Lediglich der freigesprochene Oleg Pulatow hatte sich von Anwälten vertreten lassen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Verurteilten ihre Strafe auch verbüßen werden. Sie sollen sich in Russland aufhalten. Das Land wird sie nach Einschätzung von Fachleuten nicht ausliefern. Moskau erkennt das Gericht nicht an und weist jegliche Mitverantwortung an dem Abschuss zurück.
Die fünf Richter des Hochsicherheitsgerichts am Amsterdamer Flughafen Schiphol sahen es als erwiesen an, dass die beiden verurteilten Russen, der ehemalige Separatistenführer Igor Girkin und Sergej Dubinski, und der Ukrainer Leonid Chartschenko für den Einsatz der Luftabwehrrakete vom Typ Buk verantwortlich waren, mit der die Boeing abgeschossen wurde.
Girkin mischt im Ukraine-Krieg mit
Girkin, Kampfname Strelkow, war der ehemalige militärische Anführer der „Volksrepublik“ Donezk. Der in Moskau geborene Girkin brach aber mit Russland, weil Präsident Wladimir Putin den von ihm schon ab 2014 geforderten Einmarsch russischer Truppen damals verweigerte. Dennoch zog der ehemalige Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB vor einigen Jahren wieder nach Russland. Von dort aus kritisiert er in den vergangenen Monaten regelmäßig und in harschen Tönen die russische Militärstrategie in dem Krieg.
Schuldsprüche nach MH17-Abschuss
Drei Männer – zwei Russen und ein Ukrainer – sind von einem Gericht in den Niederlanden für den Abschuss des Fluges MH17 zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Der Ultranationalist fordert von Russland unter anderem eine Generalmobilmachung, um den Krieg effizienter zu gestalten. Zuletzt hieß es von russischen Militärbloggern, Girkin sei nach der Ausrufung der russischen Teilmobilmachung selbst wieder in ein Freiwilligenbataillon eingetreten, um in der Ukraine zu kämpfen. Dort wurde vom ukrainischen Militärgeheimdienst ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf ihn ausgesetzt.
Richter: „Nur die härteste Strafe ist angemessen“
Das Geschütz war dem Urteil vom Donnerstag zufolge vom russischen Militärstützpunkt Kursk in die Ukraine geliefert und nach dem Abschuss wieder zurück über die Grenze gebracht worden. „Nur die härteste Strafe ist angemessen als Vergeltung für die Taten der Verdächtigen, die so viel Leid über so viele Opfer und Hinterbliebene gebracht haben“, sagte der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis.
Die Boeing der Malaysia Airlines war am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur abgeschossen worden. Alle Menschen an Bord wurden getötet. Die meisten Opfer kamen aus den Niederlanden, weswegen der Prozess dort stattfand. Mehrere hundert Angehörige waren bei der Urteilsverkündung im Gericht. Der Prozess dauerte zwei Jahre und acht Monate.
Zum Zeitpunkt des Abschusses fanden in der Ostukraine Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Soldaten statt. Abgefangene Funksprüche lassen darauf schließen, dass die Männer der Meinung waren, sie hätten einen ukrainischen Kampfjet im Visier.
Russland lehnt Urteil ab
Russland wies den Schuldspruch als politisch motiviert zurück. „Sowohl der Verlauf als auch die Ergebnisse der Verhandlung zeugen davon, dass ihr der politische Auftrag zugrunde lag, die Version (…) von einer Beteiligung Russlands an der Tragödie zu stärken“, teilte das russische Außenministerium am Donnerstag mit.
Die russische Führung hat den Prozess schon früher abgelehnt und eine Mitverantwortung stets abgestritten. „Die Verhandlung in den Niederlanden hat alle Chancen, als eine der skandalträchtigsten in die Geschichte einzugehen – mit einer langen Liste von Merkwürdigkeiten, Ungereimtheiten und fragwürdigen Schlussfolgerungen der Anklage, die nichtsdestotrotz in das Verdikt eingeflossen sind“, kritisierte das Außenministerium nun zum Abschluss noch einmal.
Selenskyj begrüßt Urteil
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte auf Twitter das Urteil. Nun müssten jedoch auch diejenigen vor Gericht, die den Angriff befohlen hätten. „Eine Bestrafung aller russischen Gräueltaten – gegenwärtige wie auch vergangene – wird unausweichlich sein.“
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell begrüßte das Urteil. Es sei „ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu Wahrheit und Verantwortlichkeit“, teilte Borrell am Abend mit. Die Ermittlungen zur Beteiligung weiterer Menschen an den Vorfällen seien jedoch noch nicht abgeschlossen. Im Namen der EU appellierte Borrell erneut an Russland, Verantwortung für die „Tragödie“ zu übernehmen und bei den laufenden Ermittlungen uneingeschränkt zu kooperieren.
US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem „wichtigen Schritt in den laufenden Bemühungen, den 298 Menschen, die am 17. Juli 2014 ihr Leben verloren haben, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“.