Menschen in Kherson in Schlange für Wasser
AP/Bernat Armangue
„Kolossale Zerstörungen“

Angriffe stürzen Ukraine in Energienot

Der russische Angriffskrieg stürzt die Ukraine in zunehmende Energienot. Praktisch alle Wärme- und Wasserkraftwerke sowie die wichtigen Knotenpunkte des Stromnetzes seien in den vergangenen Wochen durch Raketen beschädigt worden, berichtete der Netzbetreiber Ukrenerho am Dienstag. Das Ausmaß der Zerstörungen sei „kolossal“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte die Einrichtung von mehr als 4.000 Wärmestuben für die von Kälte und Dunkelheit geplagte Bevölkerung des angegriffenen Landes an. „Alle grundlegenden Dienstleistungen werden dort bereitgestellt“, sagte er in seiner abendlichen Videoansprache am Dienstag. „Dazu gehören Strom, mobile Kommunikation und Internet, Wärme, Wasser, Erste Hilfe. Völlig kostenlos und rund um die Uhr.“

Selenskyj nannte die Einrichtungen in Verwaltungsgebäuden oder Schulen „Stabilitätspunkte“. Der offizielle Name auf einer Website der Regierung lässt sich auch mit „Punkte der Unerschütterlichkeit“ übersetzen. „Ich bin sicher, dass wir diesen Winter gemeinsam überstehen werden, wenn wir uns gegenseitig helfen“, sagte er.

EU überwies 2,5 Mrd. Euro

Die EU-Kommission überwies Kiew 2,5 Milliarden Euro für dringende Reparaturen. Für kommendes Jahr kündigte die Brüsseler Behörde eine weitere Finanzspritze in Höhe von 18 Mrd. Euro an. Selenskyj rief die Menschen im Land zum Energiesparen auf. Russland war vor knapp neun Monaten in die Ukraine einmarschiert. Seit Oktober greift Russland gezielt die Energieinfrastruktur der Ukraine an.

Ukraine: Infrastruktur schwer beschädigt

Obwohl Russland im Ukraine-Krieg auf dem Schlachtfeld zuletzt unterlag, richtete es mit Erfolg große Schäden an der ukrainischen Infrastruktur an. Stromversorgung, Mobilfunkanlagen und Datenzentren wurden mitunter schwer beschädigt.

„Das Ausmaß der Zerstörungen ist kolossal“, sagte Ukrenerho-Chef Wolodymyr Kudryzkyj. Dennoch sei es durch Reparaturen gelungen, das System seit Samstag zu stabilisieren. Es gebe jetzt vor allem planmäßige und kaum noch Notabschaltungen des Stroms.

Gasprom will Lieferungen weiter drosseln

Neben Strom könnte der Ukraine auch bald weiteres Gas fehlen. Der staatliche russische Energieriese Gasprom droht mit einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen – mit der Begründung, die Ukraine behalte beim Transit über sein Territorium Gas ein, das eigentlich für Moldawien gedacht sei. Sollte sich daran nichts ändern, werde der Transit, von dem auch EU-Länder profitieren, ab kommendem Montag um die täglich einbehaltene Menge gekürzt.

WHO-Vertreter zur Lage in der Ukraine

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat seit Beginn des Ukraine-Krieges mehr als 700 Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur in dem Land registriert. In der ZIB2 war dazu Gerald Rockenschaub, WHO-Direktor für gesundheitliche Notlagen in der Europäischen Region, zu Gast.

Moskau meldet Granaten auf Saporischschja

Von dem russisch besetzten Atomkraftwerk Saporischschja meldete Moskau am Dienstag erneut Granatenbeschuss. Auf dem Gelände in der Südukraine schlagen seit Monaten immer wieder Geschosse ein, was Ängste vor einer Nuklearkatastrophe schürt. Die Kriegsparteien Russland und Ukraine machen sich gegenseitig verantwortlich. Am Montag hatten Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die Anlage nach Artilleriebeschuss vom Wochenende auf Schäden überprüft und vorläufig Entwarnung gegeben.

