerfeuer zusammensitzt und die Älteren reden slowenisch, und man versteht nur ein bissl was, das ist schad’.“

Was geht verloren, wenn eine Sprache stirbt? In der Gegend um den Heimatort der Filmemacherin Andrina Mračnikar, Keutschach/Hodiše, sprachen vor hundert Jahren noch um die 90 Prozent aller Menschen Slowenisch. Heute sind es weniger als fünf Prozent, die die Sprache im Alltag noch nutzen, obwohl ihre Wurzeln slowenisch sind. Vielen ist ihre Herkunft gar nicht mehr bewusst, die Namen wurden längst germanisiert, wie es zwischenzeitlich auch bei der Familie der Regisseurin war, deren Name zu „Mratschnigger“ germanisiert worden war.

Still aus dem Film „Verschwinden“
Filmdelights
Proteste gegen das Verschwinden: Kärntner Sloweninnen und Slowenen gehen auf die Straße für ihre Rechte

In „Verschwinden/Izginjanje“ untersucht Mračnikar den Status quo der Kärntner Sloweninnen und Slowenen, mehr als hundert Jahre nach der historischen Volksabstimmung: Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde die überwiegend slowenischsprachige Bevölkerung Südkärntens 1920 befragt, ob das Gebiet an Österreich oder an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen angeschlossen werden sollte.

„Wir hatten nichts“

Die Mehrheit sprach sich damals für die junge Republik Österreich aus, darunter auch der slowenischsprachige Urgroßvater der Filmemacherin. Im Gegenzug wurde den Kärntner Sloweninnen und Slowenen Gleichberechtigung versprochen, also etwa auch, Amtswege in ihrer Muttersprache erledigen zu können, denn die Kinder slowenischer Familien lernten damals oft erst in der Schule Deutsch. Doch die Realität sah anders aus. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde die slowenische Sprache ganz verboten. Wer slowenisch sprach, riskierte Bestrafung, später sogar Deportation.

Auch nach dem Krieg war die Stimmung feindselig, erinnert sich Elisabeth Sitter, die Großmutter der Regisseurin, im Film. Sitter war mit ihrer Mutter und den Schwestern in ein deutsches Arbeitslager deportiert worden, ihr Vater und ein Bruder überlebten das KZ Dachau, ein Bruder wurde als 17-Jähriger zwangsrekrutiert und starb an der Front. Nach der Rückkehr war der heimatliche Hof zerstört, auf Fotos der Zeit trägt der Urgroßvater bei der Arbeit noch die gestreiften Hosen aus dem KZ. „Wir hatten ja nichts.“

Zerstörte Schilder und ein totes Pferd

Freundlich empfangen wurden die Rückkehrer nicht. Die versprochenen Minderheitenrechte wurden weiterhin nicht eingelöst. Das Recht auf zweisprachige Ortstafeln wurde erst rund um die 50-Jahr-Feier der Volksabstimmung 1970 wieder ernsthaft Thema, zwei Jahre danach wurden in 205 Gemeinden die neuen Ortstafeln aufgestellt – doch sie standen nur wenige Tage. Beim Ortstafelsturm zog ein faschistischer Mob durch das Land, riss die Tafeln aus den Verankerungen, teils unter den Augen der Gendarmarie.

Im Film erinnert sich Mračnikars Onkel an diese Tage, er war damals ein Kind. Unbekannte erhängten nachts die Lieblingshaflingerstute Gerda mit einer Eisenkette im Stall, er sah am Morgen das tote Pferd im Stall und hatte danach Angst in der Schule, für Stallgeruch ausgelacht zu werden. „Ich war damals zehn und hab begriffen: Das war, weil wir selbstbewusste Slowenen waren.“ Bis heute ist die Ortstafelfrage mit einem Kompromiss nur unzureichend gelöst. In Keutschach/Hodiše etwa gibt es bis heute keine Tafel, lediglich eine Geschwindigkeitsbegrenzung.

„Ich höre manchmal, dass man in anderen Bundesländern die Bedeutung nicht recht versteht“, so die Filmemacherin im Interview gegenüber ORF.at und erläutert: „Ohne die Tafeln sind die Kärntner Sloweninnen einfach unsichtbar. Es ist auch ein Zeichen, dass man hier zu Hause ist und dass man willkommen ist.“ Ohne zweisprachige Ortstafeln gehen auch die Ortsnamen verloren und das Wissen um ihre Bedeutung. „Viele der deutschen Ortsnamen sind ja falsche Übersetzungen aus dem Slowenischen, andere sind Germanisierungen. Die slowenischen Ortsnamen hingegen erzählen eine Geschichte.“

Die Sprache der Zärtlichkeit

Schon in ihrem ersten kurzen Dokumentarfilm „Andri 1924–1944“ (2002) hat sich Mračnikar mit ihrem Großonkel befasst, der von der Wehrmacht desertiert war und sich den Partisanen angeschlossen hatte, bevor er gefangengenommen, gefoltert und ermordet wurde. Für ihre zweite Doku „Der Kärntner spricht Deutsch“ (2006) hörte sie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu, Partisanen, einem Überlebenden des Peršmanhof-Massakers, der damals ein Kind gewesen war, und Kärntner Sloweninnen und Slowenen, die in Konzentrationslager deportiert worden waren.

Nach diesen beiden Filmen, die sich mit der Vergangenheit der Kärntner Slowenen auseinandersetzten, ist „Verschwinden/Izginjanje“ ein genauer Blick auf die Gegenwart. Es kommen Familienmitglieder von Mračnikar zu Wort, Politiker, Aktivistinnen, Rechtsnationale und Historiker, und vor allem führt die Stimme der Filmemacherin selbst durch den Film, mit subjektiven Beobachtungen, die die Situation greifbar machen.

Still aus dem Film „Verschwinden“
Filmdelights
Die Familie Mračnikar in den 70er Jahren

„Während der Arbeit an diesem Film kam mein Sohn Milo zur Welt, und ich könnt gar nicht anders, als slowenisch mit ihm sprechen“, so Mračnikar im Film. „Der Impuls, mit Kindern und Tieren slowenisch zu sprechen, ist ganz automatisch für mich, das Deutschsprechen fühlt sich seltsam an.“ Es ist ihre Muttersprache, die kulturelle Identität bedeutet und emotionale Verbundenheit vermittelt. Ähnlich empfinden bis heute viele Kärntner Sloweninnen und Slowenen, doch die Umgebung reagiert oft mit Unverständnis.

„Menschen wachgerüttelt“

Gegenüber ORF.at erzählt die Regisseurin von Reaktionen auf den Film, bei denen Frauen aus dem Publikum erzählen, dass sie als zweisprachige Mütter diskriminiert wurden, wenn sie mit ihren Kindern slowenisch sprechen, „wo dann von Ärzten oder Lehrern gesagt wurde, Zweisprachigkeit sei schädlich, Zweisprachigkeit degeneriert, solche Dinge. Man ist dem als Mutter sehr stark ausgeliefert.“ Nach der Volksschule gibt es an vielen Orten keine Schulen, wo Slowenisch gelernt werden kann, Deutsch ist die dominante Sprache in der Umgebung.

Mračnikar sagt: „Ich werde weiterhin mit meinem Sohn slowenisch sprechen, jeden Tag.“ Ihr Film könnte ein weiterer Schritt sein, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen. Bei der Diagonale wurde er mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. „Wie weit das wirklich geht, kann ich nicht sagen, aber das hat auch Menschen wachgerüttelt.“