Scheichs im Lusail-Stadion in Doha, Katar
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Fußball in Katar

Sinnbild für die Gesellschaft

Der 31. Juli 2022 gilt als denkwürdiger Tag für den Fußball: Vor 87.000 Zuschauerinnen und Zuschauern kämpften die Nationalteams von Deutschland und England um den Europameistertitel im Londoner Wembley-Stadion. Der Frauen-Fußball stieß damit in der öffentlichen Wahrnehmung stark empor und erlebte Anerkennung in einer Breite wie nie zuvor. Nun steigt mit der Männer-WM in Katar das nächste Großereignis. Dort spielt sich das Leben für Frauen unter widrigen Vorzeichen ab, der Verlauf der Ambitionen im Frauen-Fußball ist ein Sinnbild dafür.

Dabei schienen die Ambitionen des katarischen Fußballverbands (QFA) anfangs groß zu sein. 2009 wurde das Frauen-Nationalteam gegründet, Anfang 2013 gelang es, Monika Staab als Trainerin ins Land zu holen. Ein starkes Zeichen des Emirats, schließlich gilt die Deutsche als Pionierin der Förderung des Frauen-Fußballs – und das tatsächlich weltweit: In 75 Ländern war sie tätig, derzeit in Saudi-Arabien als Nationaltrainerin. Katar schien es damals also ernst zu meinen mit der Förderung des Frauen-Fußballs im Land.

„Das Nationalteam hat schon existiert“, erzählt Staab im Gespräch mit ORF.at – doch sportlich war der Status überschaubar: Ende 2010 sei mit dem Arabia Women’s Cup ein Turnier gespielt worden, bei dem das Team extrem schwach abgeschnitten habe, so Staab. Drei Niederlagen aus drei Spielen, kein Tor, dafür 47 Gegentore. Zweieinhalb Jahre später – also mit dem Antritt Staabs – sollte sich das ändern. Man habe begonnen, in Schulen Mädchen zu suchen, sagt Staab, und es ging voran: „Dann habe ich ein U-14- und ein U-16-Team aufgebaut.“

Dem Ministerium unterstellt – und nicht dem Verband

Doch gab es einen strukturellen Unterschied, der auf den Grad der Anerkennung schließen lässt: Das Frauen-Team sei dem Women’s Sports Committee des Ministeriums für soziale Entwicklung und Familie unterstellt gewesen und nicht der QFA, wo das Männer-Team angedockt ist. Bei der Arbeit habe sie persönlich aber „keine Unterdrückung gespürt“.

Ungeachtet dessen sollten durch den fortlaufenden Trainingsbetrieb die Niederlagen des Frauen-Teams nicht mehr so schmerzhaft ausfallen wie vor der Ära Staab. Bei der Westasienmeisterschaft der Frauen 2014 in Jordanien gingen zwar wiederum alle drei Spiele verloren – doch standen weit weniger Gegentore bzw. zwei geschossene Tore der inferioren Bilanz von 2010 gegenüber.

Monika Staab trainiert Frauen in Katar
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Staab (l.) im März 2014 mit Teamspielerinnen auf einem Trainingsplatz in Doha

Seit 2014 kein Bewerbsspiel mehr

Der sportliche Pfeil zeigte nach oben, der Nachwuchs war ambitioniert, die Grundlage für erste Siege schien geschaffen – doch sollte sich das Blatt wenden. Im Juni 2014 – nach eineinhalb Jahren – wurde der Vertrag mit Staab beendet. „Sie wollten einen arabisch sprechenden Trainer haben“, sagt Staab – obwohl sie „mit Englisch ganz gut vorangekommen“ sei. Mit der Ablöse Staabs wurden die anfänglichen Ambitionen für Spiele des Nationalteams der Frauen auf ein Minimum zurückgefahren.

„Danach war es so, dass es kein offizielles Länderspiel mehr gab“, so Staab im ORF.at-Interview. Auch habe es im Women’s Sports Committee einen Wechsel gegeben, jene Funktionärin, die die Verpflichtung Staabs vorangetrieben hatte, verließ das Gremium. „Es hängt von den Leuten ab, die in der Führung sind“, sagt die Trainerin. Die Frage sei, ob den Frauen die Möglichkeit gegeben werde zu spielen und ob Interesse an der Förderung des Frauen-Fußballs bestehe – das sei in Katar nicht mehr der Fall gewesen.

WELTjournal: Katar – Im Scheinwerferlicht der WM

Es ist die umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten, die am 20. November in dem kleinen Wüstenstaat Katar am Persischen Golf beginnt. Die Vorwürfe rund um die WM-Vergabe reichen von Korruption bis Spionage, von der Ausbeutung Hunderttausender Arbeitsmigranten bis zum enormen CO2-Ausstoß. WELTjournal-Chefin Christa Hofmann hat sich in Katar angesehen, wie sich das konservativ-muslimische Emirat mit Megasportevents wie der Fußball-WM auf internationaler Bühne etablieren will. Sie hat WM-Stadien besucht und mit Gastarbeitern gesprochen, mit katarischen Funktionären und WM-Fanbeauftragten, mit Katar-Kennern und Nahost-Experten.

Alles nur für die WM-Bewerbung?

