Sitzreihen des Wiener Konzerthauses
heid/ORF.at
Franui

Die Klassik schlich durch Plüsch & Bordell

Neun Wellen an „neuer Volksmusik“ haben die Grenzgänger von Franui in ihrer fast 30-jährigen Geschichte überstanden. Und fragen sich nun in ihrem neuen Programm „Strg F Volksmusik“: Wo kommt die Volksmusik eigentlich her? Bei der Uraufführung im Mozartsaal des Konzerthauses wird deutlich: Eigentlich schlummert in der Volksmusik die Klassik. Wenn man mit Brahms durchs Bordell zieht. Oder mit Bruckner durchs Wirtshaus.

„Je unechter etwas ist, desto echter gebärdet es sich.“ Diese Lehre will Andreas Schett, gemeinsam mit Markus Kraler musikalisches Mastermind der zehnköpfigen „Musicbanda Franui“ aus dem fernen Villgratental in Osttirol, nun seit gut 30 Jahren gezogen haben – und schon gar nicht in die Kategorie der neuen Volksmusik eingeordnet werden. Die musikalische Einheit von Franui, die ihren Bandnamen von einer Almwiese in ihrer Heimat ableiten, ist eigentlich die Kapelle. Alle haben in und mit der Volksmusik zu musizieren begonnen – doch die Art von Musik, die sich machen, lässt sich kaum einordnen.

Veranstaltungshinweis

Franui spielen „STRG F Volksmusik“ im kommenden Jahr an mehreren Orten in Österreich, Deutschland und Italien, startend am 5.1.2023 in Erl.

Ab Dezember erklären Franui die Wurzeln der Walzermusik für das Format Straussmania auf ORF Topos.

„Spielt man den Trauermarsch schneller, dann wird er eine Polka“, sagt Schett im Gespräch mit ORF.at und erinnert auch im Rahmen des neuen Programms, das am Mittwochabend im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde, daran, dass Musik gerade auf dem Land aus den Spielanlässen herkommt. Und einer der zentralen Anlässe, auf dem Land Musik zu spielen, sei nun einmal der Trauermarsch. „Aber irgendwann ist bei uns bei minus 27 Grad das Begräbnis vorbei, und dann muss man schnell ins Wirtshaus“ – also wird auch die Abschiedsnummer aus dem Trauerliederbuch flotter und darf, so konnte es ein begeistertes Publikum in Wien erleben, schon einmal wie eine Klezmer-Nummer klingen.

Andreas Schett: „Tanzmusik ist die Beschleunigung des Trauermarsches“

Der Gründer von Franui über die Wurzeln seiner Band und die gemeinsame Entwicklung von Volksmusik und Klassik

Die Volksmusik in der Klassik

„Strg F Volksmusik“ heißt das neue Franui-Programm – und es fahndet über den Kurzbefehl Suchfunktion auf der Computertastatur nach den Wurzeln der Volksmusik; und konstatiert auch mit dem Blick auf die „Sonnleithner-Sammlung“ des Wiener Archivars und Mitgründers der Gesellschaft für Musikfreunde, Joseph Ferdinand Sonnleithner: Die Wurzeln der Volksmusik sind eigentlich klassische. Denn als Sonnleithner quer durch die Monarchie nach Volksliedern fahnden ließ, „hat er aus Außer- und Innervillgraten erfahren, dass wir ganz viel an Volksliedern haben – nur konnte sie niemand aufschreiben“.

Aufgeschrieben waren freilich deutsche Tänze der großen Klassiker – und so dreht Franui die Fragestellung wie so oft um und fahndet in der Klassik nach der Volksmusik. Und borgt sich bei der Spurensuche zwischen Joseph Haydn und Bela Bartok, der ja ebenfalls nach den Volksliedern seiner Heimat suchte, so manchen Jodler aus manch anderen Gegenden aus.

Alle Mitglieder der aktuellen Band
Julia Stix/Franui
Franui in ihrer aktuellen Besetzung

„Was passiert, wenn Anton Bruckner mit seinem Vater im Wirtshaus sitzt, was hört Johannes Brahms, wenn er das Bordell besucht, und was bekommt der späte Mahler in Toblach mit, wenn vor seinem Fenster die Toblacher Musikkapelle vorbeigeht?“ – diese Fragen, sagt Schett, seien der Quell des neuen Programms, das die Motivik der Klassik in Elementarbausteine verpackt und neu zusammensetzt.

„Ich will – allzeit – umsonst“

„Ich will – allzeit – umsonst“, kommt etwa zu den letzten Sätzen der Brahms’schen Lieder heraus, die mit einem dreifachen „umsonst, umsonst, umsonst“ wie „allzeit, allzeit, allzeit“ und „ich will, ich will, ich will“ enden. Wie so oft liegt bei Franui der Reiz des Programms in der Zerlegung und Wiederzusammensetzung musikalischer Motivik, ja man könnte sagen: Bausätze. Die große Komposition auf die kleine Kapelle übertragen bewirkt Verfremdung wie Neuperspektivierung. Und am Ende ist es die Schönheit der mit eingesetzten Instrumente, allen voran dem Hackbrett, die den eigentümlichen Zauber dieser Musik ausmachen, die Spielfreude immer auch mit dem Moment der Ironie verbindet. So sind die Auftritte von Schett zwischen den Nummern wie immer große Stand-up-Comedy und Musikunterricht in einem.

Auf die Tradition muss man vielleicht aus dem hintersten Winkel der Welt schauen, um sie genauer sehen zu können. Als Franui mit ihrem Programm begannen, wurden sie noch von den örtlichen Schützen verprügelt. Mittlerweile sind sie Klassiker im Fach der erweiterten zeitgenössischen Kammermusik geworden, die immer über die Verdrehung in das Moment der Schönheit findet. Vielleicht liegt der Zugang auch daran, dass man hinter dem Felbertauern immer den Nachnamen vor dem Vornamen nennt, um sich auszukennen, mit wem man es zu tun hat. So gingen sie mit einem breiten Schmunzeln von der Bühne – der Schett Andreas, der Kraler Markus, die Rainer Bettina, die Rainer Angelika, der Rainer Markus, der Eder Johannes, der Fuetsch Andreas, der Hopfgartner Romed, der Senfter Markus und der Tunkowitsch Nikolai.