Rauch in der Distanz an der Grenze zwischen Polen und der Ukraine
Reuters/Stowarzyszenie Moje Nowosiolki
Polen

NATO prüft Berichte über tödliche Explosion

Die NATO wird Berichte über eine tödliche Explosion in Polen prüfen. „Wir prüfen diese Berichte und stimmen uns eng mit unserem Bündnispartner Polen ab“, sagte ein NATO-Offizieller am Dienstagabend. Unterdessen versetzte Polen einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft. Und während Russland die Attacken dementiert, spricht die Ukraine von einer gravierenden Eskalation der Lage.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki rief wegen einer nicht näher bezeichneten Krisensituation eine Sitzung des Sicherheitsrates seines Landes ein. Das meldete die Nachrichtenagentur PAP am Mittwoch in Warschau. Offizielle Angaben zu der Krise wurden noch nicht gemacht, Berichte legten allerdings einen Zusammenhang mit dem heftigen russischen Raketenbeschuss auf das Nachbarland Ukraine nahe.

Kurze Zeit später kündigte der polnische Regierungssprecher Piotr Muller an, dass Polen sein Militär nun in erhöhte Bereitschaft versetze. Das gelte auch für andere uniformierte Dienste. Seine Regierung prüfe, ob sie Artikel vier der NATO-Charta in Kraft setzen müsse.

Schaidreiter (ORF) zu Raketen auf Polen

Raffaela Schaidreiter berichtet über Informationen aus dem NATO-Hauptquartier, welche die Raketeneinschläge in Polen als Irrläufer bewerten. Noch müsse geklärt werden, ob es sich um russische oder ukrainische Raketen handle.

Zu dem Vorfall an der Grenze zur Ukraine erklärt Muller, es habe eine Explosion gegeben, bei der zwei polnische Bürger ums Leben gekommen sein. Die Beantwortung weiterer Fragen lehnt Muller ab. Artikel vier besagt, dass die NATO-Mitglieder einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.

Stoltenberg sprach mit Duda

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte vor voreiligen Reaktionen: „Wichtig ist, dass alle Tatsachen festgestellt werden“, schrieb Stoltenberg am Dienstag nach einem Telefonat mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda auf Twitter. „Die NATO beobachtet die Situation, und die Bündnispartner stimmen sich eng ab“, betonte Stoltenberg. Der Generalsekretär sprach weder von Raketen noch von Russland, sondern vielmehr von einer „Explosion in Polen“.

Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach einem Raketeneinschlag in ein Wohnhaus in Kiew
IMAGO/ZUMA Wire/Aleksandr Gusev
Laut Kiew hat Russland mehrere ukrainische Städte mit rund hundert Raketen attackiert

Bericht: Zwei Tote bei Raketeneinschlag

Der private polnische Radiosender ZET berichtete, zwei verirrte Raketen seien in einem polnischen Dorf nahe der Grenze eingeschlagen. Nach unbestätigten Angaben seien zwei Menschen getötet worden.

Auch die AP zitierte einen hochrangigen US-Geheimdienstmitarbeiter mit der Aussage, die Explosion sei auf russische Raketen zurückzuführen, die in polnisches Gebiet eingedrungen seien. Ein Sprecher der Feuerwehr in Hrubieszow sagte der dpa, die Ursache für die Explosion sei noch ungeklärt.

Auch USA prüfen Berichte über Raketeneinschlag

Der polnische Regierungssprecher warnte allerdings davor, ungeprüfte Informationen zu verbreiten. Alle Informationen aus dem Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung der polnischen Regierung sollten später auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kündigte er laut PAP an.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums in Washington erklärte wiederum, es gebe momentan keine Informationen, um die polnischen Medienberichte zu einem angeblichen russischen Raketeneinschlag zu bestätigen. Die Berichte würden geprüft werden.

Das Weiße Haus arbeitet nach eigenen Angaben mit der polnischen Regierung zusammen, um mehr Informationen über die Ereignisse an der Grenze zur Ukraine zu bekommen. US-Präsident Joe Biden sprach bereits mit dem polnischen Präsidenten über die weitere Vorgehensweise per Telefon.

Russland: „Provokation“

Das Verteidigungsministerium in Moskau bezeichnete polnische Angaben über einen Einschlag russischer Raketen auf polnischem Staatsgebiet indes als bewusste Provokationen. Diese hätten das Ziel, die Situation zu eskalieren, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax das Ministerium.

Es seien keine Angriffe mit russischen Waffen auf Ziele nahe der polnisch-ukrainischen Grenze ausgeführt worden.

