Untersuchung der Schäden nach dem Anschlag auf der Krim-Brücke
Reuters/Russian Investigative Committee
Brückenschäden „nicht fatal“

Russland um Beschwichtigung bemüht

Einen Tag nach der schweren Explosion auf der für Russland strategisch wichtigen Verbindungsbrücke vom Festland zur annektierten Halbinsel Krim ist das Ausmaß der Schäden noch offen. Russland ist um Beschwichtigung bemüht. Nachdem bereits am Freitag die Brücke sowohl für den Auto- wie auch den Bahnverkehr teilweise wieder geöffnet wurde, sprach am Sonntag der russische Gouverneur der Krim, Sergej Axjonow, von einer bewältigbaren Situation: „Sie ist unerfreulich, aber nicht fatal.“

Zur Untersuchung der Schäden sind russischen Nachrichtenagenturen zufolge auch Taucher im Einsatz. Diese hätten bereits in der Früh mit der Arbeit begonnen, so der stellvertretende russische Ministerpräsident Marat Chusnullin. Eine detailliertere Untersuchung oberhalb der Wasserlinie soll bis zum Ende des Tages abgeschlossen sein.

Die Krim-Brücke war Samstagfrüh von einer schweren Explosion erschüttert worden. Die genauen Hintergründe sind weiter unklar. Russischen Angaben zufolge ist ein Lastwagen explodiert. Dadurch sollen nach Darstellung russischer Ermittler weiter entfernt gleich sieben Eisenbahnkesselwagen mit Diesel in Brand geraten sein. Außerdem stürzten Teile der Brückenautobahn ins Meer. Die Frage, ob es sich um einen Unfall oder ein Angriff handelte, sorgt für anhaltende Spekulationen.

Krisai zur beschädigten Krim-Brücke

ORF-Korrespondent für Russland, Paul Krisai, ordnet die Hintergründe zur beschädigten Krim-Brücke ein und analysiert, wie sich diese Explosion auf den weiteren Verlauf des Ukraine-Krieges auswirken könnte.

Auf russischer Seite wurde bereits der Ruf nach Vergeltungsmaßnahmen Richtung Ukraine laut. „Natürlich wurden Emotionen ausgelöst, und es besteht ein gesunder Wunsch, Rache zu nehmen“, so Axjonow. In der Ukraine wurde der Vorfall gefeiert, Verantwortung wurde aber nicht übernommen.

Zerstörte Brücke bei Kerch auf der Krim
IMAGO/TASS/Moya Feodosiya
Die Bilder von der brennenden und teilweise eingestürzten Krim-Brücke dominierten am Samstag weltweit die Schlagzeilen

Zusatzvollmachten für Russlands Geheimdienst FSB

Kreml-Chef Wladimir Putin ordnete die Einrichtung einer Kommission an, die die Hintergründe des Vorfalls aufdecken soll. Zudem wies Putin per Dekret den Geheimdienst FSB an, die Kontrolle über die durch eine Explosion beschädigte Krim-Brücke zu verschärfen. „Dem FSB werden die Vollmachten übertragen zur Organisation und Koordination von Schutzmaßnahmen für den Transportweg über die Meerenge von Kertsch, für die Strombrücke der Russischen Föderation auf die Halbinsel Krim und die Gaspipeline vom Gebiet Krasnodar Krim“, heißt es in dem am Samstag veröffentlichten Dekret.

Es ist die erste Maßnahme des Kremls infolge der Explosion, die mutmaßlich durch einen Anschlag herbeigeführt wurde. Wie die Nachrichtenagentur Interfax dazu berichtete, umfasst das Dekret nicht nur die Krim-Brücke, sondern auch weitere strategisch wichtige Einrichten auf der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.

Nach Angaben von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wird Putin sich nach den Ereignissen rund um die Kreml-Brücke nicht wie zunächst von Beobachtern vermutet an das russische Volk wenden. Ein solcher Auftritt sei nicht geplant, sagte Peskow am Samstag der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge. Politische Beobachter hatten eine Ansprache des Präsidenten angesichts der schweren Schäden an der Brücke für wahrscheinlich gehalten. Zuletzt hatte Putin sich im Zuge der Annexion der vier ukrainischen Gebiete Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja sowie der Teilmobilmachung in Russland an seine Landsleute gewandt.

Ukrainische Medien sehen SBU hinter Explosion

Die Internetzeitung Ukrajinska Prawda berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise in Kiew, dass der ukrainische Geheimdienst SBU hinter der Spezialoperation stecke. Der SBU bestätigte das nicht, veröffentlichte am Samstag aber wie viele offizielle Stellen in der Ukraine in den sozialen Netzwerken Aufnahmen von der brennenden Brücke – und stellte ein Gedicht dazu.

