Der designierte Premierminister Großbritanniens, Rishi Sunak
Reuters/Hannah McKay
Großbritannien

Hohe Erwartungen an neuen Premier Sunak

Der frühere britische Finanzminister Rishi Sunak wird neuer Premierminister Großbritanniens – und sieht sich vor dem offiziellen Antritt seines Amtes bereits mit großen Herausforderungen konfrontiert. Seine Partei gilt als tief gespalten, zudem liegen die Torys in Umfragen weit abgeschlagen hinter der Labour-Partei. Rufe nach Neuwahlen vonseiten der Opposition verstummen nicht. Und auch wirtschaftlich wird viel von Sunak erwartet – denn große Teile der Bevölkerung kämpfen mit der aktuell hohen Inflation.

Großbritannien sei ein großartiges Land, stehe aber vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen, sagte Sunak bei einem öffentlichen Auftritt. „Wir brauchen jetzt Stabilität und Einigkeit, und ich werde es zu meiner obersten Priorität machen, unsere Partei und unser Land zusammenzuführen.“ Er verspreche, dass er mit Integrität und Demut dienen werde, so der designierte neue britische Premierminister. Er fügte hinzu, dass er Tag für Tag daran arbeiten werde, um „etwas für das britische Volk zu erreichen“. Zudem dankte er Liz Truss für ihre Arbeit in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten.

Zuvor hatte er bereits hinter verschlossenen Türen zu seiner Fraktion gesprochen, die ihn mit demonstrativ lautem Beifall empfing. Dabei habe Sunak gewarnt, die Partei stehe vor einer „existenziellen Bedrohung“ und habe die Wahl, sich „zu vereinen oder zu sterben“, berichteten Anwesende.

„Kurzfristig mehr Stabilität“

Sunak übernimmt den Regierungs- und Parteivorsitz der Torys während einer Krise, in der sich das Land seit 2016 befindet, als es für den Austritt aus der EU stimmte. Damit wurde ein politischer Kampf um die Zukunft des Landes ausgelöst, der bis heute ungelöst scheint. Boris Johnson, das Gesicht des Brexit-Votums, führte seine Partei zu einem erdrutschartigen Sieg im Jahr 2019, nur um weniger als drei Jahre später nach einer Reihe von Skandalen aus dem Amt gedrängt zu werden.

Sunak neuer britischer Premier

Die Nachfolge von Liz Truss ist geklärt. Der ehemalige britische Finanzminister Rishi Sunak übernimmt das Amt des Premierministers. Die Torys setzen nun alle Hoffnungen auf den jüngsten Premier seit mehr als 200 Jahren.

Seine Nachfolgerin Truss hielt es nur gut sechs Wochen aus, bevor auch sie zurücktrat. Kritiker halten Sunak zugute, dass er im parteiinternen Wahlkampf um die Johnson-Nachfolge vor der Steuerpolitik seiner Rivalin gewarnt hatte. Ihre radikalen, nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen ließen die Zinsen in die Höhe schießen und das Pfund in den Keller rauschen, was den Anfang von Truss’ Ende einleitete.

Sunak habe als Finanzminister seine Wirtschaftskompetenz bewiesen, sagt der britisch-deutsche Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee im Gespräch mit der dpa. In der Pandemie brachte Sunak das der Kurzarbeit ähnelnde „Furlough“-Programm auf den Weg, mit dem in Großbritannien Millionen Jobs gerettet wurden. „Sunak wird kurzfristig mehr Stabilität bedeuten, einfach, weil er nicht Liz Truss oder Boris Johnson ist“, so Lee.

Begeisterter Empfang für Rishi Sunak
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Sunak wurde von seiner Partei vor der Presse geschlossen bejubelt, intern gelten die Torys aber als ideologisch gespalten

Fraktion und Partei tief gespalten

Der Jubel über Sunaks bevorstehenden Einzug in die Downing Street dürfte allerdings nicht lange andauern. Trotz des deutlichen Votums in der Tory-Fraktion – weit mehr als die Hälfte der Abgeordneten sprachen sich für Sunak aus – sind Fraktion und Partei gespalten.

Journalistin Szyszkowitz zu Sunaks Herausforderungen

Tessa Szyszkowitz, Journalistin und Autorin, spricht im Interview über Rishi Sunak, den neuen Premierminister Großbritanniens. Der Brexit-Anhänger und Befürworter einer rigiden Zuwanderungspolitik sieht sich mit innerparteilichen Auseinandersetzungen seiner konservativen Torys konfrontiert.

Der rechte Flügel fordert weiterhin eine radikalere Steuersenkungspolitik und eine harte Linie gegen die EU im Streit um Brexit-Sonderregeln für Nordirland. Wirtschaftsvertreter erhoffen sich eine ruhige Hand. „Die politische und wirtschaftliche Unsicherheit der vergangenen Monate hat dem britischen Geschäftsklima enorm geschadet und muss nun beendet werden“, hieß es vom Handelskammerverbund.

