Migranten an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien
Reuters/Ognen Teofilovski
Westbalkan-Gipfel

Viele Baustellen an der EU-Außengrenze

Am Mittwoch treffen die Staats- und Regierungsspitzen der EU und jene des Westbalkans erstmals direkt in der Region aufeinander. Durch den Krieg in der Ukraine hat die Aufnahme einiger Westbalkan-Länder in die EU wieder an Fahrt aufgenommen – doch auch unabhängig davon will man mit der Region enger kooperieren. Großes Thema ist auch Migration: Für die Balkan-Route legte die EU nun neue Pläne vor.

Schon vor zwei Wochen kündigte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson an, sich um die Balkan-Route kümmern zu wollen – auch im Hinblick auf Österreich, das „am stärksten unter Druck“ sei, so Johansson damals. Rechtzeitig vor Beginn des Spitzentreffens in der albanischen Hauptstadt Tirana legte die Kommission am Montag nun ihre Pläne auf den Tisch.

Irreguläre Migration soll mit den neuen Plänen eingeschränkt werden. Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex habe es bis Oktober heuer 281.000 undokumentierte Grenzübertritte vom Balkan aus gegeben. „Unser Ziel ist es, durch diese abgestimmten Maßnahmen die Zahlen zu senken“, sagte EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas am Montag.

Der jetzt vorgelegte „Aktionsplan“ sieht unter anderem vor, die Grenzkontrollen entlang der Balkan-Route deutlich zu verstärken. Außerdem sollen Rückführungen abgelehnter Asylsuchender beschleunigt und zugleich das Asylsystem der Balkan-Staaten gestärkt werden. „Jeder, der irregulär einreist, muss registriert werden, sonst funktioniert unser System nicht richtig“, sagte Johansson.

Kandidaten in der Warteschleife

Offene Baustellen sind jedenfalls auch die zahlreichen Beitrittsprozesse der Staaten auf dem Westbalkan. Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien sind offizielle Beitrittskandidaten. Noch im Dezember wird erwartet, dass auch Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus erhält, was auch von Österreich gefordert wurde. Nur Kosovo ist kein Kandidat.

Albaniens Ministerpräsident Edi Rama
IMAGO/Bernd Elmenthaler
Albaniens Ministerpräsident Edi Rama lädt zu dem Treffen in Tirana

Viele der Beitrittskandidaten warten seit Jahren auf ihre Aufnahme, Nordmazedonien wurde etwa schon 2005 der Kandidatenstatus verliehen – 17 Jahre später ist das Land dennoch nicht Teil der EU. Durch den Krieg in der Ukraine ist dieses Thema aber neu angefacht worden. Einerseits durch den Kandidatenstatus für die Ukraine selbst, andererseits aber wohl auch durch den stärker werdenden Einfluss von Ländern wie eben Russland auf die Staaten im Westbalkan. Auch Chinas Einfluss könnte mit einer EU-Mitgliedschaft eventuell gebremst werden.

EU will Annäherung abseits von Beitritten

„Der Gipfel bietet die Gelegenheit, die große Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und dem Westbalkan, einer Region mit einer klaren EU-Perspektive, zu bekräftigen“, hieß es im Vorfeld von der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. „Es ist ein starkes Signal der Annäherung, dass der EU-Westbalkan-Gipfel dieses Mal in der Region stattfindet“, so Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der in Tirana anwesend sein wird.

„Die Erweiterungspolitik gehört zu den drei wichtigsten Prioritäten der EU-Staats- und Regierungschefs“, sagte Oliver Varhelyi, EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, letzte Woche bei einem Besuch in der serbischen Hauptstadt Belgrad. „Die einzige wirklich langfristige Lösung für Frieden, Stabilität und Wohlstand ist die EU-Mitgliedschaft.“

Dabei ist der EU-Beitritt nicht die einzige Form der Annäherung zwischen EU und Westbalkan. Angesichts des Krieges will man koordinierte Maßnahmen in Bezug auf Sicherheits- und Verteidigungsfragen erörtern. Dazu gehöre die Bekämpfung von Informationsmanipulation aus dem Ausland und die Verbesserung der gemeinsamen Cybersicherheit.

Serbiens Vucic kommt doch

Viel Aufmerksamkeit kommt bei diesem Gipfeltreffen wohl auch Serbien zu. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic hatte mit einer Absage seiner Teilnahme gedroht, am Montagnachmittag aber sein Kommen angekündigt. Es könnte großer Schaden für Serbien entstehen, würde er am Dienstag nicht nach Tirana reisen, sagte Vucic. Der Anlass für das Zögern des serbischen Präsidenten war die Ministernominierung im Kosovo. Es geht um einen Politiker der gemäßigten Progressiven Demokratischen Partei (PDS), die nicht von der Regierung in Belgrad kontrolliert wird. Belgrad weigert sich nach wie vor, die Unabhängigkeit der einstigen serbischen Provinz anzuerkennen.

Ylva Johansson
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
EU-Innenkommissarin Johansson kündigte neue Pläne für die Balkan-Route an

Serbien hat zwar den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt, trägt aber die westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht mit. Brüssel verlangt das von dem Kandidatenland. Bei einem Besuch in Südserbien bekam EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen offenbar Signale der serbischen Regierung, sich bis Jahresende an die EU-Außenpolitik anzupassen. Im Bereich Migration hat Serbien ebenfalls Zusagen getätigt.

Auch Visabefreiung wohl großes Thema

So kündigte Serbien etwa an, die Visaliberalisierung mit Indien mit Jahreswechsel zu beenden. Mit Tunesien wurde die Visaliberalisierung ebenfalls abgeschafft. Das könnte Auswirkungen auf Österreich haben, wo es bei der Zahl der Asylanträge aus Indien und Tunesien im Herbst eine deutliche Steigerung gab.

Das forderte auch Johansson: Die meisten jener Menschen, die visafrei über die Balkan-Länder einreisten und „schließlich in der EU landen“ seien via Serbien gekommen, so die Kommissarin. Das „Risiko“, dass Menschen zunächst visumsfrei nach Serbien einreisen, um in die EU zu kommen, bestehe aber nicht nur für Serbien. „Alle westlichen Balkan-Länder sollten ihre Visapolitik vorrangig an die der EU anpassen“, hieß es von der EU-Kommission. Hier gebe es „signifikante Lücken“.

Albaniens Premier Rama sagte, der Gipfel in Tirana zeige zunehmende geostrategische Interessen der EU in der Region. „Der Moment ist fantastisch. Noch vor zwei Jahren konnte sich das niemand vorstellen, und jetzt ist es so weit“, so Rama gegenüber der US-Nachrichtenagentur AP. Die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs treffen am Dienstagvormittag zusammen, bereits am frühen Nachmittag soll es eine Pressekonferenz und eine gemeinsame Erklärung geben.