Menschen vor Wahlplakaten in Tel Aviv
Reuters/Corinna Kern
Fünfte Wahl seit 2019

Netanjahu versucht in Israel Comeback

Mitten in der politischen Dauerkrise wählt Israel am Dienstag ein neues Parlament. Es ist bereits die fünfte Knesset-Wahl in drei Jahren – und einmal mehr gilt sie vielen als Schicksalswahl. Die Frage ist, ob dem rechtskonservativen Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu – mit Unterstützung von ganz rechts – ein Comeback gelingt. Als durchaus möglich gelten aber auch ein politisches Patt – und die nächste Neuwahl.

Der erste Platz dürfte Netanjahus Partei Likud („Zusammenschluss“) auch dieses Mal wieder sicher sein. Ebenso eindeutig kommt die Jesch-Atid-Partei („Es gibt eine Zukunft“) des derzeitigen Premiers Jair Lapid in den Umfragen auf Platz zwei. Von den für eine Regierungsmehrheit nötigen 61 der 120 Parlamentssitze sind freilich beide Parteien weit entfernt. Sowohl Likud als auch Jesch-Atid sind auf Partner angewiesen. Wie schon bei den Wahlen der vergangenen Jahre ist mit einem sehr knappen Ausgang zu rechnen – der abermals auch in einem politischen Patt zwischen den beiden Lagern enden könnte.

Bereits nach der Knesset-Wahl im vergangenen Jahr war es dem damaligen Premier Netanjahu nicht gelungen, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. In einem aufsehenerregenden Schritt formte Lapid in der Folge mit Naftali Bennett, Parteivorsitzender der rechten HaJamin haChadasch (Die neue Rechte), ein extrem breites Regierungsbündnis aus acht Parteien.

Wahltag in Israel

Bereits zum fünften Mal binnen dreieinhalb Jahren wählt Israel am Dienstag ein neues Parlament. Die breite Koalition von Ministerpräsident Jair Lapid ist gescheitert, der ehemalige Regierungschef Benjamin Netanjahu hofft auf ein Comeback.

Darunter befand sich auch die arabische Reshima Aravit Meuhedet (Vereinigte Arabische Liste), kurz Ra’am. Es war das erste Mal, dass eine arabische Liste in Israel Teil einer Regierungskoalition wurde. Lapid und Bennett einigten sich auf eine alternierende Regierungsführung. Netanjahu musste nach zwölf Jahren das Amt des Regierungschefs abgeben.

Ex-Premier wittert Chance zur Rückkehr

Doch für den 73-jährigen Netanjahu bietet sich nach etwas mehr als einem Jahr in der Opposition nun die Möglichkeit eines Comebacks als Regierungschefs. Im Frühjahr hatte zuerst Lapids und Bennetts Zweckbündnis mit dem Wechsel einer Abgeordneten aus dem Regierungslager in Richtung Opposition seine hauchdünne Mehrheit verloren. Interne Streitigkeiten – vor allem im Hinblick auf die Siedlungspolitik – führten Ende Juni schließlich zum Zerbrechen der Koalition. Lapid übernahm bis zur Zeit der Neuwahl die Regierungsgeschäfte von Bennett.

ORF-Korrespondent über Israel-Wahl

Es ist bereits die fünfte Parlamentswahl binnen dreieinhalb Jahren in Israel. ORF-Korrespondent Tim Cupal erklärt, wie es dazu gekommen ist.

Zwar muss sich Netanjahu noch immer wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verteidigen. Doch der derzeitige Oppositionsführer bemühte in seinem Wahlkampf landauf, landab eine Botschaft: Nur er allein könne für Stabilität und Sicherheit in Israel sorgen. Mit seinem Lastwagen mit gläsernem Anhänger war der Ex-Premier in den vergangenen Wochen im ganzen Land unterwegs.

Rechtsextreme als mögliche Königsmacher

Als Mehrheitsbeschaffer setzt Netanjahu dieses Jahr neben den beiden ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Torah-Judentum auf das religiös-zionistische Bündnis von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir. Das als rechtsextrem eingestufte Bündnis könnten den Umfragen nach zur drittstärksten Kraft in der Knesset aufsteigen.

Itamar Ben-Gvir
Reuters/Amir Cohen
Ben-Gvir gilt als Scharfmacher von Rechtsaußen – und hofft nach der Wahl auf das Amt des Innenministers

Smotrich will laut Medienberichten in einer Regierung unter Netanjahu Verteidigungsminister werden, Ben-Gvir strebt das Amt als Minister für Innere Sicherheit an. Der Rechtsaußenpolitiker wurde in der Vergangenheit wegen rassistischer Hetze verurteilt und spricht sich unter anderem für die Deportation von Araberinnen und Arabern aus, „die gegen den Staat Israel sind“. Ihm wurde auch immer wieder vorgeworfen, den Konflikt mit den Palästinensern gezielt anzuheizen.

