Ein Seil schnürt sich vom Hals abwärts rund um die perfekt geformten Brüste. Die Frau wirkt aber alles andere als devot, in den ellbogenlangen Handschuhen hat sie die Hände zur Faust geballt. Das Sujet hängt nicht umsonst im Eingangsbereich der Kunstforum-Retrospektive: Typisch Newton steht die Mode, um die es eigentlich geht, nur im Hintergrund. Die Hauptrolle spielt ein makelloser nackter Körper, skulptural und kämpferisch in Szene gesetzt.
Ermächtigung oder Objektivierung also? Männliche Fantasie oder, als starkes Frauenbild, gegen die Unterwerfungsidee letztlich grundimmun? „Im internationalen Ausland ist das längst gegessen, in der österreichischen Kunstszene stülpt man Newton die ‚#MeToo‘-Bewegung über“, ärgert sich Bank-Austria-Kunstforum-Wien-Direktorin Ingried Brugger im ORF.at-Gespräch über die Kritik, die ihrer Schau vorauseilte.
In Zeiten der wichtigen Sensibilisierung für Sexismus hat Newton aktuell keinen guten Stand – wobei die Kontroverse sein Werk schon immer begleitete, wie ein kurzer Hinweis auf Susan Sontag im Einleitungstext zur Ausstellung klarmacht: Die berühmte feministische Autorin warf ihm in einer französischen Talkshow 1981 Sexismus vor und ließ ein „Aber ich liebe doch die Frauen“ von Newton nicht gelten. Auch von einem Sklavenbesitzer könne man durchaus hören, dass er seine Sklaven liebe, so Sontag damals.
Umstrittene Bilder fehlen
Anhand von 300 ausgewählten Arbeiten aus 50 Jahren Schaffenszeit dokumentiert „Legacy“ Newtons gesamtes Schaffen – wobei ausgerechnet umstrittene Bilder fehlen, wie etwa das Sujet, das Grace Jones 1978 nackt in Ketten auf dem „Stern“-Cover zeigte und „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer zu einer (zurückgewiesenen) Unterlassungsklage wegen Sexismus bewegte. Auch die fetischisierten Rollstuhl- und Krückensujets zeigt das Kunstforum nicht, genauso wenig wie das Foto von Nadja Auermann (1994), das aussieht, als wäre sie wie eine Barbiepuppe in eine Ecke geworfen worden. Keine voreilige Zensur, beteuert Brugger.
Was die Ausstellung jedenfalls eindrucksvoll zeigt, ist der innovative Zugang, den Newton damals in die Modefotografie brachte. Der Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten hatte sich 1938 als 18-Jähriger gerade noch vor den Nationalsozialisten nach Singapur retten können. In Australien, wo er auch seine Frau und lebenslange Beraterin June Newton kennenlernte, startete er seine Karriere. Der Durchbruch folgte aber, zurück in Europa, in Paris: Die legendäre „Space Age“-Minirock-Kollektion von Andre Courreges feierte Newton mit lässigen Posen und Pagenkopfperücken in klaustrophobisch engen Räumen, womit eine gute Portion Pop in die Haute Couture kam.
Storytellig statt „schöne Kleiderständer“
Schon in den 50ern hatte Newton seine Zusammenarbeit mit der „Vogue“ begonnen, mit seinen später auch in der „Elle“ und „Queen“ publizierten Sujets brachte er frischen Wind in sein Fach. Inspiriert vom Surrealismus, von Detektivgeschichten und von Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Francois Truffaut und Federico Fellini brach er mit der klassischen Inszenierung von Frauen als „schöne Kleiderständer“ und arbeitete mit dem, was heute als „Storytelling“ längst Usus ist.
In Einzelbildern oder kleinen Serien erzählte Newton Geschichten, etwa 1967, als er ein Model im wuchtigen Pelzmantel und glänzender Lederhose vor einem bedrohlich tief fliegenden Flugzeug ins Feld hechten ließ – ganz wie in Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“. Auf einem anderen Sujet sieht man – dramatisch beleuchtet – eine Frau mit Rautenmuster-Mantel, die ein aufbäumendes Pferd vor theatral wolkenverhangenem Himmel gerade noch an den Zügeln halten kann.
Seine heroischen, im perfekt kalkulierten Licht des Schwarz-Weiß gehaltenen Inszenierungen brachten ihm später den Vorwurf einer „faschistischen Ästhetik“ (Alice Schwarzer) ein. Dass sein Fotostil von Leni Riefenstahl beeinflusst war, verhehlte Newton, der in Berlin bei der jüdischen (später im Konzentrationslager Sobibor ermordeten) Fotografin Yva in die Lehre gegangen war, auch nie.
Bilder, die man kennt
Nach einem Herzinfarkt 1971 in New York entschied er sich, nur noch jene Aufnahmen zu machen, die ihn wirklich interessierten. Viele dieser Bilder kennt man, auch wenn sie nicht unmittelbar mit ihrem Schöpfer assoziiert werden. Etwa die rauchende Frau im Hosenanzug mit den kurzen, zurückgekämmten Haaren in der engen, spärlich beleuchteten Pariser Gasse – die genauso Protagonistin einer Detektivgeschichte sein könnte wie eine Nobelprostituierte. Oder natürlich die legendäre Serie „Naked and Dressed“ von 1981, in der Newton vier Frauen zuerst in Haute Couture ablichtete – und danach in derselben Pose, nur ganz nackt.
Ausstellungshinweis
„Helmut Newton Legacy“, Bank Austria Kunstforum Wien, bis 15. Jänner, täglich 10.00 bis 19.00 Uhr.
Mit explizierter Sexiness arbeiten viele seiner Bilder, darunter auch „Woman examining Man“ für Calvin Klein. Das Sujet präsentiert eine selbstbewusste Frau, die einen entblößten Männeroberkörper begutachtet, in breitbeiniger Pose – mit Blickachse auf ihren Schritt. Wie weit Newton damit vor allem die lüsternen Blicke der Männer schärfte, ist bis heute umstritten.
Als Spiegel „männlicher Ängste“ verteidigen die einen die Doppeldeutigkeiten der Inszenierung, als „Vision einer neuen Weiblichkeit“ feiern andere seine Sujets. „Newton gab den Frauen ein Selbstbewusstsein, auch ein erotisches Selbstbewusstsein, das es zuvor in der Modefotografie nicht gab. So gesehen gehört Newton auch zum Teil der klassischen Emanzipationsgeschichte“, so Brugger dazu. Was freilich viele anders sehen.
Reich und Schön
Und die Produktionsbedingungen? Im huldigenden Filmporträt „The bad and the beautiful“ beteuern alle interviewten Prominenten jedenfalls die Professionalität beim Shooting – seine Selbstbezeichnungen als „Schlingel“ und „professioneller Voyeur“ (so Newton im Film) lassen ihn heute aber nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen.
Männer waren für Newton, wie es im Film heißt, immer nur Accessoire – nur in seinen Promifotografien porträtierte er sie alle: die Reichen, Schönen und Mächtigen. Das Kunstforum widmet dem einen eigenen Raum. Jungspund Mick Jagger mit Lederjacke, ein nackiger Gianni Versace auf einer Leopardenprintcouch thronend.
Ikonisch das Bild von Elizabeth Taylor im Pool mit Papagei in der Hand, in das der Ruhm genauso eingeschrieben ist wie seine Vergänglichkeit. „Newton ist Glamour, ist James Bond, ist Hollywood“, so Brugger dazu. Und, ganz offensichtlich auch, eine „Figur aus einer anderen Zeit“, wie die Kunstforum-Chefin ergänzt.