Die Faschisten unter Benito Mussolini erzwingen den Rücktritt der Regierung Luigi Facta; Mussolini wird zum Ministerpräsidenten berufen) .Die Quadrumvirn Mussolini, de Bono, de Vecchi und Balbo beim Marsch auf Rom .Foto, digital koloriert.
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Hundert Jahre „Marsch auf Rom“

Italien und der Schatten des Faschismus

Nie habe sie mit dem Faschismus sympathisiert. So formulierte es die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in ihrer ersten Regierungserklärung vor Kurzem. Und doch trägt sie mit ihrer Partei Fratelli d’Italia die Symbole aus der Zeit von Benito Mussolini weiter. Ins Reine gekommen ist Italien mit dem Faschismus bis in die Gegenwart nicht. Ab dem 27. Oktober jähren sich die Ereignisse, die den selbst ernannten „Duce“ an die Macht gebracht haben, zum hundertsten Mal. Der „Marsch auf Rom“ sollte nicht nur Italien verändern.

Im Oktober 1922 steht Rom kurz vor der Belagerung. Nicht durch eine feindliche Arme. Sondern durch 40.000 gewaltbereite Schwarzhemden, die schon davor im Land die Frontstellungen zwischen einer aktiven Linken und einer neuen Rechten zu ihren Gunsten entscheiden wollten. Und die linken Aktivisten, die etwa Fabriken besetzt hatten, von diesen Orten der Unruhe vertrieben. Sie alle hören auf den Befehl eines Mannes, den der eigentliche Mentor des italienischen Faschismus, Gabriele d’Annunzio, wenige Jahre davor noch belächelt hatte: Benito Mussolini aus dem Städtchen Predappio der sonst so roten Emilia Romagna.

Noch heute gelten Aufmarsch und Einfall der Anhänger des „Duce“ ab dem 27. Oktober 1922 in Rom als Beginn der faschistischen Herrschaft in Italien. Es sollte ein Ereignis mit Vorbildwirkung für ganz Europa werden, auch für Österreich, das im christlich-sozialen Segment sah, dass Faschismus und die Stellung der katholischen Kirche unter einen Hut zu bringen waren.

Italy Riccione Engelbert Dollfuss und Benito Mussolini 1933
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Engelbert Dollfuß mit Mussolini 1933 am Strand von Riccione. Der „Duce“ wollte schwimmen, Dollfuß fuhr mit einem Segelboot ins Meer hinaus, bis man sich zu einer vertraulichen Besprechung an der Bootskante traf.

Der „Marsch auf Rom“ wirkt aus österreichischer Sicht bis zur Gegenwart weniger aufgearbeitet als etwa die Jahre der autoritären Herrschaft unter Engelbert Dollfuß und des Bürgerkrieges in Österreich. Wie er so glatt und rasch gelingen konnte, wird gerne als „Rätsel“ dargestellt – tatsächlich ist es ein Einknicken politischer Lager vor einer demonstrierten und theatralisch überhöhten Einheit eines kampfbereiten Lagers, das sich unter dem Eindruck der Ergebnisse der Friedensverhandlungen nach Ende des Ersten Weltkrieges zu einer explosiven und zugespitzten Stimmung hochgeschaukelt hatte.

Sendungshinweise

In der Reihe „Menschen und Mächte“ beschäftigt sich Andreas Pfeifer mit einer Doku am 27. Oktober mit dem Verhältnis Südtirols im Konflikt zwischen Italien und Österreich, 22.30 Uhr, ORF2. Am 28.10., 22.30 Uhr, ORF2, ist die Universum-History-Doku „Europas erster Faschist: Benito Mussolini“ zu sehen. Mehr dazu in tv.ORF.at.

Mussolinis Marsch als Vorbild für Hitler

Der Faschismus, er wäre mit Entschlossenheit im Jahr 1922 aufzuhalten gewesen. Und nicht umsonst hatte Adolf Hitler, der den Aufstand Mussolinis ja auf deutschem Boden wiederholen wollte, nach den Erfahrungen vor der Münchner Feldherrenhalle 1923 den Weg durch die Institutionen und deren Erschütterung gewählt, bis er Reichskanzler wurde.

Der „Marsch auf Rom“ wird immer noch als eine Mischung aus Staatsstreich und geordnetem Regierungswechsel betrachtet. Mussolinis Schwarzhemden waren schlecht bewaffnet, hatten zu wenig zu essen und wurden vom Dauerregen durchnässt. Die Ordnungskräfte hätten sie stoppen und zurückweisen können, doch erhielten sie keinen Befehl dazu. Stattdessen wurde verhandelt.

Anhänger Mussolinis während des sog. Marschs auf Rom
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Einmarsch der Schwarzhemden in Rom am 30. Oktober 1922

Expertin Albanese: „Mehr als ein Bluff“

Für die Historikerin Giulia Albanese war der Marsch nicht nur ein reiner Bluff, sondern eine politische Inszenierung mit enormer Tragweite. Auch wenn die Besetzung der Stadt in der Propaganda überhöht worden sei, zeige sich doch die Vorbereitung dieser Aktion – die ja Anfang Oktober in Bozen beim Marsch auf Bozen so etwas wie einen Testlauf hatte. Mussolinis Machtübernahme ist für Albanese ein offener Putsch, auch wenn Mussolini die Macht de facto aus den Händen Königs Vittorio Emanueles III. erhielt.

