Menschenrechtsaktivisten Ales Bjaljazki
Reuters/TT News Agency/Anders Wiklund
Aus Russland, Ukraine, Belarus

Friedensnobelpreis für Demokratieaktivisten

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ist am Freitag in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen worden. Die Auszeichnung ging heuer an den inhaftierten belarussischen Politiker und Aktivisten Ales Bjaljazki, die russische Organisation Memorial und das ukrainische Center for Civil Liberties.

Das gab das Norwegische Nobelkomitee am Freitag in Oslo bekannt. Bjaljazki und die beiden Organisationen würden die Zivilgesellschaft in ihren Heimatländern repräsentieren und deren Rolle bei der Eingrenzung von Macht aufzeigen, so das Komitee. Seit vielen Jahren würden die Aktivisten Machtmissbrauch, Menschenrechtsverletzung und Kriegsverbrechen dokumentieren.

Der vielfach ausgezeichnete Bjaljazki setzt sich seit fast 30 Jahren in Belarus für Demokratie und Freiheit ein. Im Jahr 1996 gründete er zur Unterstützung politischer Gefangener das Menschenrechtszentrum Wjasna („Frühling“) in Minsk. Inzwischen ist dieses zur führenden Nichtregierungsorganisation des Landes geworden und trägt durch die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und die Beobachtung von Wahlen zur Entwicklung der Zivilgesellschaft in Belarus bei.

Menschenrechtsaktivisten Ales Bjaljazki vor belarussischen Gericht 2011
AP/Sergei Grits
Bjaljazki bei einem Prozess 2011

Als aktives Mitglied der nationalen Menschenrechtsbewegung wurde Bjaljazki verhaftet und verbrachte mehrere Jahre im Gefängnis. Nach den Protesten in Belarus wurde er Mitglied des im April 2020 gegründeten Koordinierungsrates der Opposition, der einen friedlichen Machtübergang im Land zum Ziel hat. Im Juli des Vorjahres wurde er verhaftet, im Oktober wegen angeblicher Steuerhinterziehung festgenommen. Eine Freilassung ist nicht absehbar.

Friedensnobelpreis an Menschenrechtler

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an den belarussischen Menschenrechtsaktivisten Ales Bjaljazki, die russische Menschenrechtsorganisation Memorial und das ukrainische Center for Civil Liberties.

Die Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, Berit Reiss-Andersen, forderte die Behörden in dem autoritär regierten Land auf, Bjaljazki freizulassen. Dessen Ehefrau Natalja Pintschuk sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie sei „überwältigt von ihren Gefühlen“ und „dankbar“. Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja schrieb auf Twitter von einer „Anerkennung für alle Belarussen, die für Freiheit und Demokratie kämpfen“. Er sei der „Stolz der Belarussen“.

Memorial vor dem Krieg verboten

Memorial gehört zu den bekanntesten Menschenrechtsorganisationen Russlands. Sie hatte 1989 begonnen, den stalinistischen Terror aufzuarbeiten. Seither befasst sie sich mit politischer Repression und dem Schutz von Menschenrechten in Russland. Bereits im Dezember – also noch vor dem Überfall auf die Ukraine – beschloss der Oberste Gerichtshof in Moskau die Auflösung der Menschenrechtsorganisation. Der Gerichtsbeschluss stieß auf breites Entsetzen.

Logo der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial
Reuters/Maxim Shemetov
Memorial gehört zu den wichtigsten NGOs Russlands

Memorial-Mitgründerin Swetlana Gannuschkina zeigte sich überglücklich. „Was? Memorial? Unser Memorial? Wie das denn, ist doch aufgelöst“, sagte die 80-Jährige der dpa in Moskau. „Das ist eine große Anerkennung für diejenigen Menschen in Russland, die diesen furchtbaren Krieg gegen unseren Nachbarn Ukraine nicht unterstützen. Es ist nämlich nicht so wie oft dargestellt, dass die Russen für den Krieg sind. Viele schämen sich für ihr Land“, sagte die Menschenrechtlerin.

Sie verwies auch auf russische Hilfsbereitschaft für ukrainische Flüchtlinge. „Das zeigt abseits von den Protesten, die gefährlich sind, dass jeder etwas tun kann, um zu demonstrieren, dass er nicht einverstanden ist mit dem Kurs des Landes.“

Krisai zu Menschenrechtslage in Russland

Paul Krisai, ORF-Korrespondent für Russland, ordnet ein, wie schwer sich die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in Russland derzeit gestaltet.

Gannuschkina sagte, dass Memorial zwar auf Anweisung der russischen Behörden aufgelöst sei. Die Strukturen und die Projekte gebe es aber noch. Sie würden weitergeführt. Dafür werde auch Geld gebraucht, sagte sie. Sie freue sich auch für Bjaljazki und das Center for Civil Liberties

Ukrainische NGO bekannt von Maidan-Protest

Die ukrainische Menschenrechtsorganisation Center for Civil Liberties setzt sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft und für die Durchsetzung des Rechtsstaates und des internationalen Rechts ein. 2013 rückte die Organisation im Zusammenhang mit rechtlicher Hilfestellung für Betroffene und Dokumentation der Menschenrechtsverstöße während der Euromaidan-Proteste in Kiew oder in der Ostukraine ins Rampenlicht.

