Und diese Richter und Richterinnen könnten zum Zünglein an der Waage in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen werden. Denn die Höchstgerichte der Bundesstaaten haben sich in der letzten Zeit als entscheidende Schlachtfelder im Kampf um die weitere Ausrichtung der US-Demokratie entpuppt, so die „New York Times“ („NYT“).
Der Oberste US-Gerichtshof, der staatliche Supreme Court, gibt kritische entscheidende Rechtsfragen immer öfter an die Bundesstaaten ab. Die Palette der Themen ist groß: Abtreibung, das Wahlrecht, Gerrymandering, also Manipulation von Wahlkreisgrenzen in einem Mehrheitswahlsystem, sowie das Waffenrecht sind die gesellschaftspolitisch umstrittensten Themen, die nun Sache der US-Bundesstaaten sind, so die „NYT“.
Viel Geld fließt in Richterwahlen
Das wertet die Funktion der Richterinnen und Richter bei den Höchstgerichten der Bundesstaaten weiter auf und macht sie politisch relevanter. Hunderte von Bundesstaatsrichtern werden gleichzeitig mit den Midterms gewählt, davon 86 Richter und Richterinnen für die Höchstgerichte der Bundesstaaten, so der „Economist“. Laut dem Magazin bearbeiten bundesstaatliche Juristen und Juristinnen rund 100 Millionen Fälle pro Jahr – das sind rund 95 Prozent aller bei Gericht eingereichten Fälle.
Viel Geld fließt diesmal in die Wahl der Richter und Richterinnen. So wurde etwa in Ohio ein Super-PAC (Political Action Committee – PAC), also ein Wahlhilfekomittee der vor allem finanziellen Art, gegründet, um die Wahl von drei demokratischen Kandidaten für das Höchstgericht mit rund 500.000 Dollar zu unterstützen, so die „NYT“.
Auch Milliardäre mischen mit
In North Carolina gaben die Republikaner wiederum 850.000 Dollar aus, um demokratische Kandidaten für das Höchstgericht zu attackieren. Doch auch Unternehmer sind mit PACs unterwegs und wollen sich politischen Einfluss sichern – und das mit sehr viel Geld.
USA: Aufgeheizte Stimmung vor Midterms
Am Dienstag stehen in den USA bei den Midterms-Wahlen 35 der 100 Senatoren und Senatorinnen und alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses zur Wahl. In beiden Kammern haben die regierenden Demokraten derzeit eine knappe Mehrheit. Das könnte sich aber am Dienstag ändern. Die Stimmung zwischen den politischen Lagern ist aufgeheizt wie nie.
So soll das PAC Fair Courts America (etwa „Gerechte Gerichte für Amerika“) insgesamt 22 Millionen Dollar für die Unterstützung von äußerst konservativen Kandidaten und Kandidatinnen für die Höchstgerichte in sieben Bundesstaaten ausgegeben haben. Hauptfinanziers sind der milliardenschwere Geschäftsmann und Erbe der Brauerei Schlitz, Richard E. Uihlein, und seine Frau Elizabeth, so die „NYT“ weiter.
Einige Republikaner wollen es Trump nachmachen
Die Republikaner bringen sich in Stellung. Die obersten Gerichte könnten eine entscheidende Rolle bei der Beilegung von möglichen Wahlstreitigkeiten bzw. Leugnen einer Niederlage im Jahr 2024 spielen. Bidens republikanischer Amtsvorgänger Donald Trump weigert sich bis heute, seine Niederlage bei der Präsidentenwahl 2020 anzuerkennen. Ohne Belege behauptet er weiterhin, er sei durch Wahlbetrug um einen Sieg gebracht worden.
Nach diesem Vorbild lassen auch einzelne Republikaner, die bei den Midterms für Mandate bzw. Ämter antreten, offen, ob sie den Wahlausgang in jedem Fall akzeptieren werden. Eine ähnliche Konstellation könnte sich dadurch auch bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024 ergeben.
Experte: Es geht um Demokratie
Die Möglichkeiten von US-Präsidenten Joe Biden, Bundesrichterinnen und -richter für den US-Supreme-Court zu bestellen, hänge davon ab, ob seine Demokraten auch nach den Midterms die Mehrheit im Senat behalten, so der „Economist“.
