Ein Sicherheitsbeamter vor Unterkünften für Asylsuchende in der ruandischen Hauptstadt Kigali
AP
Deals mit Europa

Ruandas Rolle als Asyldienstleister

Die Empörung ist groß gewesen, als Großbritannien heuer im Frühjahr verkündet hat, dass illegal nach Großbritannien eingereiste Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda ausgeflogen werden sollen. Nach langer Prüfung gab nun ein Londoner Gericht vorerst grünes Licht. Auch andere Länder wie Dänemark wollen dem Beispiel folgen. Doch warum geht der ostafrikanische Kleinstaat mit europäischen Ländern solche Deals ein?

Der bergige Binnenstaat ist gerade einmal so groß wie Kärnten und die Steiermark gemeinsam, zählt allerdings rund 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Seine dunkelste Stunde erlebte das Land 1994, als Angehörige der Hutu-Mehrheit binnen drei Monaten geschätzte 800.000 bis zu einer Million Menschen der Tutsi-Minderheit ermordeten. Die Aufarbeitung dieses Völkermords gelang dem Land vergleichsweise gut, es begann ein Aufschwung und eine Erfolgsgeschichte – allerdings eine mit Makeln.

Seit 2000 ist Paul Kagame Staatspräsident, schon seit 1994 war der frühere Rebellenführer Verteidigungsminister und Vizepräsident. Kagame wird von internationalen Experten zugutegehalten, das Land politisch und vor allem wirtschaftlich stabilisiert zu haben. Ruanda gilt seit zwei Jahrzehnten als eines der afrikanischen Länder mit den höchsten Wirtschaftswachstumsraten. Vorbildlich ist auch die Frauenquote in der Politik: Mit 49 der 80 Sitze im Parlament hat das Land mit 61 Prozent weltweit den höchsten Anteil weiblicher Abgeordneter.

Autoritärer Stil und Kämpfe im Nachbarland

Allerdings wird Präsident Kagame auch eine zunehmend autoritäre Führung vorgeworfen. Wesentliche demokratische Grundrechte fehlen in Ruanda, die Opposition wurde mit Druck klein gehalten, die Pressefreiheit ist sehr eingeschränkt. Auch Menschenrechtsverstöße werden regelmäßig dokumentiert.

Der ruandische Präsident Paul Kagame
Reuters/Jean Bizimana
In vielen anderen afrikanischen Staaten gilt Kagame angesichts der Entwicklung Ruandas als Vorbild

International unter Druck kam Ruanda vor allem deshalb, weil dem Land vorgeworfen wird, die Rebellengruppe M23 in der Demokratischen Republik Kongo militärisch zu unterstützen. 2012 eskalierte der Konflikt bereits, Ruanda drohten Sanktionen, die Niederlande strichen die Entwicklungshilfe für das Land. Und auch heuer kochte der Konflikt international wieder auf. Der Nachbarstaat beschuldigte Ruanda der „Invasion“, die UNO spricht gar von „handfesten“ Beweisen für eine Einmischung Ruandas.

Positionierung als Partner des Westens

Beobachter gehen davon aus, dass Kagame vor allem deshalb versucht, gegenüber Europa und anderen westlichen Ländern sein Image aufzupolieren. Das entspricht seiner Strategie, vor allem über Außenpolitik Profil zu gewinnen: Das Land engagiert sich in der Afrikanischen Union (AU) und der Afrikanischen Entwicklungsbank stark, auch in den lokalen Zusammenschlüssen International Conference on the Great Lakes Region (ICGLR) und East African Community (EAC) sucht man eine Führungsrolle. Für Friedensmissionen der AU steuert Ruanda großzügig Truppen für Konfliktzonen wie Mosambik, Somalia und die Zentralafrikanische Republik bei.

Mit dem Angebot, Flüchtlinge aus Europa zu übernehmen, wolle sich Präsident Kagame als Partner des Westens positionieren, meinen Beobachter. Steigen europäische Länder darauf ein, begeben sie sich aber auch in eine Abhängigkeit. Kritiker verweisen auf das Abkommen der EU mit der Türkei: Die Union bezahlt die Türkei dafür, geflüchtete Syrer im Land zu behalten, umgekehrt hat aber Präsident Recep Tayyip Erdogan jederzeit ein politisches Druckmittel und kann drohen, den Deal platzen und die Menschen nach Europa marschieren zu lassen. Im kleineren Stil könnte Kagame in eine ähnliche Position kommen.

Erfahrung mit Flüchtlingen

Ruanda hat auch einige Erfahrungen mit Flüchtlingen und Deals zu Flüchtlingen mit anderen Ländern. Allein derzeit leben in dem Land etwa 120.000 bis 130.000 Geflüchtete, vor allem aus den Nachbarländern Burundi und Kongo.

Im Jahr 2013 schlossen Israel und Ruanda heimlich einen Vertrag, um eritreische und sudanesische Geflüchtete in das ostafrikanische Land zu bringen. Den Menschen wurde in Israel das „Angebot“ eines One-Way-Flugtickets nach Ruanda und 3.500 Dollar gemacht, berichtete die BBC. Die Alternative wäre die Abschiebung ins Herkunftsland gewesen. Ab 2013 wurden 4.000 Menschen nach Ruanda geflogen, lange blieben die wenigsten. Die Zustände in Lagern wurden als desaströs empfunden, die meisten versuchten, sich in andere Länder durchzuschlagen, viele landeten dann doch in Europa. 2018 wurde das Projekt beendet.