Freilich wurde nach dem Abgang Staabs und dem letztlichen Werdegang des Frauen-Nationalteams rasch der Verdacht laut, Katar habe sich nur wegen der Bestimmungen des Fußballweltverbandes (FIFA) zur Bewerbung für die WM-Ausrichtung dazu entschlossen, ein Frauen-Team zu gründen. Als dann Katar den Zuschlag bekam, habe – so der Verdacht von Kritikerinnen und Kritikern – an der Aufrechterhaltung des Spielbetriebs kein Interesse mehr bestanden. Ein mutmaßlicher Umstand, den die Deutsche nicht kommentieren wollte.

Monika Staab
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Monika Staab in ihrer Zeit als Nationaltrainerin Katars – die 63-Jährige leistete in Dutzenden Ländern Aufbauarbeit für den Fußball. Derzeit trainiert sie das Nationalteam Saudi-Arabiens.

„Dann bricht etwas zusammen“

Sie habe noch regelmäßigen Kontakt zu Spielerinnen aus Katar, so Staab, wieso es keine Bewerbsspiele mehr gibt, könne sie nicht sagen. Sie sehe sich als Aufbauhelferin, umso bedauerlicher sei das Ende nach acht Spielen gewesen, weil sie sehr viel Energie gegeben hätten.

„Wenn etwas aufgebaut wird, ist es wichtig, dass es weitergeführt wird. Wenn das nicht der Fall ist, dann bricht wieder was zusammen, was man in eineinhalb Jahren aufgebaut hat“, so Staab, die nach ihrer Katar-Zeit an Projekten in Ländern wie den Seychellen, Nordkorea und China arbeitete.

Doch klar sei auch: „Jeder Verband ist für sich selbst verantwortlich“, so Staab. „Weder FIFA noch UEFA oder AFC (Asiens Verband, Anm.) können dem nationalen Verband vorschreiben, wie der den Frauen-Fußball zu tun oder zu lassen hat“, so Staab. Doch sei es nicht so, dass Frauen-Fußball in Katar gar nicht mehr vorhanden sei.

„Hinter verschlossenen Türen“

„Die Frauen trainieren noch, irgendwo haben sie noch Aktivitäten“, so Staab. Und generell gebe es viele Frauen, die Fußball spielen wollen: „Man muss es fördern“, aber wenn keine Spiele stattfänden, könnten sie sich nicht entwickeln, das sei das Problem. „Wenn sie Frauen-Fußball fördern wollen, brauchen sie Nachwuchsarbeit“, doch gebe es nicht die Vereine dafür.

„Die Frauen haben zuletzt eine Futsal-Liga (Futsal ist eine Variante des Hallenfußballs, Anm.) gespielt, das ist insofern günstiger, weil es hinter verschlossenen Türen stattfindet, weil die Frauen in der Öffentlichkeit einen Hidschab tragen sollen“, so Staab. Das sei aber auch wieder von der Familie abhängig, so Staab. Generell sei der arabische Raum in Sachen Frauen-Fußball „etwas Besonderes“, hier habe die Frau auch familiären Verpflichtungen nachzukommen.

Verschleierte Frauen in Doha, Katar, bei Weihnachstbeleuchtung
Reuters/Fabrizio Bensch
Bereit für die WM: Die schöne Fassade in Katar glitzert

„Diskriminierung per Gesetz und in der Praxis“

In der Tat findet das Leben für Frauen in Katar mit Einschränkungen statt. Die Menschenrechts-NGO Amnesty International Österreich spricht auf Anfrage von ORF.at von einer „Diskriminierung per Gesetz“ und „in der Praxis“. „Unter dem Vormundschaftssystem brauchen Frauen die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds“ für wesentliche Entscheidungen des Lebens. Vormund sei in der Regel der Ehemann, der Vater, der Großvater, der Bruder oder der Onkel.

Es gehe etwa „um die Entscheidung zu heiraten, im Ausland mit staatlichem Stipendium zu studieren, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, ins Ausland zu reisen (das betrifft Frauen unter 25, Anm.) sowie Gesundheitsversorgung im Bereich der reproduktiven Medizin zu erhalten“. Frauen würden auch durch das Familienrecht diskriminiert: Es bestünden bei Scheidungsabsicht „größere Hürden“, so Amnesty. Und auch kleinere Entscheidungen, etwa ob eine Frau Fußball spielen oder ins Stadion gehen darf, liegt letztlich beim Vormund.

Resultat als Nebensache

Und das Frauen-Team Katars heute? Wenige sportliche Auftritte der Spielerinnen gab es zuletzt, etwa im Dezember 2020, als in Katar ein Freundschaftsspiel gegen das US-Frauen-Fußballteam Washington Spirit abgehalten wurde. Ein Bericht auf der Website des Verbands wartet mit allerlei Infos rund um das Spiel auf, ein Resultat ist aber nicht zu finden, was allerhand Spielraum für Interpretationen bietet. Wettbewerbe, an denen das Team teilgenommen hat, sind nicht dokumentiert.

Ein grundlegendes Problem sieht Ex-Teamtrainerin Staab im Umstand, dass das Frauen-Team Katars nicht im nationalen Verband angesiedelt ist. Wenn man es ernst meine, müsse man das ändern. Das Männer-Team Katars betritt am Sonntag jedenfalls die größtmögliche Bühne im Fußball. Und beim Eröffnungsspiel gegen Ecuador wird sich zeigen, ob die jahrelange Aufbauarbeit rund um das Männer-Nationalteam auch sportlich Wirkung zeigt – das Resultat wird ungeachtet der erwarteten Unterlegenheit um die Welt gehen.