zerstörte Gebäude in der Region Cherson
APA/AFP/Bulent Kilic
Ukraine

Gespanntes Warten in Cherson

In der Ukraine herrscht gespanntes Warten vor einer möglichen Schlacht um die von Russland besetzte Großstadt Cherson. Kiew zieht nach russischen Angaben seine Truppen in der Region zusammen. Die Ukraine warf der Besatzungsmacht Plünderungen vor. Leidtragende sind die in der Stadt verbliebenen Zivilpersonen. In den vergangenen 48 Stunden gab es nach Angaben der beiden Kriegsparteien weder Strom noch Wasser.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak warf den russischen Truppen am Montag vor, Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen zunächst gezwungen zu haben, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Danach hätten Plünderungen begonnen: „Raub an denen, die sie ‚beschützen‘ wollten – die beste Illustration der ‚russischen Welt‘.“

Das ukrainische Militär erklärte zudem, russische Soldaten würden als Zivilpersonen verkleidet Wohnhäuser besetzen, um sich besser für Straßenkämpfe in Stellung zu bringen. Russische Journalistinnen und Journalisten wiederum würden die Inszenierung von Videos vorbereiten, mit denen fälschlicherweise belegt werden soll, dass die ukrainischen Soldaten der Zivilbevölkerung Schaden zufügen. Russland äußerte sich nicht zu den Vorwürfen.

Russland: „Evakuierung“ geht weiter

Der von Russland installierte Vizeverwaltungschef Kirill Stremoussow sagte, die Ukraine konzentriere ihre Truppen um Cherson. Die „Evakuierung“ der Region gehe weiter. Vor allem Menschen, die nicht selbst gehen könnten, sollten in Sicherheit gebracht werden. Teilweise gebe es Stromausfälle. An der Front sei die Lage unverändert, so Stremoussow.

Ukraine: Kriegsende nicht absehbar

Nach zehn Monaten Krieg in der Ukraine ist kein Ende absehbar. Durch massive Niederlagen musste Moskau zwar seine Kriegsziele mehrfach ändern. Aber auch die Ukraine verzeichnet trotz Geländegewinnen wenig militärischen Erfolg.

Cherson liegt im Süden der Ukraine. Es ist die einzige Regionalhauptstadt, die Russland seit Beginn seiner Invasion am 24. Februar erobern konnte. Vor dem Krieg lebten dort etwa 300.000 Menschen. In den vergangenen Tagen ordnete Russland „Evakuierungen“ an, angeblich um die Zivilbevölkerung vor einer bevorstehenden Offensive der Ukraine zur Rückeroberung der Stadt in Sicherheit zu bringen.

Kein Strom, kein Wasser

In den letzten 48 Stunden lag die Stadt nach Angaben beider Kriegsparteien im Dunkeln, nachdem die Strom- und Wasserversorgung für die umliegende Gegend gekappt worden war. Die von Russland eingesetzte Verwaltung beschuldigte die Ukraine der Sabotage. Ukrainische Behörden warfen dagegen Russland vor, Stromkabel demontiert zu haben. Elektrizität werde es vermutlich erst wieder geben, wenn das Gebiet wieder unter Kontrolle der Ukraine stehe.

Die Lage in der Stadt kann derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Die Rückeroberung Chersons ist eines der Hauptziele der ukrainischen Gegenoffensive, die im Oktober begann. In den vergangenen Tagen war von ukrainischer Seite zu hören, dass mit einer erbitterten Schlacht zu rechnen sei. Russland hat Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Cherson geschickt. Es gab aber auch Andeutungen, dass sich die russischen Truppen zurückziehen könnten.

Ukraine zu Verhandlungen mit Putin-Nachfolger bereit

Die Ukraine ist nach den Worten von Podoljak zu Verhandlungen mit Russland bereit – aber nur mit dem künftigen Nachfolger von Präsident Wladimir Putin. „Die Ukraine hat sich nie geweigert zu verhandeln“, schrieb er am Montag auf Twitter. „Unsere Verhandlungsposition ist bekannt und offen.“

Russland solle zunächst seine Truppen aus der Ukraine abziehen. „Ist Putin bereit? Offensichtlich nicht. Deshalb sind wir konstruktiv in unserer Einschätzung: Wir werden mit dem nächsten Staatschef sprechen.“

Russland hat in den vergangenen Wochen mehrere Rückschläge einstecken müssen. Putin reagierte mit der Einberufung Hunderttausender Reservisten und der Annexion besetzter ukrainischer Landesteile. 50.000 bei der Teilmobilmachung eingezogene Russen seien inzwischen in der Ukraine im Kampfeinsatz, teilte Putin mit.