Auch eine Frage des Geldes

Großbritannien hatte für die externe Unterbringung von Geflüchteten laut Medienberichten mehrere Optionen, etwa die Insel Ascension, die zum britischen Überseegebiet St. Helena, Ascension und Tristan da Cunha im Südatlantik gehört. Gibraltar und die Isle of Wight im Ärmelkanal wurden ebenso in Betracht gezogen wie Albanien und Ghana. Im April wurde dann das Abkommen mit Ruanda geschlossen.

Von der Regierung in der Hauptstadt Kigali hieß es, das Abkommen sei „überhaupt nicht vergleichbar“ mit dem damaligen Deal mit Israel. Den habe man auch aufgelöst, als klar geworden sei, dass dieser nicht funktioniere. Mit London hingegen gebe es ein „umfassendes Unterstützungspaket für Migranten und die aufnehmende Gemeinschaft, das von der britischen Regierung finanziert wird“. Damit wurde ein weiterer Grund genannt, wieso sich Ruanda hier einbringt: Es dürfte eine durchaus lukrative Sache sein.

Grünes Licht von britischem Gericht

Dennoch: Bisher wurde kein einziger Geflüchteter von London ins 6.600 Kilometer entfernte Kigali gebracht. Der erste geplante Flug nach Ruanda wurde im Juni kurz vor dem Abheben durch eine einstweilige Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestoppt. Zuletzt sprang auch die spanische Fluggesellschaft Privilege Style, die die Flüge hätte durchführen sollen, ab.

Nach mehreren Klagen gab der britische High Court dieser Tage grünes Licht für den umstrittenen Asylpakt. „Das Gericht kam zu dem Schluss, dass es legal ist für die britische Regierung, Vorkehrungen zu treffen, um Asylsuchende nach Ruanda zu schicken, damit ihr Asylantrag in Ruanda und nicht im Vereinigten Königreich geprüft wird“, so die Erklärung. Das Gericht stellte jedoch auch fest, dass die Fälle der acht Asylwerber nicht richtig geprüft worden seien, und verwies diese ans Innenministerium zurück.

Instanzenzug noch nicht ausgeschöpft

NGOs nannten das Urteil einen „dunklen Moment für die Wahrung der Menschenrechte im Vereinigten Königreich“. Es wird davon ausgegangen, dass die Entscheidung auch in die nächste Instanz geht – dann müsste der Supreme Court entscheiden.

Ruanda begrüßte das Urteil des britischen Gerichts. „Wir sind bereit, Asylwerbern und Migranten Sicherheit und die Möglichkeit zu bieten, sich ein neues Leben in Ruanda aufzubauen“, sagte Yolande Makolo, Regierungssprecherin des ostafrikanischen Landes, der Nachrichtenagentur AFP. Es sei ein „positiver Schritt“ zur Überwindung der globalen Migrationskrise.

Dänemark in Planungsphase

Der Streit in Großbritannien hält Dänemark nicht davon ab, ähnliche Pläne zu schmieden. Im September beschlossen die Regierung in Kopenhagen und jene in Kigali eine politische Absichtserklärung für eine Stärkung der Zusammenarbeit in Asyl- und Migrationsfragen. Die erst seit wenigen Wochen stehende neue Regierung in Kopenhagen hält an dem Vorhaben fest. Das dänische Parlament hatte schon im Juni 2021 ein Gesetz verabschiedet, das Asylzentren in anderen Ländern möglich macht.

Die EU-Kommission kritisierte das Projekt und machte damals deutlich, dass sie sich rechtliche Schritte vorbehält, sollten die Pläne umgesetzt werden. Auch das schreckte andere Länder nicht ab, solche Modelle anzudenken. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) forderte heuer im Sommer mehrmals, über das britische und dänische Modell zu diskutieren und entsprechende rechtliche Möglichkeiten zu schaffen.

Kritik des UNHCR

Vonseiten des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), das auch mit Ruanda kooperiert, heißt es, man sei „strikt gegen Vereinbarungen, die darauf abzielen, Flüchtlinge und Asylsuchende in Drittländer zu überstellen, wenn keine ausreichenden Garantien und Schutzstandards vorhanden sind“. Entsprechende Vereinbarungen stünden „im Widerspruch zu den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention“, sagte UNHCR-Sprecherin Ruth Schöffl gegenüber ORF.at.

Unterkünfte für Asylsuchende in Bugesera (Ruanda)
Reuters/Jean Bizimana
Das UNHCR kooperiert ebenfalls mit Ruanda – hier eine Flüchtlingsunterkunft

Solche „Externalisierungsvereinbarungen“ würden Flüchtlinge auch nicht davon abhalten, „sich auf gefährliche Fluchtrouten zu begeben“, heißt es vom UNHCR. Ruanda, das gerade erst seine Asylverfahren aufbaut, biete „zwar seit Jahrzehnten Flüchtlingen, die vor Konflikten und Verfolgung fliehen, einen sicheren Zufluchtsort, doch die meisten leben in Lagern mit begrenztem Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten“.