Besucher einer Automesser vor einem Fahrzeug des Herstellers BYD
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BYD und Co.

Chinas E-Autos mit Turbo nach Europa

Chinesische Automarken werden auf Europas Straßen zu einem alltäglichen Anblick: Das war lange Jahre angenommen worden – bisher fälschlich. Mit dem Vormarsch der E-Mobilität könnte sich das Blatt nun aber tatsächlich wenden: 2023 startet ein gutes Dutzend chinesischer Marken mit Elektroautos in europäischen Ländern. Vor allem von BYD („Build your dreams“) dürfte viel zu hören und sehen sein, auch in Österreich.

Entscheidend dazu beitragen könnte ein jüngst besiegelter Deal zwischen der Autovermietung Sixt und BYD: Der deutsche Branchenriese hat mehrere tausend Elektroautos bei den Chinesen bestellt und den Kauf von rund 100.000 weiteren bis 2028 vereinbart. Damit ersteht der Autovermieter also fast die Hälfte seines derzeitigen Fuhrparks (inklusive Franchisenehmer) künftig in China.

Das bietet für BYD zwei Vorteile: Einerseits kommen so viele Kundinnen und Kunden in Europa erstmals in Kontakt mit der noch unvertrauten Marke. Zudem könnte das Unternehmen, das bereits zu den größten Batterieherstellern der Welt gehört, auch zum größten Elektroautoproduzenten aufsteigen und Tesla von der Spitze verdrängen.

Hochgesteckte Ziele

Auf dem Heimmarkt, dem größten Automarkt der Welt, sind chinesische Hersteller bei E-Autos bereits führend. BYD und SAIC (ursprünglich Shanghai Automotive Industry Corporation) liegen vor Tesla, deutsche Autokonzerne wie VW kommen zusehends unter die Räder. BYDs Jahresziel von 1,5 Millionen verkauften Fahrzeugen wird heuer locker erreicht. Unlängst gab BYD-Gründer Wang Chuanfu das Ziel vor, 2023 die Verkaufszahlen auf vier Millionen zu erhöhen.

Polestar Elektroautos vor einem Tesla Schauraum
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Auch Polestar, ein Joint Venture zwischen Volvo und dem chinesischen Eigner Geely, drängt auf den europäischen Markt

Zwar ist es China, das „den Weltautomarkt vor einem größeren Einbruch" bewahrt, wie es der deutsche Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer formulierte. Während der Automarkt in den USA mit einem Einbruch von 18 Prozent im ersten Halbjahr 2022 konfrontiert war und die EU 14 Prozent Rückgang hinnehmen musste, konnte China seine Neuwagenverkäufe in den ersten sechs Monaten um vier Prozent steigern.

Präsent, aber nicht bekannt

Doch China allein ist BYD nicht mehr genug, oder präziser formuliert: Es will seine Sichtbarkeit auch andernorts erhöhen. Denn präsent ist das Unternehmen bereits weltweit in hohem Maße – es ist eines der größten Produzenten von Akkus und Batterien, etwa für Mobiltelefone, Heimelektronik und Photovoltaik. Nun soll auch der Sprung auf die Straßen Europas glücken, Österreich eingeschlossen.

Schauraum des Autoherstellers BYD
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BYD-Flaggschiff Han kommt demnächst auf den österreichischen Markt

Store in SCS noch im Dezember

Eine Partnerschaft mit BYD ist dazu Denzel eingegangen. Mit Jahresbeginn 2023 werden drei Modelle verfügbar sein: der Kompakt-SUV Atto 3, der größere SUV Tang und die Oberklassenlimousine Han. In zwei Jahren sollen sechs bis sieben Modelle im Angebot stehen, auschließlich elektrifizierte. Noch im Dezember wird der erste Store eröffnen, wie Automanager Danijel Dzihic, seit November Geschäftsführer von BYD Austria, im Gespräch mit ORF.at sagte. Standort wird die Shopping City Süd (SCS) bei Wien sein, dort wird Interessierten ein niederschwelliger Zugang zu der Marke geboten, auch Probefahrten sollen vereinbart werden können.

Die genauen Preise sind noch nicht festgelegt, für den Atto 3 nennt Dzihic aber eine Spanne von 40.000 bis 50.000 – das allerdings vollausgestattet. Der Aufbau eines Vertriebsnetzes läuft über den Erwartungen, in den vergangenen vier Wochen hätten sich rund 90 Händler österreichweit aktiv bei BYD Austria gemeldet und Interesse bekundet. Wobei Denzel mit Augenmaß vorgehen will: „Qualität vor Quantität“, sagte Dzihic. Zur Entwicklung der Ladeinfrastruktur wurde eine Kooperation mit Shell geschlossen.