Nach der IAEA-Überprüfung seien acht großkalibrige Granaten auf einen industriellen Teil des Kernkraftwerks gefeuert worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium. Sprecher Igor Konaschenkow betonte aber, die Strahlung sei weiterhin normal. Die Angaben waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen. Der Kreml dämpfte abermals die Aussichten auf eine von der Ukraine und der IAEA geforderte Schutzzone um das Atomkraftwerk. In diesem Punkt gebe es „keine nennenswerten Fortschritte“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Kämpfe im Osten und Süden

Heftige Kämpfe wurden vor allem aus der Ostukraine gemeldet. Im Gebiet Donezk konzentrieren sich die russischen Angriffe nach Angaben des ukrainischen Generalstabs auf die Städte Awdijiwka und Bachmut. An anderen Orten sprach der Generalstab von einer „aktiven Verteidigung“ der russischen Truppen – dort greifen also offenbar die Ukrainer an. Genannt wurden die Orte Kupjansk und Lyman sowie Nowopawliwka und die Front im Gebiet Saporischschja. Russische Truppen wehrten sich mit Panzern, Mörsern, Rohr- und Raketenartillerie, hieß es.

Generatoren für die Ukraine

In der Ukraine werden den Menschen im Winter Strom, Heizung und Wasser abgedreht. Das Rote Kreuz hat in Pettenbach (OÖ) 16 Notstromaggregate übernommen, die in die Ukraine gebracht werden.

Dem offiziellen Bericht zufolge verstärkten die russischen Truppen in der Südukraine ihre Verteidigungslinien auf dem südlichen Ufer des Flusses Dnipro. Nach inoffiziellen Angaben nimmt die ukrainische Artillerie diesen Raum in Richtung Krim mit ihren weittragenden Geschützen unter Feuer.

Die von Russland eingesetzte Regierung auf der Krim meldete unterdessen Dienstagabend den Abschluss von zwei Drohnen über Sewastopol. Die Flugabwehr sei eingesetzt worden, sagte der Regionalgouverneur im Internet. Russland annektierte die Krim 2014, Sewastopol ist der Heimathafen der russischen Schwarzmeer-Flotte.

Ukrainischer Geheimdienst durchsucht Kloster

In der ukrainischen Hauptstadt durchsuchten Polizei und der Geheimdienst SBU indes das 1.000 Jahre alte Kiewer Höhlenkloster. Es bestehe der Verdacht „subversiver Aktivitäten seitens russischer Spezialdienste“. Der weitläufige Petschersk Lawra genannte Komplex beherbergt christlich-orthodoxe Kirchen, Klöster und Museen. Zudem befindet sich hier der Hauptsitz des von Russland unterstützten Teils der ukrainisch-orthodoxen Kirche.

Der Sicherheitsdienst teilte mit, es werde systematisch gegen destruktive Aktivitäten russischer Spezialdienste in der Ukraine vorgegangen. In diesem Rahmen sei auch das Kloster durchsucht worden. Das ziele darauf ab, die Nutzung des Höhlenklosters als „Zentrum der russischen Welt“ zu verhindern, so der SBU. Über das Ergebnis der Durchsuchung äußerte sich der ukrainische Sicherheitsdienst nicht. Die russisch-orthodoxe Kirche bezeichnete die Durchsuchung als „Einschüchterungsversuch“, Kritik kam auch aus dem Kreml.

Person füllt Wasserflaschen in Fluss nach
APA/AFP/Bulent Kilic
Eine Bewohnerin füllt Wasserkanister im Dnipro bei Cherson auf: Russland attackiert gezielt die ukrainische Infrastruktur

In Moskau verurteilte das Parlament, die Duma, die mutmaßliche Erschießung russischer Soldaten bei der Gefangennahme durch ukrainische Streitkräfte. Das sei ein eklatanter Verstoß der Ukraine gegen das humanitäre Völkerrecht und das Genfer Abkommen zur Behandlung von Kriegsgefangenen, erklärte die Duma nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur TASS. Kiew weist die Vorwürfe zurück, die sich auf Videos in sozialen Netzwerken stützen. Die „New York Times“ bezeichnete die Videos nach einer gemeinsamen Recherche mit Fachleuten als authentisch. Der genaue Ablauf des Vorfalls und seine Hintergründe sind aber noch unklar.