Samuel Beckett Bridge und das Convention Center in Dublin
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Magere Jahre

Irland zittert mit Silicon Valley mit

Auf die erfolgs- und wachstumsverwöhnte IT-Branche kommen möglicherweise – vergleichsweise – magere Jahre zu. Branchengrößen wie Facebook und Twitter reagierten bereits mit Massenentlassungen. In Europa trifft das insbesondere Irland, das dank seiner extrem niedrigen Körperschaftsteuer zur Europazentrale vieler US-amerikanischer IT-Konzerne avancierte. Auf der grünen Insel zittert man nun mit dem Silicon Valley mit.

Dass Dublin den Silicon-Valley-Unternehmen auch politisch wiederholt die Mauer machte, hat auch immer wieder zu Streit mit anderen EU-Staaten geführt. In Irland geht nun die Sorge vor zu großer Abhängigkeit von Google, Microsoft, Apple, Facebook, Twitter und Co. um. Ein Kurswechsel zeichnet sich aber nicht ab – eher im Gegenteil. Dabei gibt es durchaus warnende Stimmen.

Irland setzt schon seit vielen Jahren wirtschaftspolitisch praktisch alles auf die IT-Karte: Mit einer Körperschaftsteuer von 12,5 Prozent – und dem Wegfall einer Sprachbarriere – ist es Dublin gelungen, praktisch das gesamte Who’s who des Silicon Valley nach Dublin zu holen. Alphabet (Google), Microsoft, Apple, Meta (Facebook), Twitter, Airbnb und viele andere haben ihre Europazentrale in Dublin.

Zwölf Prozent der Angestellten in Dublin

Rund zwölf Prozent aller Angestellten in der Hauptstadt sind im IT-Bereich tätig, die Wirtschaft wuchs dank der Tech-Branche deutlich rascher. Tech-Firmen und Pharmamultis zahlen zusammen die Hälfte der Körperschaftsteuern. Und diese Einnahmen lagen heuer nach drei Quartalen bei 14 Mrd. Euro – sechs Mrd. mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

In der Stadt entstanden zahlreiche hochmoderne Bürokomplexe – und neben Steuereinnahmen und Jobs gab und gibt es auch zahlreiche indirekte positive Effekte auf die Wirtschaft. Die – trotz des extrem niedrigen Satzes – hohen Steuereinnahmen gaben der Regierung viel budgetären Spielraum, um die Folgen von pandemiebedingten Einschränkungen sowie die nunmehrige Teuerung abzufedern.

Eine Branche lässt ganzes Land bangen

Meta, Twitter und andere haben weltweit Entlassungen von Tausenden Angestellten angekündigt oder bereits umgesetzt – in Irland fallen damit ebenfalls Hunderte Jobs weg. Auch die irische E-Commerce-Plattform Wayflyer kündigte zuletzt Entlassungen an. Das selbst für die Tech-Branche ungewöhnliche Wachstum während der Pandemie hatte viele Unternehmen wie Meta zu ungewöhnlich vielen Einstellungen veranlasst. Das rächt sich in der nunmehrigen Situation, die von einer wirtschaftlichen Flaute bis Rezession, Ein- oder Wegbrechen der Einnahmequellen wie Werbung und einer rasch steigenden Zinslast für Kredite geprägt ist.

Regierung beruhigt

Der irische Vizeregierungschef Leo Varadkar sieht trotzdem keinen Grund zur Sorge. Der Tech-Sektor werde sich wieder erholen, und die jüngsten Kündigungen „sollten nicht als große Krise“ verstanden werden, so Varadkar gegenüber dem irischen öffentlich-rechtlichen Sender RTE. Unter Verweis auf die Steuereinnahmen verteidigte Varadkar auch die Politik, große Tech-Unternehmen nach Irland zu locken, auch wenn er einräumte, dass das ein möglicher wunder Punkt für die irische Wirtschaft sei. Varadkar hält diese aber trotzdem für ausreichend diversifiziert.

Die Chefin der irischen Wirtschaftsförderungsagentur IDA will die Verbindungen zum Silicon Valley weiter auszubauen. Laut dem irischen Wirtschaftsmagazin „Business Plus“ ist es durchaus wahrscheinlich, dass die aktuellen Turbulenzen nach wenigen Quartalen vorbeigehen und sich der Trend wieder umdrehen wird.

„Alles auf Tech gesetzt“

Genau daran haben andere Zweifel. Während die oppositionelle Labour bereits vor weiteren Kündigungen warnt, raten andere, die aktuelle Situation zu nutzen, um die Abhängigkeit von Silicon Valley und dem Wohlergehen einer einzigen Branche zu verringern.

„Irland hat wirklich alles auf die Zukunft von Tech gesetzt … beinahe auf Kosten von allem anderen“, so Mark O’Connell vom Beratungsunternehmen OCO Global gegenüber der „Financial Times“. Für die Menschen, die jetzt ihre Jobs verlören, sei das naturgemäß nicht angenehmen. Anderen Sektoren, die davon beiseite gedrängt wurden, könne es aber guttun. Denn die Lohnspirale könnte sich dadurch langsamer drehen. Auch der aufgeheizte Immobilienmarkt könnte sich beruhigen und die Preise sich – vor allem in Dublin – vielleicht etwas normalisieren.

„Ein Weckruf“

Jean Cushen von der Universität von Maynooth nannte gegenüber „FT“ die Entlassungen einen „Weckruf“. Wenn die Tech-Firmen ihre Investitionen zurückführen und „wenn wir in einen Tech-Winter eintreten“, gebe es „kaum andere Sektoren, die für Wirtschaftswachstum sorgen können“.