Demonstranten in Teheran
Reuters/Wana News Agency
Generalstaatsanwalt

Religionspolizei im Iran aufgelöst

Im Iran ist nach Angaben des Generalstaatsanwalts die Religionspolizei aufgelöst worden, die bisher hauptsächlich für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig war. Politische Beobachterinnen und Beobachter sehen einen Teilsieg der Frauenbewegung im Iran. Am Kopftuchzwang wird nicht gerüttelt, was weiter für Kritik sorgt. Am Montag sind neue Proteste und Streiks geplant.

„Die Religionspolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen“, zitierte die Tageszeitung „Schargh“ am Sonntag den Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri. Weitere Details gab es nicht.

Beobachterinnen und Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Religionspolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.

Religionspolizei im Iran aufgelöst

Im Iran ist nach Angaben des Generalstaatsanwalts die Religionspolizei aufgelöst worden, die bisher hauptsächlich für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig war.

Kritikerinnen und Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigung. Das Problem sei nicht die Religionspolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. „Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können“, forderte er. Und das sei „nur der erste Schritt“.

Krisengipfel im Parlament

Medienberichten zufolge traf sich Präsident Ebrahim Raisi am Sonntag mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna am Sonntag. Am Samstagabend hatte Raisi sich nach Angaben des Präsidialamts mit Parlamentspräsidenten Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi beraten. Es gab keine Details dazu.

U-Ausschuss zu Protesten – ohne Protestvertreter

Später – ob als Ergebnis des Krisengipfels oder nicht, blieb unklar – wurde in einem ungewöhnlichen Schritt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste klären soll. Allerdings sollen weder Demonstranten oder Systemkritikerinnen noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna am Sonntag.

Die Protestierenden hätten keine Vertreter, „außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun“, sagte Wahidi demnach zu den Gründen für den Ausschluss der Protestvertreterinnen und -vertreter. Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, „die Wurzeln der Proteste zu erkunden, und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen“, hieß es weiter.

Kritiker gaben rasch zu bedenken, dass eine Untersuchung der Proteste ohne Teilnahme von Protestvertretern oder Oppositionspolitikern keine konstruktiven Ergebnisse erzielen würde. Manche bezeichneten den Vorschlag als „absurd“.

Studentin starb in Polizeigewahrsam

Die Religionspolizei war der Auslöser der seit über zwei Monaten andauernden systemkritischen Aufstände in dem Land. Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini. Unter ihrem Kopftuch sollen ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Religionspolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen Gesetze und Vorschriften.

Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Großstädten, zunehmend ignoriert. Frauen müssen im Iran in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen. Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des Iran, um, wie es heißt, „Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten“.

Iran: Hunderte Tote seit Beginn der Proteste

Laut Menschenrechtsorganisation haben die Proteste im Iran bereits über 400 Menschenleben gekostet. Vor allem in der Provinz Kurdistan halten die Proteste aber weiter an.

Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Demonstrierende getötet, darunter 64 Kinder und 60 Mitglieder der staatlichen Sicherheitsorgane. Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von 200, ein Kommandant der Revolutionsgarden von 300 Toten.

Weitere Proteste und Streiks geplant

Außerdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studierende, Beschäftigte der Presse, Sportlerinnen und Sportler sowie Kunstschaffende. Einige Demonstrierende wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste – und laut Oppositionskreisen auch Streiks – geplant.

Neues Kapitel in Fall um Sportlerin

Ein weiteres Kapitel gibt es indes im Fall der Kletterin Elnas Rekabi. Die Sportlerin hatte die iranischen Behörden auf den Plan gerufen, weil sie im September bei den Asienmeisterschaften in Seoul das für iranische Sportlerinnen obligatorische Kopftuch nicht getragen hatte. Nun wurde Berichten zufolge das Haus ihrer Familie zerstört.

Ein in sozialen Netzwerken kursierendes Video zeigte die Ruinen eines in Schutt gelegten Hauses, gleich zu Beginn der Sequenz sind auch Medaillen zu erkennen, die in den Trümmern liegen. Den Angaben zufolge im Video zu sehen sein soll Rekabis Bruder, der ebenfalls Spitzensportler ist. Gegner der iranischen Führung verurteilten das Video als Racheakt an der Sportlerin – wenn auch nicht umgehend klar war, wann die Aufnahmen gemacht wurden.

Elnaz Rekabi
EBU/International Federation of Sport Climbing
Rekabi bei den Asienmeisterschaften in Seoul – sie trat ohne Kopftuch an. Später entschuldigte sie sich, offenbar unter starkem Druck.

Der Abriss des Hauses wurde mittlerweile über einen Bericht der halbamtlichen Nachrichtenagentur Tasnim bestätigt – allerdings wird darauf verwiesen, dass der Abriss auf den Umstand zurückzuführen sei, wonach die Familie keine gültige Baugenehmigung besessen habe. Das Verfahren sei schon im Vorfeld von Rekabis Wettkampfteilnahme ohne Kopftuch in Gang gesetzt gewesen, hieß es in der Darstellung. Die Aktion Rekabis erlangte weltweit Aufmerksamkeit und wurde als Zeichen ihrer Solidarität mit der Frauenbewegung im Iran und den Protesten gegen den Kopftuchzwang gesehen.