„Ein Morgen mit guten Nachrichten. Wir sind stolz“, twitterte die Organisation nach der Verkündung der Auszeichnung. „Jetzt sprechen die Armeen, weil die Stimmen der Menschenrechtler in unserer Region nicht zu hören waren“, so Olexandra Matwijtschuk, Vorsitzende des Center for Civil Liberties. Gleichzeitig rief sie dazu auf, eine neue internationale Sicherheitsordnung zu schaffen und ein Kriegsverbrechertribunal für den Ukraine-Krieg zu schaffen.

Ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijitschuk
IMAGO/Ukrinform/Danil Shamkin
Olexandra Matwijitschuk ist Vorsitzende des Center for Civil Liberties

„Richtet sich nicht gegen Putin“

Die Bekanntgabe fiel am Freitag mit dem 70. Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. Auf eine entsprechende Frage sagte Reiss-Andersen: „Dieser Preis richtet sich nicht an Präsident Putin, nicht für seinen Geburtstag oder in irgendeinem anderen Sinne – außer dass seine Regierung wie die Regierung in Belarus eine autoritäre Regierung repräsentiert, die Menschenrechtsaktivisten unterdrückt.“

Die Aufmerksamkeit, die Putin auf sich gezogen habe und die in diesem Kontext relevant sei, sei die Art, wie Zivilgesellschaft und Menschenrechtler unterdrückt werden. „Das ist es, was wir mit diesem Preis ansprechen wollen. Wir geben einen Preis immer für etwas und an jemanden – nicht gegen jemanden.“

„Botschaft, dass Krieg enden muss“

Gleichzeitig sagte sie, die diesjährige Preisvergabe sei auch als Botschaft an Autokraten zu verstehen. „Es ist auch eine Botschaft, dass der Krieg enden muss“, sagte Reiss-Andersen. Das Komitee gehe in der gegenwärtigen Situation auf die Zivilgesellschaft ein, weil es der Ansicht sei, dass sie das effektivste Mittel gegen Autoritarismus und gegen Krieg ist. Eine starke Gesellschaft verhindere diese Art von Entwicklungen, sagte die Norwegerin. „Man kann zukünftige Gräueltaten verhindern.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte den Mut der diesjährigen Friedensnobelpreisträger. „Das Nobelpreiskomitee hat den außerordentlichen Mut dieser Männer und Frauen anerkannt, die gegen die Alleinherrschaft aufstehen“, schrieb sie auf Twitter. „Sie verdeutlichen die wahre Macht der Zivilgesellschaft im Kampf für die Demokratie“, so von der Leyen.

Kritik aus Selenskyj-Büro

Kritik kam aus dem Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Das Nobelpreiskomitee hat eine interessante Auffassung des Wortes ‚Frieden‘, wenn den Friedensnobelpreis zusammen Vertreter zweier Länder erhalten, die ein drittes überfallen haben“, schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, am Freitag auf Twitter. Weder russische noch belarussische Organisationen seien in der Lage gewesen, einen Widerstand gegen diesen Krieg zu organisieren. „Der diesjährige Nobelpreis ist ‚super‘“, ironisierte der 50-Jährige.

Die Regierung in Belarus reagierte unterdessen mit scharfen Worten auf die Nobelpreisverleihung an Bjaljazki. In den vergangenen Jahren sei eine Reihe der Entscheidungen des Nobelkomitees „derart politisiert, dass Alfred Nobel sich vor Schmerzen im Grab umdreht“, schrieb der Sprecher des belarussischen Außenministeriums, Anatoli Glas, auf Twitter.

Erwarteter Fokus auf Ukraine

343 Kandidatinnen und Kandidaten – 251 Persönlichkeiten und 92 Organisationen – waren diesmal nominiert. Als mögliche Preisträger waren im Vorfeld unter anderen Tichanowskaja, der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj genannt worden. Auch das Onlinemedium The Kyiv Independent und das ukrainische Volk zählten die Wettbüros zu ihren Favoriten.

Auch Klimaaktivistin Greta Thunberg und der britische Naturforscher David Attenborough waren im Gespräch. Die Klimaschutzbewegung gilt schon länger als potenzieller Kandidat.

Russland-Bezug auch bei Vorjahrespreis

Im vergangenen Jahr waren die Journalistin Maria Ressa von den Philippinen und der Journalist Dmitri Muratow aus Russland für ihren Kampf für die Meinungsfreiheit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Muratow ist Reporter und Chefredakteur der russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, die bereits vor dem Krieg verboten wurde.

Muratow widmete den Preis ermordeten russischen Journalistinnen und Journalisten sowie der Redaktion seiner Zeitung. Nach Kriegsausbruch versteigerte er die 175 Gramm schwere Goldmedaille des Friedensnobelpreises zugunsten ukrainischer Flüchtlinge für fast 100 Millionen Dollar. Das Geld soll ukrainischen Geflüchteten zugutegekommen sein.

Wirtschaftspreis steht noch aus

Diese Woche wurden in Stockholm bereits die Nobelpreise für Medizin, Physik, Chemie und Literatur verkündet. Am Montag folgt die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften. Der Friedensnobelpreis wird als einziger der Nobelpreise nicht im schwedischen Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo verliehen.

Dotiert sind alle Nobelpreise in diesem Jahr erneut mit zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp 920.000 Euro) pro Kategorie. Überreicht werden sie traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamiterfinder Alfred Nobel.