Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach einem Raketeneinschlag in ein Wohnhaus in Kiew
Reuters/Gleb Garanich
Wohnhäuser getroffen

Raketen auf Kiew und andere Großstädte

In vielen Teilen der Ukraine sind am Dienstag russische Raketen niedergegangen. In der Hauptstadt Kiew wurden auch Wohnhäuser beschädigt, mindestens eine Person starb. Die Folge waren auch großflächige Stromausfälle. Der Angriff erfolgte am vorletzten Tag des G-20-Gipfels in Bali, dessen Schlusserklärung Russlands Angriffskrieg verurteilen soll.

Wie Kiews Bürgermeister Witali Klitschko kurz nach dem Angriff berichtete, ist in der Hauptstadt mindestens eine Person ums Leben gekommen. Eine Leiche sei aus einem Wohngebäude in dem Bezirk Petschersk geborgen worden. Auch im Umland von Kiew habe es Einschläge gegeben. Über Angriffe wurde auch aus den Gebieten Odessa, Tscherkassy, Kirowohrad, Chmelnyzkyj, Charkiw und Dnipropetrowsk berichtet.

Zwischenzeitlich wurde im gesamten Land Luftalarm ausgerufen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete wenig später von rund 85 russischen Raketen, die hauptsächlich die Infrastruktur der Ukraine zum Ziel gehabt hätten. Der Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte, Jurij Ihnat, sagte gar, es seien etwa 100 Raketen abgeschossen worden.

„Wir werden überleben“, sagte Selenskyj. Der Feind werde sein Ziel nicht erreichen, so der 44-Jährige in einer Videobotschaft am Dienstag. Alles werde repariert und die Stromversorgung wiederhergestellt, sicherte der Staatschef zu. Gleichzeitig lobte er die Ukrainer: „Ihr seid Prachtkerle!“ Nach Kiewer Militärangaben umfasste der russische Angriff vom Dienstag etwa 100 Raketen und Marschflugkörper.

Wohnhäuser in Kiew von Raketen getroffen

Bei einem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew und Umgebung sind offiziellen Angaben zufolge zwei Wohnhäuser beschädigt worden.

Einschläge in Energieinfrastrukturobjekte „kritisch“

Viele Städte seien derzeit ohne Strom, hieß es. Man arbeite an der Wiederherstellung der Stromversorgung. Der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, bezeichnete die Situation nach Einschlägen in Energieinfrastrukturobjekte als „kritisch“. „Die meisten Treffer wurden im Zentrum und im Norden des Landes festgestellt“, schrieb er auf Telegram. Der staatliche Energieversorger Ukrenerho habe zu außerordentlichen Stromabschaltungen übergehen müssen, um das Netz auszubalancieren. Tymoschenko forderte die Bevölkerung zum Stromsparen auf. In Kiew ist den Behörden zufolge etwa die Hälfte der Stadt ohne Strom.

Blackout auch in Republik Moldau

Als Folge der Störfälle in der Ukraine gab es auch einen großen Stromausfall in weiten Teilen der benachbarten Republik Moldau. Nach Angaben von Vizepremierminister Andrei Spinu waren Hunderttausende Einwohner aus mindestens zehn Oblasten des Landes, einschließlich der Hauptstadt Chisinau, von dem Blackout betroffen. Das Stromnetz in dem Land soll unversehrt sein, dürfte aber infolge der Angriffe in der Ukraine abgeschaltet worden sein.

Kreml auch auf Bali unter Druck

Russland gerät sowohl auf dem Schlachtfeld als auch diplomatisch zunehmend unter Druck. Die erzwungene Aufgabe Chersons vergangene Woche wurde als schwere Niederlage für den Kreml gedeutet. Gleichzeitig scheinen sich auch bisherige Unterstützer von Moskau abzuwenden. Das zeigt gerade der G-20-Gipfel der führenden Industrie- und Schwellenländer auf Bali, wo Präsident Selenskyj die Staats- und Regierungschefs aufgefordert hat, Moskau zur Beendigung seines Angriffskrieges zu drängen. Die jüngsten Angriffe seien offenbar eine Reaktion auf die Rede Selenskyjs, so Präsidentenberater Andrij Jermak.

Die Chefverhandlerinnen und -verhandler der meisten Staaten einigten sich Berichten zufolge bereits auf den Entwurf einer Abschlusserklärung, in der Russlands Angriffskrieg in der Ukraine großteils verurteilt werden soll. „Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste und betonten, dass er unermessliches menschliches Leid verursache und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärfe“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Textentwurf.

Zudem werden laut Reuters ein „vollständiger und bedingungsloser Rückzug aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine“ und der ausdrückliche Verzicht auf einen Atomwaffeneinsatz gefordert. Weiter heißt es: „Es gab andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Situation und der Sanktionen. Wir erkennen an, dass die G-20 nicht das Forum ist, um Sicherheitsfragen zu lösen, aber wir erkennen an, dass Sicherheitsfragen erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben können.“

Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach einem Raketeneinschlag in ein Wohnhaus in Kiew
Reuters/Gleb Garanich
Einsatz nach Angriffen auf Kiew: Mehrere Raketen wurden abgefeuert

Michel: Druck auf Russland machen

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte am Dienstag, man habe sich auf ein Kommunique geeinigt. „Wir sollten versuchen, das G-20-Treffen zu nutzen, um alle Partner zu überzeugen, mehr Druck auf Russland auszuüben“, sagte Michel. Ob der Erklärungstext in dieser Form beschlossen werden kann, ist nach Angaben von EU-Diplomaten wegen des Widerstandes Russlands aber noch unsicher. Die Abschlusserklärung soll zum Gipfelende am Mittwoch veröffentlicht werden.

Sollte der Textentwurf durchgehen, würde der Krieg klar benannt werden – die russische Staatsführung spricht stets von einer „militärischen Spezialoperation“. Die scharfe Verteilung des Krieges und der Aufruf an Russland, seine Truppen zurückzuziehen, stammen laut diplomatischen Kreisen aus einer Resolution der UNO und sind in der Abschlusserklärung zitiert. Die Zustimmung zur Passage über den Atomwaffenverzicht soll durch Russlands Chefverhandlerin erfolgt sein, hieß es.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am Montag in einem Video seines Ministeriums gesagt, man werde die Abschlusserklärung annehmen. Sollte Moskau das tun, wäre das laut politischen Beobachterinnen und Beobachtern ein Zeichen dafür, dass Russland beim Thema Ukraine in der G-20-Gruppe nicht mehr auf die Unterstützung Chinas zählen kann.