Die österreichische Schriftstellerin, Theaterautorin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
APA/Roland Schlager
Neuer Jelinek-Text

Ein „Ich“ spricht aus dem Steuerakt

Seit dem Literaturnobelpreis 2004 hat sich Elfriede Jelinek aus der Öffentlichkeit zurückgezogen – und ist hauptsächlich als Theaterautorin in Erscheinung getreten. Jetzt erscheint „Angabe der Person“, vom Verlag als „Lebensbilanz“ angekündigt und ohne Gattungsbezeichnung versehen. Zugleich würdigt Claudia Müller die Dichterin in ihrem Filmporträt „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“.

Die Begründung für die Vergabe des Literaturnobelpreises durch die schwedische Akademie an Jelinek liest sich auch nach 18 Jahren noch treffend und präzise. Darin lobte sie „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.

Die legendäre Spracharbeit Jelineks, sie hat sich seitdem in 20 Theaterstücken niedergeschlagen, wurde zum beliebten Material des deutschsprachigen Regietheaters. Löst Jelinek in ihren „Textblöcken“ doch die Figuren komplett auf, bis nur noch Sprache um sich selbst kreist. Dass dabei nie Beliebigkeit und Kunst um der Kunst willen herauskam, liegt daran, dass Jelineks Texte stets daran erinnern, wie Bezeichnungen die soziale und politische Realität strukturieren, wie Begriffe und „Framings“ Opfer zu Opfern und Täter zu Tätern machen.

Verwirrspiel ums „Ich“

Das neue Buch „Angabe der Person“ – vom Verlag im Vorfeld als „Lebensbilanz“ angekündigt, aber ohne Gattungsbezeichnung versehen – hat viel von der theatralen Schreibweise der letzten beiden Jahrzehnte mitbekommen – als „Textblock“ fordert und überfordert er die Leserinnen und Leser, macht es schwierig, den Themen nachzugehen, die hier ineinandergewoben werden.

Der Anlassfall – der Motor dieser Textmaschine – nimmt aber auf den 189 Seiten Kontur an: Ein Steuerverfahren, in dessen Verlauf E-Mails von Jelinek beschlagnahmt und die Privatsphäre der Autorin bedrängt wurden, bildet die Grundlage für eine Erzählstimme, die von sich als „Ich“ spricht und durchaus Autobiografisches aus Jelinkes Familiengeschichte und Lebensverhältnissen äußert.

Buchcover: Angabe der Person
Rowohlt Verlag
Elfriede Jelinek: Angabe der Person. Rowohlt, 190 Seiten, 25,50 Euro.

Natürlich wäre „Angabe der Person“ kein Werk aus Jelineks Textuniversum, würde dieses „Ich“ nicht gleich wieder von anderen Meinungen und Bewertungen überdeckt – eben den „Gegenstimmen“, auf die sich die Nobelpreisbegründung bezog: „Ja die Jelineks, die machen was mit, angeblich von einem jüdischen Bauernpärchen abstammend, seltsame Bauern. Daß die Juden waren, daß die das sein durften!, daß sie sich das getraut haben!, unglaublich, aber bitte, ich kann es beweisen, die Papiere Lügen nicht, meine schon aber andere, und mein Werk lügt sowieso.“

Es ist ein sich Vor- und Zurücktasten durch Versatzstücke der politischen und medialen Sprechweisen, die erneut durch das thematische Spektrum – Kapitalismuskritik, Migrationspolitk, Anklage der Verbrechen der Schoah und Frauenfeindlichkeit – Jelineks führt, gruppiert um ein Verwirrspiel mit einem „Ich“, hinter dem sich am Ende keine Person, sondern eine der vielen verschwimmenden Sprecherpositionen verbirgt. So eng liegt dieser Text, den man als experimentellen „Roman“ lesen kann, bei den dramatischen Texten Jelineks, dass die Gattungen darin ineinanderfließen und „Angabe der Person“ durchaus als Theatertext publiziert hätte werden können. Da liegt es nahe, dass Josi Wieler „Angabe der Person“ am Deutschen Theater Berlin (Uraufführung am 16. Dezember) dramatisieren wird.

Suche nach einer Archivperson

Auf Spurensuche nach der Person hinter Jelineks Texten kann man sich zurzeit auch im Kino machen: Claudia Müllers durch das ORF-Film/Fernsehabkommen unterstützte Doku „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ collagiert Archivaufnahmen von Jelinek aus mehreren Jahrzehnten zu einer Summe ihrer Erklärungen über ihre Herkunft und Familie.

Näher kann man der Autorin kaum kommen: Von der traumatischen Familienkonstellation zwischen dem jüdischen und sozialdemokratischen Hintergrund des Vaters, dessen Angehörige von den Nazis ermordet wurden, und der von einer musikalischen Genievorstellung besessenen Mutter, die die junge Dichterin in ein überstrenges künstlerisches Übungsregime zwang, ist zum Beispiel die Rede.

Müller gelangt bis zur Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit Jelineks Texten, die konsequent anzusprechen wagten, was lieber vergessen und verdrängt worden wäre. Aus allen Interviewfragmenten entsteht hier ein rundes Bild. Eingeflochten in die Erzählung der Archivmaterialien sind Lesungen aus Jelineks Werk von großen Schauspielerinnenstimmen wie Sophie Rois und Stefanie Reinsperger. Und so wird Müllers Doku zur idealen Begleitung zu „Angabe der Person“, trägt nach, was der Roman herzuzeigen verspricht und gleich wieder verdeckt.