Den Regierungen in Rom mangelte es an Entschlossenheit, auch mit der Stimmung im Land und den antisozialistischen Stimmungen, gerade im Bürgertum, umgehen zu können.

„In Rom sind wir und dort bleiben wir! Eja, Eja, Eja, Alalà!" Ein Faschist, der die Uniform der Fasci italiani di combattimento trägt – schwarzes Scheitelkäppchen mit Quaste, schwarzes Hemd, Reithose mit Gamaschen und Stiefel  steht auf einer in sud-nördlich ausgerichteten Karte von Italien mit Sternen die die großen Städte markieren, und schwenkt eine italienische Flagge mit dem Symbol der Fasces .Der Kriegsruf “Eja, Eja, Eja, Alalà!" wird Gabriele d’Annunzio zugeschrieben, der dieses Motto als Alternative zu “hip, hip, hip, hurra!“ auf eine Flagge schrieb, die 1918 während des Ersten Weltkriegs italienischen Kampffliegern überreicht wurde. Die Faschisten griffen diese Worte während des Marsches auf Rom als Kampfruf auf Propagandapostkarte
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Propagandapostkarte der Faschisten zum Marsch auf Rom

„Im Gegensatz zu den meisten Behauptungen stellte die politische Entwicklung, die am 30. Oktober im Gange war, keine normale Regierungskrise dar. Die faschistische Mobilmachung bildet einen bedeutsamen und wichtigen politischen Tatbestand – Aufstandsbewegung und Staatsstreich in einem –, der dieses Ereignis zur epochalen Wende in der Geschichte des liberalen Staates machte“, befindet Albanese.

Ab dem Herbst 1920 hatten auch die liberalen Zeitungen das Vertrauen in die Fähigkeiten des Staates, gegenüber verschiedenen Aufständen im linken Lager die Kontrolle zu bewahren, verloren. Offen wurde immer öfter für eine autoritäre Herrschaft plädiert.

Mussolini und d’Annunzio Mitte der 1920er Jahre am Gardasee
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Mussolini mit d’Annunzio am Gardasee, Mitte der 1920er Jahre. Am Anfang war d’Annunzio der große Held der neuen Rechten. Der Dichter, den der junge Hugo von Hofmannsthal glühend verehrte, hatte den Aufstieg Mussolinis lange Zeit belächelt.

Mussolinis Erfolg: Ideologie trifft Nationalgedanken

In dieser Phase wurden die sozialistischen Bewegungen zunehmend orientierungslos: Rhetoriken und Gesten im linken Lager waren radikal – alleine die Umsetzungen liefen nicht auf eine sozialistische Revolution hinaus. Der neuen Rechten wiederum sei, so Albanese, eine Verbindung von eigener Ideologie und Nationengedanken gelungen.

In der Nacht vom 27. zum 28. Oktober 1922 stellten sich Tausende Schwarzhemden zum Marsch bereit und begannen damit, lokale Verwaltungsgebäude, Verkehrsknotenpunkte und Kasernen zu besetzen. Das passte zur Faschistenparole „Gefährlich leben!“ und zu ihrem Motto: „Lieber einen Tag lang Löwe sein, als hundert Jahre lang ein Schaf!“ Ein Teil von Mussolinis „Privatarmee“ sammelte sich in der Nähe von Rom.

Die hilflose italienische Regierung sah keinen anderen Ausweg als zurückzutreten und den Belagerungszustand auszurufen. Als sich dann König Vittorio Emanuele III. aus Angst vor einem ausbrechenden Bürgerkrieg weigerte, das Dekret über den Belagerungszustand zu unterzeichnen, war der Weg für Mussolini frei, die Regierungsmacht Italiens an sich zu reißen.

„Ich komme vom Schlachtfeld“

Mussolini reiste am Abend des 30. Oktober mit dem Nachtzug aus Rom an und präsentierte sich nach seiner Ankunft demonstrativ im Schwarzhemd vor dem König. „Majestät, ich komme vom Schlachtfeld“, so seine mittlerweile legendären Worte. Vor den Toren Roms warteten seit zwei Tagen die Anhänger des „Duce“ auf den Befehl zum Marsch. Am 31. Oktober durften sie schließlich in Form einer feierlichen Parade durch die Straßen Roms ziehen. Am selben Tag
präsentierte Mussolini sein Kabinett.