Nach Ansicht der ukrainischen Präsidentschaft führt indes eine Spur nach Russland. „Es ist erwähnenswert, dass der explodierte Lastwagen allen Anzeichen nach von der russischen Seite auf die Brücke fuhr“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak, der hier anfügte: „Die Antworten sollten also in Russland gesucht werden.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält sich unterdessen weiter bedeckt. In der Ukraine sei es großteils sonnig und warm gewesen, „auf der Krim leider bewölkt, obwohl auch dort warm“, sagte Selenskyj in Anspielung auf die morgendliche Detonation an der Brücke in seiner nächtlichen Videoansprache.

Putins Prestigeprojekt

Die 19 Kilometer lange Brücke führt über die Straße von Kertsch, eine Meerenge zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer. Kreml-Chef Putin hatte sie selbst 2018 eröffnet und war auch in einem Zug gefahren. Passagierzüge rollen seit Ende 2019, Güterzüge seit Sommer 2020.

Russian Präsident Putin lenkt einen Lastwagen
Reuters/Alexander Nemenov
Putin steuerte 2018 bei der Eröffnung selbst einen Lkw über die Krim-Brücke

Für Moskaus Kriegseinsatz in der Ukraine spielt die Brücke eine entscheidende Rolle, denn über sie wird vom russischen Festland ein erheblicher Teil des Nachschubs für die Soldaten auf der Krim und in der größtenteils besetzten südukrainischen Region Cherson geliefert. Die Krim war in den vergangenen Monaten wiederholt Ziel ukrainischer Gegenangriffe. Unter anderem war dabei ein wichtiger Flugplatz getroffen worden.

London: Kapazität deutlich verringert

Der Autoverkehr auf der Kertsch-Brücke war etwa zehn Stunden nach der Explosion eingeschränkt wieder angelaufen, und auch dem Bahnverkehr wurde eine Freigabe erteilt. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums reichen die Treibstoffvorräte auf der Krim für einen Monat. Lebensmittel seien für mehr als zwei Monate ausreichend vorhanden. Die russischen Truppen in der Südukraine könnten zudem vollständig über bestehende Land- und Seewegsrouten versorgt werden.

Krim-Brücke teilweise wieder offen

Die in der Nacht auf Samstag bei einer Explosion schwer beschädigte Krim-Brücke ist nach Angaben des russischen Verkehrsministeriums wieder teilweise geöffnet worden.

Nach Ansicht britischer Experten dürfte der Vorfall Kreml-Chef Putin persönlich getroffen haben. „Es kam Stunden nach seinem 70. Geburtstag, er hatte die Brücke persönlich gesponsert und eröffnet und der beauftragte Bauunternehmer war sein Kindheitsfreund Arkady Rotenberg“, hieß es in einem am Sonntag veröffentlichten Geheimdienstbericht. Dieser verweist auch auf die durch die Explosion nun deutlich verringerte Kapazität der Straßenverbindung.

Zwei der vier Fahrspuren seien auf einer Länge von 250 Metern eingestürzt. Die anderen beiden Spuren würden aber wahrscheinlich wieder genutzt, hieß es in dem täglichen Geheimdienstupdate zum Ukraine-Krieg des britischen Verteidigungsministeriums. Wie schwer die daneben verlaufende Schienenverbindung beschädigt ist, sei unklar, „aber jegliche schwerere Störung ihrer Kapazität wird höchstwahrscheinlich einen erheblichen Einfluss auf die bereits angespannten Fähigkeiten Russlands haben, seine Kräfte in der Südukraine zu versorgen“.

Moskau: Zugsverkehr wieder nach Plan

Nach Angaben vom Verkehrsministerium in Moskau rollen die Güter- und Fernverkehrszüge seit Sonntag wieder nach Plan. Am Abend solle auch der Regionalverkehr wieder beginnen, hieß es. Das Ministerium veröffentlichte auch ein Foto der verbrannten Güterzugswaggons, die am Samstag in Flammen aufgegangen waren. Die Aufräumarbeiten dauerten an. Im Autoverkehr hingegen kam es zu stundenlangen Wartezeiten an der Brücke, wie Medien berichteten.

Autos vor der Kerch Brücke über die Krim
Reuters
Bereits am Samstag kam es zu langen Staus auf dem Weg zu den Fähren

Auf russischer Seite und auf der Seite des Krim-Küstenorts Kertsch bildeten sich lange Autoschlangen, weil die Behörden alle Fahrzeuge streng kontrollierten und laut Augenzeugen nur etappenweise passieren ließen. Einige Fahrer schrieben in sozialen Netzwerken, sie hätten sechs bis zwölf Stunden gebraucht, um über die 19 Kilometer lange Brücke zu kommen. Probleme und Wartezeiten gab es russischen Staatsmedien zufolge auch bei dem eigens eingerichteten Fährverkehr.