Expertinnen und Experten sind wegen des Einflusses des großen Geldes und der herrschenden Rhetorik beunruhigt. Waren es früher Konzerne und Unternehmen, die sich mit Wahlspenden frühen Einfluss auf die Richterkandidaten sichern wollten, sei es jetzt die Politik selbst, so Michael J. Klarman, Verfassungsexperte an der Harvard University. „Der Wettbewerb dreht sich jetzt um die Demokratie“, so Klarman.
Abstimmung in fünf Bundesstaaten über Sklavereiverbot
Mit den Midterms wird in fünf US-Bundesstaaten – Alabama, Louisiana, Oregon, Tennessee und Vermont – auch über ein Verbot der Sklaverei abgestimmt, wie die BBC schreibt. Die US-Verfassung verbietet zwar die Sklaverei, bei der eine Person das rechtmäßige Eigentum einer anderen ist, es gibt allerdings eine Ausnahmeregelung für verurteilte Gefangene. Und diese müssen in einigen US-Gefängnissen Zwangsarbeit zu äußerst geringem Lohn leisten.
Politologe Werz zu den US-Midterms
Der Politikwissenschaftler Michael Werz von der Georgetown University analysiert die Stimmung in den USA vor den Midterms.
Die Wurzeln dieser Ausnahme liegen laut Menschenrechtsexperten in den Jahrhunderten der Sklaverei von Afroamerikanern und -amerikanerinnen. In den Jahren nach dem Verbot der Sklaverei wurden Gesetze verabschiedet, die speziell darauf abzielten, schwarze Gemeinschaften zu unterdrücken und sie in Gefängnisse zu zwingen, wo sie arbeiten mussten – als Ersatz für die durch das Ende der Sklaverei für die vormaligen Besitzer fehlende Arbeitskraft, so die BBC.
Von Autokennzeichen bis Käse
Und diese Gesetzeslücke müsse gestopft werden, so die Befürworterinnen und Befürworter der Abschaffung. Rund 75 Prozent der Häftlinge in US-Gefängnissen sind Afroamerikaner bzw. Afroamerikanerinnen. Skeptiker argumentieren, dass eine Abschaffung der Zwangsarbeit durch die dann zu zahlenden höheren Löhne nicht lukrativ sei, und es auch zu nicht intendierten Konsequenzen im Strafsystem kommen könnte. So sehen sie etwa dadurch Programme für Häftlinge in Gefahr.
Häftlinge tragen laut BBC auf vielfältige Weise zur US-Wirtschaft bei. So werde in US-Gefängnissen alles Mögliche von Brillen über Autokennzeichen bis hin zu Parkbänken hergestellt. Auch Lebensmittel wie etwa Rindfleisch, Milch und Käse werden bearbeitet. Häftlinge arbeiten auch in Call-Support-Centern für Regierungsbehörden und große Unternehmen.
Menschenrechtsexpertin: Referenden nicht ausreichend
Schwierigkeiten könnten alleine schon bei der Nachvollziehbarkeit, welche Unternehmen Gefängnisarbeiter und -arbeiterinnen einsetzen, entstehen. Die Arbeit wird in der Regel für Subunternehmer ausgeführt. Dieser verkauft dann die Produkte und Dienstleistungen an große Unternehmen weiter, die sich der Herkunft manchmal nicht bewusst sind, so die BBC. Zu den Unternehmen, die alleine in Utah von Gefängnisarbeit profitiert haben, zählen American Express, Apple, Pepsi-Cola und FedEx, wie ein Bericht der American Civil Liberties Union (ACLU) vom Juni zeigt.
„Diese Referenden sind notwendig, aber nicht ausreichend, um die Sklaverei zu beenden“, so Jennifer Turner, Menschenrechtexpertin bei der ACLU. Die Gerichte müssten noch auslegen, welche Rechte Gefängnisbeschäftigte haben und ob sie Leistungen – wie Krankengeld – erhalten, auf die andere nicht inhaftierte Arbeitnehmerinnen und -nehmer einen gesetzlichen Anspruch haben.