eine Frau mit Kopfhörern entspannt am Sofa
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TikTok-Hype

Rotes Rauschen gegen den Alltagsstress

Wer die aktuellen Trends auf sozialen Netzwerken verfolgt, wird bereits auf den neuesten Selfcare-Hype gestoßen sein: monotone Frequenzen, die unter dem Namen rotes Rauschen („Brown Noise“) seit dem Sommer viral gehen und einem im Alltag dabei helfen sollen, sich besser zu konzentrieren oder schneller einzuschlafen. Und tatsächlich schreiben auch Fachleute dem Rauschen eine besondere Wirkung zu – wenn auch mit einigen Einschränkungen.

Die einen hören darin einen Wasserfall, Flugzeuge, Wind oder starken Regen. Für andere wiederum bringt der Klang lästige Gedanken im Kopf zum Verstummen oder stoppt gar das Summen eines Tinnitus. Die Rede ist von rotem Rauschen, auch bekannt als „Brown Noise“, einem neutralen, verdichteten Klang, um den sich in den letzten Monaten ein regelrechter Kult entwickelt hat, wie Zugriffszahlen auf Social Media beweisen.

So gibt es etwa auf YouTube bis zu zwölfstündige Videos, in denen nur rotes Rauschen zu hören ist, in der Musik-App Spotify finden sich zahlreiche Playlists wie „Brown Sleep Noise“, „Brown Noise Naps“ und „Brown Noise for a Focused Mind“ – und auch im App-Store haben sich Applikationen dem kostenlosen Bereitstellen diverser Rauschklänge verschrieben.

Hype begann in ADHS-Onlinegemeinschaften

Begonnen hat der Rausch-Hype wohl im Sommer in Online-ADHS-Gemeinschaften, in denen Menschen sich dabei filmten, wie sie das Geräusch das erste Mal hörten. „Es handelt sich definitiv um einen Trend“, bestätigt auch Dr. Shivnaveen Bains, Kinder- und Jugendpsychiaterin an der Cleveland Clinic Akron General, die Menschen mit ADHS behandelt, der „New York Times“ („NYT“). Viele Patientinnen und Patienten hätten sie nach dem Rauschen gefragt und dabei auf Beiträge in sozialen Netzwerken verwiesen.

ADHS

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) äußert sich meist durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder Hyperaktivität. Sie beginnt in den meisten Fällen im Kindes- und Jugendalter, manchmal wird die Diagnose aber erst im Erwachsenenalter gestellt.

„Ist das real? Wo sind die Gedanken hin?!“, schreibt etwa eine Userin auf TikTok, die sich dabei filmt, wie sie zum ersten Mal „Brown Noise“ hört. „Wenn du ADHS hast, hör dir das 55 Sekunden an. Glaub mir, das ist es wert“, fordert ein User Zuschauer mit ADHS auf, es ihm nachzumachen. Rotes Rauschen sei nicht nur ein Hilfsmittel, um sich zu konzentrieren, sondern könne auch Stress abbauen und Einschlafprobleme lösen, heißt es weiter in den Kommentaren, und: „Warum ist das der perfekte Sound?“

Rotes Rauschen stoße deshalb allgemein auf eine so breite Resonanz, weil das menschliche Ohr dabei alle Frequenzen, die es wahrnehmen kann, auf einmal höre, so Daniel Berlau, der die Wirkung von Geräuschen auf ADHS untersucht hat, gegenüber der „NYT“. Das gleichzeitige Hören all dieser Frequenzen führe zu einer „eindringlichen und teilweise auch erdrückenden“ Erfahrung, die Menschen mit ADHS-Symptomen, aber auch jene ohne als angenehm empfinden würden.

Breite akustische Farbpalette

Obwohl sich die Bezeichnung „Brown“ nicht auf die Farbe, sondern den schottischen Botaniker und Namensgeber der Brownschen Molekularbewegung Robert Brown bezieht, haben Fachleute ein weiteres Spektrum von Klängen identifiziert und diese nach Farben benannt – wobei die Intensität der verschiedenen Klangfrequenzen ausschlaggebend ist.

Weißes, braunes und rosafarbenes Rauschen seien am bekanntesten und würden am häufigsten untersucht, da sich Fachleute am ehesten darüber einig seien, wie man sie reproduzieren könne, so die „NYT“. Bereits in der Vergangenheit zeigten sich Social-Media-Communities von weißem Rauschen begeistert, das Stress reduzieren soll und jenen Geräuschen ähnelt, die Fernseh- oder Radiogeräte von sich geben, wenn kein Sender eingestellt ist.

Rosa Rauschen für besseren Schlaf?

Rosa Rauschen gilt als eine weichere Version von weißem Rauschen, bei der die niedrigen Frequenzen etwas lauter wiedergegeben werden und die an leichten Regen erinnert. Es soll während des Schlafs die Erinnerungsleistung für den nächsten Tag verbessern und die Tiefschlafphasen verlängern, so der begeisterte Tenor auf sozialen Netzwerken.

Und auch die „NYT“ zitiert eine Studie, bei der 40 Teilnehmende gebeten wurden, während des Schlafs rosa Rauschen zu hören. Bei der Untersuchung der Gehirnströme der Teilnehmenden stellte sich heraus, dass diejenigen, die rosa Rauschen hörten, einen tieferen Schlaf hatten, weniger komplexe Gehirnströme aufwiesen und besser auf Schlafstörungen reagierten als diejenigen, die ohne das Rauschen schliefen.

Frequenzen können Gehirn unterschiedlich aktivieren

Und tatsächlich haben Fachleute in den letzten 20 Jahren immer mehr Beweise dafür gefunden, dass einige Klänge innerhalb des Rauschspektrums entspannende oder fokussierende Wirkungen entfalten können – nicht nur bei Menschen mit ADHS, wie eine Studie in dem Branchenmagazin „Noise and Health“ belegt.

Gleichzeitig gebe es aber keine Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten würden, dass ein bestimmtes Rauschen der Schlüssel für Entspannung oder Konzentration sei, so Yamalis Diaz, Assistenzprofessor in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der N.Y.U. Langone Health, gegenüber der „NYT“. „Frequenzen können das Gehirn auf unterschiedliche Weise aktivieren und stimulieren“, so sein Fazit.

„Nicht so wissenschaftlich, wie Leute denken“

Es gilt zudem in der Wissenschaft als schwierig, die Klänge klar voneinander abzugrenzen und zu kategorisieren, weshalb man deren vermeintlich positive Eigenschaften nicht immer belegen könne. Viele würden ähnlich klingen und ineinander übergehen, so ADHS-Forscher Berlau gegenüber der „NYT“. „Es ist nicht so wissenschaftlich, wie die Leute denken.“

Und egal ob es sich um weißes, rosa oder rotes Rauschen handle: Jedes Rauschen könne Alltagslärm wie etwa laute Nachbarn, den Verkehr und das Schnarchen des Partners ausblenden – und somit Konzentration und Schlaf fördern. Wenn die Lärmtherapie funktioniere und man das rote Rauschen nicht über einen längeren Zeitraum in einer Lautstärke über 70 Dezibel höre, könne es in jedem Fall nicht schaden, sie anzuwenden.