Via del’Imperio in Rom 1934
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Faschistische Paraden im durch Mussolini teils neu gestalteten Rom, hier in den 1930er Jahren

„Hier kommt ganz offen eine antidemokratische, imperialistische Regierungsform wieder an die Macht“, notierte der deutsche Diplomat und Schriftsteller Harry Graf Kessler: „In einem gewissen Sinne kann man Mussolinis Staatsstreich mit dem Lenins im Oktober 1917 vergleichen, natürlich als Gegenbild. Vielleicht leitet er eine Periode neuer europäischer Wirren und Kriege ein.“

Der „Duce“ genoss in Italien große Popularität. „Ich habe den Faschismus nicht erschaffen, sondern lediglich aus dem Unterbewusstsein des Italieners ans Licht geholt“, sagte er selbst einmal. Das Land war erschöpft vom Ersten Weltkrieg, große Teile der Bevölkerung lebten in bedrückender Armut. In dieser schwierigen Lage erfolgte der politische Aufstieg Mussolinis, der ja zunächst revolutionärer Sozialist gewesen war, bis er Mitte des Ersten Weltkrieges eine Wende zum Nationalen vollzog.

1919 gründete Mussolini seine ersten „Fasci di Combattimento“ (Kampfbünde). Bewundert wurde etwa die Besetzung Fiumes (Rijekas) unter der Führung des Dichterkommandanten d’Annunzio. Er war am Anfang das Zugpferd der Bewegung einer neuen Rechten, die sich aus dem Gefühl eines „verstümmelten Sieges“, einer „vittoria mutilata“ speiste.

Mussolinie besucht Deutschland. Cover „Die Woche“ 1940
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Der immer flotte „Duce“, Darstellung in der deutschen „Woche“ aus dem Jahr 1940

Wie im Falle Hitlers gehörte Terror von Anbeginn fest zum Programm des Faschistenführers. Überfälle der „Squadristi“, der gewaltbereiten Anhänger des Faschismus, auf Gewerkschaften, Kommunisten und Sozialisten bereiteten das Terrain zur späteren Machtergreifung. Politische Gegner wurden gequält und erniedrigt. Zugleich gehörte zur Doppelstrategie, dass sich Mussolini 1921 ins Parlament wählen ließ.

Als Mussolini nach dem „Marsch auf Rom“ zum König ging, hatte er seine eigene Ministerliste schon in der Tasche. Am 31. Oktober 1922 stellte er sein Kabinett vor. Bei den Wahlen zwei Jahre später erhielten die Faschisten 65 Prozent der Stimmen. Bis 1925 schaltete Mussolini die Opposition aus und errichtete eine totalitäre Diktatur, die ganz auf seine Person ausgerichtet war.

Die lange Erbschaft des Faschismus

Als Mussolini, der ja nach seiner Absetzung 1943 noch einmal ein Comeback mit der Marionettenrepublik von Salo gefeiert hatte, 1945 auf seiner Flucht Richtung Schweiz aufflog, entschlossen sich aufgebrachte Widerstandskämpfer für eine sofortige Erschießung. Einen Tag später wurden seine Leiche, die seiner Geliebten und enger Mitstreiter in Mailand kopfüber aufgehängt.

Eine Abkehr vom Faschismus oder faschistischen Symbolen sucht man in Italien freilich vergebens. 1955 errichtet der italienische Staat dem Dichter d’Annunzio ein Grabmal auf dessen History-Ranch „Vittoriale degli Italiani“ – im Stil des Faschismus.

Bis heute ist die Verbreitung faschistischer Symbole nicht verboten. Vergebens sucht man auch in italienischen Museen oder auf italienischen Plätzen Kontextualisierungen zu Monumenten oder Bildern. Wer heute in Rom auf ein Fußballmatch geht, flaniert auf dem Weg ins Stadio Olimpico an einem Festspiel faschistischer Symbole vorbei. Und wen es heute mit K&K-Sehnsucht nach Triest treibt, der darf sich daran erinnern, dass nirgendwo in Italien die Zustimmung zum Faschismus am Beginn der 1920er Jahre größer war als im ehemaligen Industriehafen der Habsburger.

Giogria Meloni vor den Symbolen ihrer Partei
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Die faschistische Flamme bleibt im Logo von Melonis Fratelli d’Italia

Meloni, die neue Ministerpräsidentin des Landes, trat als 15-Jährige in die Jugendorganisation des Movimento Sociale Italiano (MSI) ein, einer Partei, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Faschisten gegründet worden war. 2012 gründete sie dann die Partei Fratelli d’Italia, die in ihrem Symbol noch heute eine Flamme hat, welche an das Grab Mussolinis erinnert.

Vospernik (ORF) zur Angelobung in Rom

Cornelia Vospernik (ORF) berichtet aus Rom über die Angelobung der neuen Regierung in Italien und die neue Regierungschefin, Giorgia Meloni.

Meloni betonte immer wieder, dass sie stolz auf das Wappen sei. Als Teenager hatte sie in den 1990er Jahren in einem Interview im französischen Fernsehen gesagt, dass Mussolini ein „guter Politiker“ gewesen sei. Jetzt sagte sie in ihrer Rede im Parlament: „Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts haben ganz Europa, nicht nur Italien, mehr als ein halbes Jahrhundert lang in einer Reihe von Gräueln zerrissen, die die meisten europäischen Staaten betrafen. Gräuel und Verbrechen, von wem auch immer begangen, verdienen keinerlei Rechtfertigung und werden nicht durch andere Gräuel und andere Verbrechen kompensiert. Am Abgrund wird nicht verglichen: Man stürzt einfach hinein.“