Opposition fordert Neuwahlen

Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch war Großbritannien in den vergangenen Monaten von Instabilität geprägt. Sunak ist bereits der dritte Premier innerhalb von vier Monaten – angesichts der fehlenden Abstimmung bezweifelt die Opposition nun sein demokratisches Mandat und fordert Neuwahlen. Der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey, sagte, mit Sunak hätten die Torys erneut einen „abgehobenen Premierminister installiert, ohne Plan, den Schaden zu beheben, und ohne dem britischen Volk ein Mitspracherecht zu geben“.

ORF-Korrespondent Winter zum neuen Premier

ORF-Korrespondent Jörg Winter berichtet über den Nachfolger von Premierministerin Liz Truss. Ex-Finanzminister Rishi Sunak, Ex-Bankier mit indischen Wurzeln, sieht sich großen Herausforderungen gegenüber.

Und auch Labour-Vizechefin Angela Rayner kritisierte: „Die Torys haben Rishi Sunak zum Premierminister gekrönt, ohne dass er ein einziges Wort darüber gesagt hat, wie er das Land regieren würde, und ohne dass irgendjemand die Möglichkeit hatte, abzustimmen.“ Der Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP), Ian Blackford, rief Labour-Chef und Oppositionsführer Keir Starmer auf, ein Misstrauensvotum gegen Sunak im Unterhaus zu beantragen.

Torys bei Parlamentswahl wohl „völlig zerstört“

Weil die Torys in Umfragen weit abgeschlagen hinter der größten Oppositionspartei Labour liegen, fürchten sie eine vorgezogene Abstimmung. Die Partei würde bei einer Parlamentswahl „völlig zerstört“, sagte der ehemalige konservative Spitzenpolitiker Robert Hayward dem Sender Sky News. „Es gibt keinen sicheren Sitz mehr für die Konservative Partei.“

Verschiedene Parteiströmungen riefen die Torys dazu auf, sich hinter dem neuen Premier zu vereinen. „Die Zeit der internen Debatten ist endgültig vorbei, und ich weiß, dass wir unter Führung von Rishi Sunak die Prioritäten des britischen Volkes erfüllen können und werden“, sagte Generalsekretär Jake Berry.

Allerdings gilt Sunak vor allem an der Parteibasis als umstritten. Viele Mitglieder werfen ihm vor, mit seinem Rücktritt als Finanzminister Anfang Juli das Aus des skandalumwitterten, aber an der Basis noch immer sehr beliebten Ex-Premier Johnson ausgelöst zu haben. Auch sein Wohlstand sorgt für Zweifel, ob Sunak wirklich die Alltagsprobleme kennt. Der einstige Investmentbanker gilt als reichster Abgeordneter. Das liegt auch an seiner Ehefrau, die einen Hunderte Millionen Pfund schweren Anteil am indischen IT-Giganten Infosys hält.

Der designierte Premierminister Großbritanniens, Rishi Sunak
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Der frühere Banker wird der erste nicht-weiße Premierminister und der erste gläubige Hindu in der Downing Street 10

Angelobung für Dienstag geplant

Sunak soll bereits am Dienstagvormittag offiziell sein Amt übernehmen. Wie der Sitz des Premierministers in der Londoner Downing Street 10 mitteilte, wird zunächst die scheidende Regierungschefin Liz Truss ihre letzte Kabinettssitzung leiten und daraufhin bei König Charles III. ihren Rücktritt einreichen.

Der Monarch, der bereits von seinem ostenglischen Landsitz Sandringham zurück nach London gereist ist, werde dann Sunak als Truss’ Nachfolger ernennen. Sunak soll sich dann zu Mittag erstmals als Premierminister an das britische Volk wenden.

Jüngster Premier seit über 200 Jahren

Als Sohn indischer Einwanderer ist der in Southampton geborene Sunak der erste Premierminister, der einer ethnischen Minderheit in Großbritannien angehört. Vertreter der großen indischstämmigen Gemeinschaft in Großbritannien sprachen angesichts der Wahl Sunaks von einem historischen Moment. Sunak wird auch der jüngste Premierminister seit mehr als 200 Jahren. Zudem wird er bereits sieben Jahre nach seinem Einzug ins Parlament 2015 Premier – so schnell wie kein anderer Politiker der jüngeren britischen Geschichte.

Wirtschaftswissenschaftler bezweifeln, dass Sunak die Finanzen des Landes in den Griff bekommen und gleichzeitig die zahlreichen zerstrittenen Fraktionen der Partei zusammenhalten kann. Finanzminister Jeremy Hunt – die vierte Person in dieser Funktion innerhalb von vier Monaten – soll am 31. Oktober einen Haushaltsplan vorlegen, um ein schwarzes Loch in den öffentlichen Finanzen zu stopfen, das auf bis zu 40 Milliarden Pfund angewachsen sein dürfte.