Binance-CEO Changpeng Zhao
Reuters/Willy Kurniawan
Nach FTX-Desaster

Kryptoszene bittet Politik um Hilfe

Die Kryptoszene versteht sich seit Jahren als „Disrupter“ – also „Zerstörer“ etablierter Finanzsysteme. Doch mit dem Desaster der Kryptowährungsbörse FTX, dem Liebling einschlägiger Investoren, ist die Nervosität in der seit Monaten gebeutelten Kryptowährungsszene groß. Nun fordert ausgerechnet einer ihrer prominentesten Vertreter, die Politik möge einschreiten und die Branche regulieren.

„Wir sind in einem neuen Geschäftsfeld“, sagte Changpeng Zhao, Chef des Weltmarktführers Binance am Montag im Rahmen des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der 20 größten Industriestaaten und Schwellenländer (G-20). „Wir haben in der vergangenen Woche gesehen, wie verrückt die Dinge geworden sind. Wir brauchen Regulierung, wir müssen das richtig machen, wir müssen das auf solide Beine stellen.“

Changpeng versuchte mit seinem Appell sichtlich, weitere Panik unter den hochnervösen Anlegerinnen und Anlegern zu verhindern. Er betonte, er sehe auch seine Branche in der Pflicht, Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. „Regulierer spielen eine Rolle, aber es ist nicht zu 100 Prozent ihre Verantwortung“, räumte Changpeng ein. Der Binance-Chef verwies zugleich darauf, dass man unmöglich allen Betrug verhindern könne: „Um ehrlich zu sein: Wenn jemand sehr gut im Lügen ist und nur vortäuscht, jemand zu sein, der er gar nicht ist, und gegen Gesetze verstoßen will, dann werden Gesetze das nicht verhindern können“, so Changpeng, ohne den Namen seines bisherigen Erzrivalen, von Ex-FTX-Chef Sam Bankman-Fried, zu nennen.

Idealer Boden für Pyramidenspiele

Da der Handel mit Kryptowährungen weltweit bisher kaum reguliert ist, zieht dieser nach Wildwestmanier viele an, die auf schnelle und große Gewinne hoffen. Dabei handelt es sich aber teilweise um Pyramidenspiele ohne Sicherheiten, wie der Fall FTX zeigt. Hunderte verschiedene angebliche Kryptowährungen schossen in den letzten Jahren aus dem Boden. Viele von ihnen entpuppten sich bereits als simples Betrugsschema, Menschen gegen Hoffnung auf völlig überzogene Gewinne Geld aus der Tasche zu ziehen.

Ex-FTX-Chef Sam Bankman-Fried
AP/CQ Roll Call/Tom Williams
Bankman-Fried bei einer Anhörung im US-Kongress, als die Zeiten für FTX noch besser waren

Experte: Guter Zeitpunkt für Politik

Die FTX-Affäre sei der ideale Zeitpunkt für die Behörden, die Zügel straffer zu ziehen, kommentierte Naeem Aslam, Chefmarktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. „Wir können uns die unterschiedlichen Maßstäbe für Kryptowährungsbörsen nicht mehr leisten.“ Anders als der klassische Aktien- oder Rohstoffhandel steckt die Regulierung dieser Plattformen noch in den Kinderschuhen.

Am Freitag hatte FTX, nach Handelsvolumen bis dahin weltweit die Nummer fünf der Kryptowährungsbörsen, Insolvenz angemeldet. Insidern zufolge soll mindestens eine Milliarde Dollar an Kundengeldern verschwunden sein. Der zurückgetretene Firmenchef Bankman-Fried habe heimlich zehn Milliarden Dollar an Kundengeldern von FTX zu seinem eigenen Handelsunternehmen Alameda transferiert.

Kryptoszene bittet Politik um Hilfe

Nach dem Kollaps der Kryptowährungsbörse FTX sind auch innerhalb der Branche die Rufe nach einer strengeren Regulierung lauter geworden. Changpeng Zhao, Chef des Weltmarktführers Binance, forderte beim G-20-Treffen auf Bali ein Einschreiten der Politik und eine Regulierung der Branche.

„Unregulierte Schneeballsysteme“

Bankman-Fried widersprach, es habe sich nicht um eine heimliche Transaktion gehandelt. Es habe jedoch Missverständnisse bei der Verbuchung gegeben, erklärte er in einer Textnachricht an die Nachrichtenagentur Reuters. „Es stellt sich heraus, dass ein Spiel mit unregulierten Schneeballsystemen doch keine so gute Idee ist“, kommentierte Neil Wilson, Chefanalyst des Onlinebrokers Markets.com.

Aufruf an Geschädigte

Der Verein COBIN Claims, der Sammelklagen organisiert, ruft Österreicher und Österreicherinnen, denen möglicherweise Schaden durch FTX entstanden ist, dazu auf, sich zu melden.

Bangen um weitere Börse

Vor diesem Hintergrund geraten andere Handelsplattformen ins Trudeln. Am Wochenende hatte eine 400 Millionen Dollar schwere Überweisung der Kryptowährung Ethereum von der Börse Crypto.com zu Gate.io Spekulationen über Unregelmäßigkeiten bei Ersterer geschürt. Crypto.com-Chef Kris Marszalek zufolge liegt die Transaktion mehr als drei Wochen zurück und stehe in keinem Zusammenhang mit der FTX-Affäre. Außerdem sei das Geld inzwischen zurücktransferiert worden. Marszalek betonte außerdem, dass sein Unternehmen über eine starke Bilanz verfüge und kündigte für die kommenden Wochen eine geprüfte Aufstellung der Finanzreserven an.

Beim kollabierten Rivalen FTX stünden weniger als zehn Millionen Dollar seines Unternehmens im Feuer. Crypto.com rangiert bei den umsatzstärksten Kryptobörsen auf Platz sieben.

Warnung vor Panik

Analyst Timo Emden von Emden Research warnte wegen des allgemeinen Vertrauensverlustes vor einem möglichen massenhaften Abzug von Geldern bei Kryptobörsen. „Ein derartiges Ereignis könnte eine sich selbst verstärkende Dynamik auslösen und zu weitreichenden Kursverlusten führen.“

Im Sog der FTX-Turbulenzen haben die beiden führenden Cyberdevisen Bitcoin und Ethereum in den vergangenen Tagen bereits jeweils rund 20 Prozent verloren. Mit 15.566 Dollar war Erstere zeitweise so billig wie zuletzt vor zwei Jahren und kostete etwa 16.740 Dollar.