Selenskyj fordert Taten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj legte sich bereits fest: Es seien russische Raketen gewesen, die Polen getroffen hätten, erklärte er. Die Ukraine habe seit Langem davor gewarnt, dass sich die russischen Aktionen nicht auf die Ukraine beschränken würden.

Selenskyj sagte, der russische Raketenangriff auf NATO-Gebiet bedeute eine gravierende Eskalation der Lage. Darauf müsse es eine Reaktion geben: „Es besteht Handlungsbedarf.“ Je länger sich Russland unanfechtbar fühle, desto größer würden die Bedrohungen für alle, die sich in der Reichweite russischer Raketen befänden.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte ein „sofortiges“ Gipfeltreffen der NATO, um über eine gemeinsame Reaktion zu beraten.

NATO-Hauptquartier in Brüssel
Reuters/Ludovic Marin
Das NATO-Hauptquartier in Brüssel

NATO-Bündnispartner melden sich zu Wort

Unterdessen meldeten sich auch die NATO-Bündnispartner zu Wort. Der stellvertretende lettische Ministerpräsident Artis Pabriks erklärte auf Twitter, Russland habe „Raketen abgefeuert, die nicht nur auf ukrainische Zivilisten zielen, sondern auch auf NATO-Gebiet in Polen gelandet sind“.

Beamte aus Norwegen, Litauen und Estland – ebenso Mitglieder des NATO-Verteidigungsbündnisses – erklärten, sie versuchten, mehr Informationen zu erhalten. „Das ist ein sehr ernster Vorfall, aber vieles bleibt unklar“, sagte die norwegische Außenministerin Anniken Huitfeldt laut der norwegischen Nachrichtenagentur NTB.

„Jeder Zentimeter des NATO-Territoriums muss verteidigt werden“, erklärte der litauische Präsident Gitanas Nauseda auf Twitter. Der estnische Außenminister Urmas Reinsalu sagte nach Angaben von BNS Newswire: „Wir diskutieren mit unseren Verbündeten, wie wir gemeinsam und entschlossen auf die Geschehnisse reagieren können.“

„Besorgniserregend“

Der geschäftsführende Außenminister des NATO-Mitglieds Dänemark, Jeppe Kofod, bezeichnete den Vorfall auf Twitter als sehr besorgniserregend. „Wir stehen in engem Kontakt mit Polen und unseren anderen Verbündeten in der NATO.“ Er betonte aber auch, man wisse noch nicht genau, was passiert sei. „Wir sind dabei, das gemeinsam mit unseren Verbündeten zu klären.“

Auch der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala sagte dem Nachbarland Solidarität zu: „Falls Polen bestätigt, dass Raketen auch sein Gebiet getroffen haben, handelt es sich um eine weitere Eskalation vonseiten Russlands“, schrieb der liberalkonservative Politiker am Dienstagabend bei Twitter. „Wir stehen fest hinter unserem Verbündeten in EU und NATO“, betonte der 58-Jährige.

„NATO-Familie geeint“

Belgiens Premier Alexander De Croo hat Polen angesichts einer tödlichen Explosion die Unterstützung Belgiens zugesichert. „Belgien steht an der Seite Polens. Wir sind alle Teil der NATO-Familie, die mehr denn je geeint und gerüstet ist, um uns alle zu schützen“, schrieb er am Dienstagabend auf Twitter. Belgien verurteile den Vorfall aufs Schärfste und spreche den Familien der Opfer und dem polnischen Volk sein tiefstes Beileid aus.

„Meine Gedanken sind mit Polen, unserem engen Verbündeten und Nachbarn“, twitterte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. „Wir beobachten die Situation genau und sind im Kontakt mit unseren polnischen Freunden und den NATO-Verbündeten.“

EU: Koordinierung auf G-20-Gipfel

Die Europäische Union steht nach den Worten von EU-Ratspräsident Charles Michel ebenso an der Seite Polens. Er stehe zudem mit den polnischen Behörden, Mitgliedern des Rates und anderen Verbündeten in Kontakt, schrieb Michel auf Twitter. Er werde ein Treffen zur weiteren Koordinierung auf dem derzeit stattfindenden G-20-Gipfel in Bali vorbringen.

Aus dem Büro des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hieß es dazu: Das Treffen der G-20-Staats- und Regierungsspitzen am Mittwoch werde wichtig sein, um ihr Bewusstsein für den Krieg in der Ukraine zu schärfen.

Von der Leyen „alarmiert“

EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich „alarmiert“ ob der Geschehnisse. „Wir beobachten die Situation genau und stehen in Kontakt mit den polnischen Behörden, Partnern und Verbündeten“, erklärte sie auf Twitter.

„Ich spreche Polen und unseren ukrainischen Freunden mein Beileid aus und versichere ihnen meine volle Unterstützung und Solidarität.“