Zeiten der Crashtest-Debakel lange vorbei

Bedenken, dass die potenzielle Kundschaft weiter Misstrauen gegenüber chinesischer Qualität hegen könnte, teilt Dzihic nicht. Die Zeiten, in denen chinesische Herstellern bei Crashtests vernichtend abgeschnitten haben, seien vorbei. Der Atto 3 von BYD etwa habe vom Europäischen Bewertungsprogramm für Neufahrzeuge (Euro NCAP) dieses Jahr fünf von fünf Sternen erhalten. Zudem würden auch europäische Hersteller mittlerweile in China fertigen. Smartphones, Notebooks, Akkus: „Alles kommt inzwischen von dort.“

Arbeiter in der Fabrik des Automobilherstellers BYD
Reuters/Bobby Yip
BYD entwickelt und produziert weitestgehend autark

Höhere Sicherheit als Versprechen

Was Dzihic auch optimistisch stimmt, wird auf der Website von BYD Austria so angepriesen: „BYD ist der einzige Elektroauto-Hersteller, der seine eigenen Antriebssysteme, Hochvoltbatterien, Halbleiter, Antriebsmotoren und Motorsteuerungssysteme entwickelt und produziert, was gerade in der aktuell von Knappheit geprägten Situation in der Autobranche ein großer Wettbewerbsvorteil ist.“ BYD sichere sich auch die Rohstoffe selbst ab, sei also „superautark“, sagte Dzihic.

Auch punkto Sicherheit wartet BYD mit Neuheiten auf: Die „Blade Batterie“, ein Lithium-Eisenphosphat-Akku, soll stabiler gegen äußere Einflüsse geschützt sein und somit bei einem Unfall die Brandgefahr deutlich minimieren. Nickel oder Kobalt seien nicht erhalten, die Produktion somit ressourcenschonend und günstiger. Inzwischen soll auch Tesla die Batterien von BYD beziehen.

Die chinesische E-Automarke NIO bei der China Motor Show Tianjin 2022
IMAGO/Xinhua/Zhao Zishuo
NIO verspricht volle Akkus binnen Minuten

NIO positioniert sich mit Abos

Am Durchstarten auf dem europäischen Markt ist auch NIO. Zunächst wollte das chinesische Unternehmen seine Modelle in vier europäischen Ländern – Deutschland, Niederlande, Dänemark, Schweden – exklusiv über Abo- und Leasingverträge vertreiben. Wegen entsprechender Nachfrage wird das Angebot nun aber angepasst, hieß es. Künftig gibt es auch eine Kaufoption.

NIO-Kundinnen und -Kunden können die Batterie im „Battery-as-a-Service-Modell“ (BaaS) mieten oder auch kaufen. Das 75-kWh-Akkupack ist für 169 Euro, die 100-kWh-Batterie für 289 Euro pro Monat erhältlich. Beide Energiespeicher lassen sich bei niedrigem Ladestand an NIOs Batteriewechselstationen, die auch in Europa aufgebaut werden sollen, binnen Minuten gegen vollgeladene Exemplare austauschen. Kunden können die Batterien zu Kosten von 12.000 Euro bzw. 21.000 Euro auch kaufen. Allerdings ist dann die Nutzung des Tauschnetzwerks nicht mehr möglich.

Künstlich erhalten oder Zukunft der Autoindustrie?

Fachleute beurteilen die Chancen der chinesischen Hersteller in Europa durchaus divergent, wie die Deutsche Welle (DW) jüngst festhielt. Im Grunde hätten alle chinesischen Hersteller bis heute nicht gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne die ständige Unterstützung des Staates auf lokaler und Landesebene würden die meisten, wenn nicht gar alle heute nicht bestehen. Das ist die Ansicht von Jochen Siebert, Gründer der auf den chinesischen Automarkt spezialisierten Beraterfirma JSC Automotive mit Sitz in Schanghai und Stuttgart.

Ganz anders fällt das Urteil von Dudenhöffer aus: „Die neue Tech- und Zulieferindustrie entsteht in China und aus diesem neuen ‚Füllhorn‘ werden die chinesischen Autobauer schöpfen können.“ Auch für Europa wäre eine Abwendung von China „ein Industrieverlust, der irreversibel ist“. Anders gesagt: Tesla sei singulär, „aber China ist eine breite Bewegung, die viele Teslas entstehen lässt“.