Die russische Zentralbankchefin Elvira Nabiullina
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Russische Zentralbank

Westliche Sanktionen „nicht unterschätzen“

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine gibt es Debatten, wie zielsicher die Sanktionen der EU und anderer westlicher Staaten gegen Russland wirken. So gibt es die Darstellung, dass die Sanktionen Europa stärker schaden würden als Russland. Nun warnt die russische Zentralbankchefin Elwira Nabiullina davor, die Folgen der westlichen Sanktionen für die Wirtschaft zu unterschätzen.

„Die Sanktionen sind sehr mächtig, ihr Einfluss auf die russische und globale Wirtschaft sollte nicht heruntergespielt werden“, sagte Nabiullina am Dienstag vor Abgeordneten des russischen Parlaments. Es sei nicht möglich, sich von ihrem Einfluss zu isolieren. Potenzielle neue russische Partner hätten Angst davor, ebenfalls in den Sanktionsstrudel hineinzugeraten, so die Zentralbankchefin.

Die westlichen Strafmaßnahmen infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine zielten vor allem auf die Banken ab. Die Kreditvergabe an Unternehmen stieg von Jänner bis Oktober um 9,9 Prozent und damit schneller als im Vorjahreszeitraum mit 9,7 Prozent.

Banken vergeben mehr Kredite

„Wir gehen davon aus, dass sich die positive Dynamik bei der Kreditvergabe fortsetzen wird, und dass die Banken gleichzeitig in der Lage sein werden, das neue Programm zur Gewährung von Urlaubskrediten für mobilisierte Soldaten und ihre Familienangehörigen zu erfüllen“, sagte Nabiullina.

Russische Zentralbank in Moskau
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Die russische Zentralbankchefin warnte am Dienstag davor, die westlichen Sanktionen zu unterschätzen

Diejenigen, die im Rahmen der Teilmobilmachung von Präsident Wladimir Putin zum Militärdienst einberufen werden, haben Anspruch auf tilgungsfreie Zeiten für Hypotheken, Verbraucher- und Kreditkartenkredite für die Dauer ihres Dienstes und für 30 Tage danach. Die Mobilmachung wirkt sich bereits negativ auf Russlands Staatsfinanzen, die Verbrauchernachfrage und die Unternehmen aus.

Russland hatte nach der Einführung der Sanktionen Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, um einen Verfall des Rubels zu verhindern. Nabiullina sieht derzeit keine Notwendigkeit dafür, die seit dem Frühjahr geltenden Kapitalverkehrskontrollen weiter zu lockern. Allerdings hat das auch einen Nachteil: Die Einnahmen aus den russischen Exporten – etwa von Öl, Gas und anderen Rohstoffen – werden geschmälert, da sie häufig in Dollar und Euro abgerechnet werden.

Caritas-Chef sieht keine Wirkung der Sanktionen

Der Leiter der Caritas in Russland, Marcus Nowotny, sieht kaum Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf den russischen Alltag. „Wer Coca-Cola liebt, muss sich natürlich umorientieren, andere sanktionierte Produkte kommen über Umwege ins Land“, sagte Nowotny am Dienstag der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA laut Kathpress in Freiburg.

„Die Menschen in Russland sind es aus Zeiten des kommunistischen Regimes gewöhnt, dass nicht immer alle Waren verfügbar sind, und sind entsprechend kreativ und geduldig.“ Inwieweit Sanktionen Druck aufbauten, sei fraglich. Nowotny betonte aber auch, dass es große Angst vor neuen Einberufungen in die russische Armee gebe.

Eine steigende Zahl arbeitsfähiger Männer fehle in den Betrieben. Immer mehr Familien betrauerten den Tod des Vaters, Bruders oder Sohnes, die in der Ukraine gefallen sind. Offene Kritik am Regime sei sehr gefährlich, so der Priester. Schon für die geringsten Proteste drohten lange Gefängnis- oder Geldstrafen, die höher als das monatliche Einkommen vieler Russen seien: „Viele Menschen haben Angst.“

Kämpfe bei Cherson dauern an

Unterdessen gehen die Kämpfe in der Region rund um die südukrainische Stadt Cherson weiter. Es ist die einzige Regionalhauptstadt, die Russland seit Beginn seiner Invasion am 24. Februar erobern konnte. Vor dem Krieg lebten dort etwa 300.000 Menschen.

In den vergangenen Tagen ordnete Russland „Evakuierungen“ an, angeblich um die Zivilbevölkerung vor einer bevorstehenden Offensive der Ukraine zur Rückeroberung der Stadt in Sicherheit zu bringen. Die ukrainischen Streitkräfte wollen das Gebiet, das seit März unter russischer Kontrolle steht, möglichst bald zurückerobern. Die Lage in der Stadt kann derzeit nicht unabhängig überprüft werden.

Von ukrainischer Seite war zu hören, dass mit einer erbitterten Schlacht zu rechnen sei. Russland hat Tausende Soldaten zur Verstärkung nach Cherson geschickt. Es gab aber auch Andeutungen, dass sich die russischen Truppen zurückziehen könnten.

Strom- und Wasserausfälle in Ukraine

In den letzten Tagen lag Cherson nach Angaben beider Kriegsparteien immer wieder im Dunkeln, nachdem die Strom- und Wasserversorgung für die umliegende Gegend gekappt worden war. Die von Russland eingesetzte Verwaltung beschuldigte die Ukraine der Sabotage. Ukrainische Behörden warfen dagegen Russland vor, Stromkabel demontiert zu haben.

Auch andere Teile der Ukraine sind immer wieder von Strom- und Wasserausfällen betroffen – so auch die Hauptstadt. Die Regierung in Kiew rechnet mit weiteren Anschlägen Russlands auf die Infrastruktur, insbesondere die Stromversorgung, weshalb es am Montag in Kiew zu großräumigen Stromabschaltungen kam.

Selenskyj wird an G-20-Gipfel teilnehmen

Russland müsse zu ernsthaften Friedensgesprächen gezwungen werden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer nächtlichen Videoansprache am Dienstag: „Der destabilisierende Einfluss Russlands konfrontiert die Welt mit Krieg, Energie- und Nahrungsmittelkrisen und der Zerstörung der gewohnten internationalen Beziehungen“, so Selenskyj.

Auch die Klimaagenda, „leide wirklich“, könne aber nicht auf Eis gelegt werden. Die Ukraine ist nach den Worten von Präsidentenberater Mychajlo Podoljak zu Verhandlungen mit Russland bereit – aber nur mit dem künftigen Nachfolger von Putin.

Selenskyj wird außerdem am G-20-Gipfel in Indonesien teilnehmen, voraussichtlich aber nur virtuell. Das berichtete der staatliche Sender Suspilne unter Berufung auf das Präsidialamt in Kiew. Der Gipfel der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer findet kommende Woche, Dienstag und Mittwoch in Bali statt. Zu der Staatengruppe gehört auch Russland, ob Präsident Putin teilnehmen wird, ist noch offen.