Früherer britischer Premierministers Boris Johnson
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Streit um Johnson

Kampf um Tory-Spitze in vollem Gang

Nach dem Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss wird mit Spannung erwartet, wer sich um ihre Nachfolge bewirbt. Dabei zeichnet sich in der Konservativen Partei vor allem ein Streit über eine Kandidatur des früheren Premierministers Boris Johnson ab. Als weitere Favoriten gelten derzeit Rishi Sunak, Penny Mordaunt und Suella Braverman. Johnson zeigte sich einem Bericht zufolge „bereit“ für eine neuerliche Kandidatur.

Sunak ist ehemaliger Finanzminister und war im Ringen um die Johnson-Nachfolge Truss unterlegen. Sunak soll laut einem „Guardian“-Bericht von Freitagabend als Erster die Schwelle von 100 Stimmen erreicht haben. Damit könnte er an dem für Montag geplanten Abstimmungsrennen der Konservativen teilnehmen. Mordaunt ist die Ministerin für Parlamentsfragen, Braverman kommt aus dem rechtskonservativen Lager; sie war am Mittwoch als Innenministerin zurückgetreten. Der erst kürzlich ins Amt gekommene Finanzminister Jeremy Hunt lehnte Berichten zufolge eine Kandidatur umgehend ab.

Als Erste machte Mordaunt ihre Kandidatur offiziell. „Ich bin ermutigt worden von der Unterstützung durch Kollegen, die einen Neustart, eine geeinte Partei und eine Führung im nationalen Interesse wollen“, teilte sie auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit. Als Parteichefin und Premierministerin wolle sie das Land wieder einen. Zudem wolle sie die Wahlversprechen der Torys umsetzen und die nächste Parlamentswahl gewinnen, so die 49-Jährige weiter.

Johnson als große Frage

Doch vor allem eine mögliche Johnson-Kandidatur sorgt parteiintern für Verwerfungen. Er sei nicht der Typ, um das Image der Partei wiederherzustellen, sagte der Tory-Abgeordnete Crispin Blunt am Freitag dem Sender Sky News. Der Parlamentarier Roger Gale kündigte an, er werde aus der Partei austreten, wenn Johnson wieder in die Downing Street einziehe.

Penny Mordaunt
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Penny Mordaunt will an die Tory-Spitze

Rees-Moog: „I’m backing Boris“

Hingegen nannte Ex-Kulturministerin Nadine Dorries, eine Vertraute Johnsons, den früheren Premier einen Siegertypen. Sky News zitierte ein Kabinettsmitglied mit den Worten, dass Johnson in der Lage sei, die für eine Kandidatur nötigen Stimmen von 100 Tory-Abgeordneten zu erreichen.

Der britische Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg sprach sich als erstes Kabinettsmitglied offiziell für eine Rückkehr Johnsons ins Amt des Premierministers aus. „I’m backing Boris“ („Ich unterstütze Boris“) twitterte der als exzentrisch geltende Brexit-Hardliner am Freitag. Seinen Tweet versah er zudem mit dem Hashtag „#BORISorBUST“ (zu Deutsch etwa: Boris oder kaputtgehen).

„Kann Dinge zum Besseren wenden“

„Ich glaube, er hat bewiesen, dass er die Dinge zum Besseren wenden kann“, streute der Tory-Abgeordnete Paul Bristow am Freitag im Radiosender LBC Johnson Rosen. „Er kann das Ruder noch einmal herumreißen. Und ich bin sicher, dass meine Kollegen diese Botschaft laut und deutlich hören.“ Johnson könne die nächste Parlamentswahl gewinnen.

Unterstützung dürfte Johnson auch von Verteidigungsminister Ben Wallace erhalten, der in seiner Partei erhebliches Gewicht hat. Wallace sagte vor der Presse, er werde nicht selbst kandidieren. Er neige aber dazu, Johnson zu unterstützen, unter dem er bereits Verteidigungsminister war.

Bericht: Johnson „bereit“ für Kandidatur

Nach Angaben von Will Walden, der früher für Johnson arbeitete, kehrt der Ex-Regierungschef gerade aus dem Urlaub zurück und sondiert die Lage. „Das Land braucht einen erwachsenen, ernsthaften Regierungschef“, sagte Walden in der BBC. „Boris hatte seine Chance, lassen Sie uns weitermachen. Ich vermute, dass die Tory-Partei das nicht tun wird, sie werden ihn wohl wiederwählen.“

Einem Bericht des Fernsehsenders Sky News vom Freitagabend zufolge ist Johnson „bereit“ und wolle antreten, sagte der konservative Abgeordnete James Duddridge am Freitagabend. Zuvor hatten bereits mehrere Medien übereinstimmend berichtet, Johnson habe Interesse an einer Kandidatur.