Werben mit Umbau der Justiz

Überdies versprachen Smotrich und Ben-Gvir im Wahlkampf einen Umbau des israelischen Justizsystems. Kritikerinnen und Kritiker sehen in den Ankündigungen freilich eine Aushöhlung der Justiz. So sehen die Pläne etwa vor, die Ernennung von Richterinnen und Richtern in die Hand der Regierung zu legen. Die gerichtliche Prüfung von Gesetzen soll eingeschränkt werden und das Parlament die Möglichkeit bekommen, Entscheidungen des Obersten Gerichtshof zu überstimmen.

Überdies steht im Raum, den Tatbestand der Untreue bei Politikerinnen und Politikern abzuschaffen. Die angestrebten Änderungen könnten nach Expertenmeinung darum auch die Aufhebung des Korruptionsverfahrens gegen Netanjahu bewirken.

Schwierige Ausgangslage für Lapid

Sollte Netanjahus Block trotz seiner neuen Verbündeten hinter den 61 Parlamentssitzen zurückbleiben, könnte Lapid erneut versuchen, eine Koalition gegen den Ex-Premier zu schmieden. Einfach wird diese Aufgabe allerdings nicht. Bennet, Lapids bisheriger Partner in der koalitionären Zweckgemeinschaft, tritt bei dieser Wahl gar nicht mehr an, nachdem sein rechtsnationales Bündnis im Laufe der Regierungsbeteiligung zerbrach.

Israels Premier Yair Lapid
Reuters/Ronen Zvulun
Der derzeitige Premier Lapid hofft auf eine weitere Anti-Netanjahu-Koalition

Lapids Jesch-Atid-Partei konnte zwar seit Ausrufung der Neuwahl laut den Umfragen merkliche Zugewinne verzeichnen und dürfte merklich besser abschneiden als bei der Wahl im Frühjahr 2021. Doch Lapids Zugewinne gehen in erster Linie auf Kosten seiner Verbündeten, wie dem bisherigen Verteidigungsminister Benny Gantz und Justizminister Gideon Saar. Ihr für die Wahl ausgerufenes Bündnis HaMahane HaMamlakhti (Nationale Einheit) blieb laut den Umfragen hinter den Erwartungen zurück.

Lapid zeigte sich kurz vor der Wahl dennoch zuversichtlich. Am Montag erklärte er, seine in den Umfragen hinter Likud liegende Jesch-Atid werde gewinnen. Die Menschen hätten die Wahl zwischen „dem Ärger der Vergangenheit und dem gemeinsamen Wohl der Zukunft“.

Entscheidender Sprung über Prozenthürde

Wie auch schon bei den Wahlen zuvor wird viel davon abhängen, welche der kleinen Parteien den Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins Parlament schaffen. Vier Parteien aus dem Anti-Netanjahu-Block sind diesmal gefährdet, die Hürde für den Knesset-Einzug nicht zu schaffen.

Relevant ist das auch mit Blick auf die arabischen Parteien, die bei der vergangenen Wahl mit Ra’am als Bündnis angetreten waren. Bei dieser Wahl verteilen sie sich aber auf drei Listen. Ob allen dreien der Einzug ins Parlament gelingt, gilt als fraglich; auch, weil die Wahlbeteiligung innerhalb der arabischstämmigen Bevölkerung in diesem Jahr besonders niedrig ausfallen könnte. Umfragen sehen die Wahlbeteiligung bei Palästinensern mit einem israelischen Pass nur bei rund 40 Prozent.

Palästinenserkonflikt wieder verschärft

Im vergangenen Monat bezog Lapid klar Position – und sprach sich vor den Vereinten Nationen für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates aus. Dennoch spitzte sich der Konflikt mit den Palästinensern zuletzt wieder gefährlich zu. Im besetzten Westjordanland brodelt es wieder. Fast täglich kam es zuletzt zu gewaltsamen Zwischenfällen, zu Anschlägen von Palästinensern und Razzien der israelischen Armee. Angesichts häufiger Militäreinsätze in den Hochburgen militanter Palästinenser warf die linksliberale Zeitung „Haaretz“ Lapid und der Militärführung vor, in der „explosivsten Region der Welt“ mit Feuer zu spielen.

Für den Nahostexperten Peter Lintl von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik wird sich eine neue Regierung auf jeden Fall „des palästinensischen Themas“ annehmen müssen. „Die Westbank droht zu kollabieren. Die Auseinandersetzungen zwischen Siedlern, Palästinensern und Militär nehmen immer stärker zu“, sagte er gegenüber der APA.

Wie lange es dauern wird, bis nach den Wahlen tatsächlich eine neue Regierung steht, ist noch einmal eine andere Frage. Es gilt als durchaus wahrscheinlich, dass sich die Koalitionsgespräche über Wochen hinziehen könnten. Bei einem Scheitern könnte auf Israel bereits die nächste Wahl zukommen – es wäre dann die sechste innerhalb weniger Jahre.