Eine Einladung in die USA, eine Wanderkarte für das Kreuzbergl, den Klagenfurter Hausberg, eine Reiseschreibmaschine im Koffer: Natürlich kann man Nachlassobjekte zum „Sprechen“ bringen. Die Einladung, verfasst von Henry Kissinger, brachte Bachmann 1955 zur Summer School der Harvard University. Die Wanderkarte spielt eine wichtige Rolle in Bachmanns später Langerzählung „Drei Wege zum See“ (1972), und die „Olympia“ gibt einen Eindruck, wie das Tagesgeschäft des Typoskripttippens der viel reisenden Autorin funktioniert haben mag.
Letztlich bleiben Objekte aus dem Besitz von Künstlerinnen und Künstlern aber immer Reliquien, ihre Bedeutsamkeit abhängig vom Grad der Gläubigkeit der Betrachterin und des Betrachters. Zieht man die Aura von persönlichen Gegenständen wie Zigarettenpackungen aus „Ingeborg Bachmann – Eine Hommage“ ab, bleiben einige Kunstwerke, die von Bachmann inspiriert wurden und ein Meer von beschriebenem Papier.
Grundsätzliches aus dem Blättermeer
Die Kunstwerke und Künstlerinnenäußerungen, eben jene Hommagen, die im Ausstellungstitel anklingen, unterstreichen die Wirkung von Bachmanns Texten bis ins Jetzt: Videointerviews mit Ruth Beckermann oder Sabine Gruber, ein Foto des „Ingeborg Bachmann Altars“, den der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn in Berlin im öffentlichen Raum gestaltete, die Keramiken Veronika Dirnhofers und eine Zeichnung Anselm Kiefers zeugen davon.
Ausstellungshinweis
„Ingeborg Bachmann – Eine Hommage“ ist noch bis zum 5. November 2023 im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Johannesgasse 6, 1010 Wien, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr, zu sehen. Zur Austellung ist ein begleitender Band in der Reihe „Profile“ erschienen.
Dass sich aus dem Zwischenraum zwischen Manuskripten, Notizen und Briefen aber Dramatisch-Persönliches und Politisches herauslesen lässt, auf diese Gewissheit verpflichteten zwei Generationen französische Theorieproduktion zu Recht: Lässt man sich nämlich auf die Autografen ein, den Kernbestand des Bachmann-Nachlasses an der Österreichischen Nationalbibliothek, kommt man Bachmanns gewaltigem Werk tatsächlich nah.
Fasziniert habe sie an Bachmanns Texten immer, wie diese klarmachte, dass Kriege in Gesellschaften weiterleben, sich ins Persönliche verlagern, so Baar im Literaturmuseum: „Sie hat das ganz stark auch am Beispiel des Nazitums beschrieben, wie diese Gewalt, dieses Autoritäre, diese Bereitschaft, Menschen auch zu vernichten, sich in familiären Strukturen und den gesellschaftlichen Strukturen niedergelassen hat und dort weiterwirkt, unerkannt oft oder verschwiegen.“
Sichtbarmachen des Ausgestrichenen
Überhaupt wird anhand der thematisch gruppierten Stationen deutlich, an wie vielen Themen Bachmann sich abarbeitete, die in der Gegenwart virulent sind: Die Auseinandersetzung mit den Tiefenwirkungen des Nationalsozialismus, eben nicht nur in Erzählungen wie „Unter Mördern und Irren“ (1961), sondern bis hinein in den späten Todesarten-Zyklus, in dem sich der Totalitarismus, das „Virus Verbrechen“ („Der Fall Franza“), hineinverlagert in die Liebesbeziehungen.
Auch die Raffinesse des berühmt gewordenen letzten Satzes „Es war Mord“ aus „Malina“ (1971) kann man anhand des Typoskripts in der Ausstellung neu vermessen – Bachmann strich im letzten Korrekturdurchgang jedes „Ich“ der Ich-Erzählerin im letzten Absatz. Die letztgenannte Person vor ihrem Verschwinden in einer Mauerritze ist dadurch in der Druckfassung ihr Mitbewohner Malina, der somit auch zum Täter des im letzten Satz denunzierten Mordes wird.

Bachmann sprach Grundsätzliches an, schaffte in ihren Texten eine schwer zu greifende Balance zwischen Einzelperson und Allgemeingültigkeit – ihr Werkzeug zum Erreichen dieser Balance war das Ausstreichen und Präzisieren, wie die Ausstellung zeigt.
Natürlich rühren die Exponate auch an den persönlichsten Verhältnissen der Dichterin, so ist ein Brief von Max Frisch an sie aus dem Juni 1959 zu sehen, daneben Bachmanns Exemplar von „Mein Name sei Gantenbein“ (1964) und ein Notizzettel Bachmanns mit Seitenangaben, auf denen sie sich von Frisch in den Roman geschrieben fühlte.
Spuren einer mythischen Beziehung
Die Spuren der von Mythen umrankten Beziehung kann man ab Montag im bei Piper und Suhrkamp erscheinenden Briefwechsel „Wir haben es nicht gut gemacht“ nachlesen. Auch in diesen persönlichen, aber von beiden stilistisch makellosen Texten blitzen Themen auf, die bis in die Gegenwart Bestand haben – was man denn an einer geliebten Person wirklich liebt, den Mensch oder die Vorstellung, die er von sich gibt, fragt man sich, wenn Frisch schreibt, er wolle Kinder mit einigen von Bachmanns Gedichten. Dass die Verhältnisse sich schon seit Jahrzehnten um dieselben Überlegungen drehen, wenn Bachmann nachsinnt, ob Zweisamkeit möglich ist, ob „man nicht um sich selbst gebracht wird, wenn der andere auch sehr schwierig vor sich hin lebt“.
Die jahrelangen Spekulationen, wie viel Frisch mit Bachmanns Depression – ihrem „male oscuro“ (dt. etwa „dunklem Weh“) – zu tun hatte und wie stark sie die gescheiterte Liebe zur Radikalität des Todesartenzyklus inspirierte (die Reflexion über das Briefgeheimnis im dritten Kapitel in „Malina“ las man oft als Hinweis), können daran überprüft werden. Wie sehr die Figur Bachmann auch ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod noch fasziniert, beweist jedenfalls, der Umstand, dass Margarethe von Trotta an einem für das Frühjahr angekündigten Film über Bachmann und ihre Jahre mit Frisch arbeitet.