Hürden für den Ex-Premier

Unklar war jedoch, ob Johnson genug Unterstützung in der Fraktion erhalten wird. Zudem läuft derzeit noch eine Untersuchung im Parlament, die klären soll, ob Johnson im Zusammenhang mit der „Partygate“-Affäre über verbotene Lockdown-Feiern im Regierungssitz Downing Street 10 gelogen hat.

Johnson hatte sein Amt vor sechs Wochen nach mehreren Skandalen und unter heftigem Druck seiner Fraktion niedergelegt. Seine Nachfolgerin Truss hatte am Donnerstag ihren Rücktritt angekündigt. Auslöser waren Marktturbulenzen aufgrund ihres radikalen Wirtschaftsprogramms, das auch in den eigenen Reihen auf scharfe Kritik gestoßen war. Truss geht als Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte des Königreichs ein.

Rishi Sunak
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Der ehemalige Finanzminister unterlag Truss im Wettstreit um die Johnson-Nachfolge

Torys verlieren weiter an Wählergunst

In einer am Donnerstag von dem Marktforschungsinstitut PeoplePolling für den Sender GB News durchgeführten Umfrage gaben 53 Prozent der Befragten an, sie würden die oppositionelle Labour-Partei wählen, wenn eine Neuwahl anstünde. Nur 14 Prozent wollten trotz der politischen Turbulenzen in der britischen Regierung in den vergangenen Monaten noch die Torys wählen. Die Liberaldemokraten kamen in der Umfrage auf elf Prozent. In anderen, etwas älteren Umfragen vor dem Abgang von Truss liegen die Konservativen etwa 30 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour Party.

Nachfolge soll Ende des Monats stehen

Die Tory-Fraktion will schnell einen neuen Parteivorsitzenden und spricht sich vehement gegen Neuwahlen, wie die oppositionelle Labour-Partei und auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sie fordern, aus. Da die Torys die Mehrheit im Parlament haben, stellen sie auch automatisch die Premierministerin bzw. den Premierminister.

Suella Braverman
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Die zurückgetretene Innenministerin Suella Braverman will in die Downing Street 10 einziehen

Bis zum 31. Oktober will man einen Premierminister oder eine Premierministerin ins Amt heben. Das teilte Graham Brady, der Vorsitzende des mächtigen 1922-Komitees der Tory-Fraktion im Unterhaus, am Donnerstag in London mit. Der einwöchige parteiinterne Wahlprozess zur Truss-Nachfolge soll bereits am Freitag kommender Woche enden.

Höchstens drei Kandidaten

Zur Wahl für die Truss-Nachfolge können höchstens drei Kandidaten antreten. Die potenziellen Nachfolger müssen von mindestens 100 Abgeordneten unterstützt werden, erklärte Brady die Nachfolgeregelung am Donnerstag vor der Presse. Die Nominierungen müssen bis Montagmittag erfolgen. Da es nur 357 konservative Abgeordnete gibt, können höchstens drei Kandidaten nominiert werden.

Danach müssen sich die Angeordneten entweder auf zwei Kandidaten einigen, über die die 170.000 Parteimitglieder bis zum 28. Oktober in einer Onlineabstimmung entscheiden, oder sie bestimmen direkt einen Kandidaten, der in die Downing Street 10 einzieht. „Wir haben die Messlatte hoch gelegt, aber es ist für jeden ernsthaften Kandidaten (…) machbar“, sagte Brady.

Liz Truss gibt ihren Rücktritt bekannt
AP/Alberto Pezzali
Liz Truss bei der Bekanntgabe ihres Rücktritts

Zulage für Truss?

Da Truss nicht lange im Amt war, forderte der Chef der oppositionellen Liberaldemokraten, Ed Davey, Truss dürfe nicht die Zulage von 115.000 Pfund (rund 132.000 Euro) pro Jahr erhalten, die für ehemalige Premierminister üblich ist. „45 Tage zu arbeiten sollte einem keine Pension einbringen, die ein Vielfaches dessen ist, was gewöhnliche Menschen da draußen nach einem Leben voller Arbeit bekommen“, sagte Davey dem Radiosender LBC.