US-Präsident Joe Biden
Reuters/Tom Brenner
Atomwaffendrohung

Biden vergleicht Weltlage mit Kuba-Krise

US-Präsident Joe Biden sieht die Gefahr einer atomaren Konfrontation mit katastrophalen Folgen nach Drohungen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr. Die Welt sei seit der Kuba-Krise im Jahr 1962 nicht vor der Aussicht auf ein „Armageddon“ gestanden, sagte Biden in der Nacht auf Freitag.

Das berichteten Journalisten und Journalistinnen, die mit dem US-Präsidenten zu einem Auftritt in New York mitgereist waren. Er kenne den russischen Präsidenten Wladimir Putin ziemlich gut, sagte Biden. Der Kreml-Chef scherze nicht, wenn er über den potenziellen Einsatz taktischer Atomwaffen sowie Chemie- und Biowaffen spreche, da das russische Militär in den Kampfhandlungen in der Ukraine schwächle. Seit Februar dieses Jahres führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die Kuba-Krise war eine dramatische Zuspitzung des Kalten Krieges im Oktober 1962, nachdem die Sowjetunion Mittelstreckenraketen auf der Insel stationiert hatte. Die beiden Supermächte waren in dem rund zweiwöchigen Konflikt einem Atomkrieg nahe gekommen, räumten die Gefahr jedoch mit Verhandlungen aus.

Sorge vor Eskalation

Russland hatte zuletzt vier besetzte ukrainische Gebiete völkerrechtswidrig annektiert, und Putin kündigte an, man werde sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Aber wegen der russischen Rückschläge in der Ukraine wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation und einem Einsatz von Atomwaffen. Insbesondere die Rede Putins am Freitag letzter Woche, in der er sagte, dass die USA mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs einen „Präzedenzfall“ geschaffen hätten, blieb laut BBC in westlichen Regierungen nicht unbemerkt.

Russischer Präsident Wladimir Putin
Reuters/Sputnik
Putin führt seit Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine

Biden sagte, er glaube nicht, dass es möglich wäre, einfach taktische Atomwaffen einzusetzen, ohne dass das zu einem „Armageddon“ führen würde. Er und seine Mitarbeiter suchten nach einem diplomatischen Ausweg. „Wir versuchen herauszufinden, wie Putin aus dieser Situation herauskommt. Wie kann er das schaffen, nicht nur ohne sein Gesicht zu verlieren, sondern auch seine Macht in Russland?“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnte, dass sich Moskau durch die vielen Rückschläge in der Ukraine zum Einsatz von Atomwaffen gezwungen fühlen könnte. Die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich am Donnerstag besorgt über die jüngsten Drohszenarien. Der Angriff auf die Ukraine sei eine „tiefgreifende Zäsur“ gewesen, und zwar eine, „bei der wir alle gut beraten sind, Worte ernst zu nehmen und uns ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen und sie nicht von vornherein als Bluff einzustufen“.

USA warnten Russland

Die USA hatten die russische Führung vor einigen Tagen gewarnt, dass ein Einsatz taktischer Atomwaffen schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen werde. Zugleich wollte sich das Weiße Haus nicht öffentlich dazu äußern, wie diese Konsequenzen aussehen könnten.

Militärschiffe USS Vesole und Polzunov nebeneinander vor Kuba
AP
Die Kuba-Krise dauerte knapp zwei Wochen

Das US-Präsidialamt hatte zuvor allerdings des Öfteren betont, es gebe trotz Putins „nuklearen Säbelrasselns“ keine Anzeichen dafür, dass sich Russland auf einen Einsatz von Atomwaffen vorbereite. In der Nacht auf Freitag meinte Biden jedoch: „Zum ersten Mal seit der Kuba-Krise haben wir eine direkte Bedrohung durch den Einsatz von Atomwaffen, wenn die Dinge so weitergehen wie bisher.“

In einem Leitartikel der großen russischen Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ wurden „hochrangige russische Beamte“ heftig dafür kritisiert, dass sie „über den Atomknopf sprechen“. „Die Möglichkeit eines Atomkonflikts in Gedanken und Worten zuzulassen ist ein sicherer Schritt, um ihn in der Realität zuzulassen.“ Paul Stronski von der Carnegie Endowment for International Peace sagte gegenüber BBC, dass Russlands „destabilisierende Rhetorik“ darauf abziele, den Westen abzuschrecken.

Selenskyj: NATO muss Atomwaffeneinsatz verhindern

Die NATO muss nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Möglichkeit eines russischen Atomwaffeneinsatzes verhindern. Die NATO „muss die Möglichkeit eines Atomwaffeneinsatzes durch Russland ausschließen. Wichtig ist aber – ich wende mich wie vor dem 24. Februar deshalb an die Weltgemeinschaft –, dass es Präventivschläge sind, damit sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie sie anwenden.“

Selenskyj fordert von NATO Präventivschlag

Der ukrainische Präsident Selenskyj lässt mit einer Aussage aufhorchen, in der er von der NATO einen Präventivschlag fordert, um einen russischen Atomschlag zu verhindern. US-Präsident Joe Biden sieht die Gefahr einer atomaren Konfrontation mit katastrophalen Folgen nach Drohungen aus dem Kreml so groß wie seit 60 Jahren nicht mehr.

Er betonte: „Nicht umgekehrt: auf Schläge von Russland warten, um dann zu sagen: ‚Ach, du kommst mir so, dann bekommst du es jetzt von uns.‘“ Die Äußerungen sorgten auf russischer Seite für Aufregung. Ein Selenskyj-Sprecher sagte umgehend, Selenskyjs Forderung sei falsch verstanden worden. Der ukrainische Präsident habe lediglich gesagt, vor dem 24. Februar – dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine – wären Präventivmaßnahmen nötig gewesen, um den Krieg zu verhindern.