Polizisten durchsuchen eine Wohnung
Reuters/Christian Mang
Deutschland

Großrazzia gegen rechtes Terrornetzwerk

Bei einer deutschlandweiten Razzia sind am Mittwoch in den frühen Morgenstunden 25 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer einer terroristischen Vereinigung aus dem „Reichsbürger“-Milieu festgenommen worden. Wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) und die Bundesanwaltschaft mitteilten, bestehe der Verdacht, dass ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane geplant gewesen sei.

Die spätestens Ende November vergangenen Jahres gegründete Vereinigung hatte laut Bundesanwaltschaft das Ziel, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe „Vereinte Patrioten“ sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.

Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie Sachsen und Thüringen. Mit Ausnahme einer Russin waren alle Festgenommenen nach Angaben der Bundesanwaltschaft deutsche Staatsbürger.

Festnahme in Österreich

Festnahmen gab es laut deutschen Angaben auch in Österreich und Italien, wie die deutsche Generalbundesanwaltschaft bestätigte – in Kitzbühel und im italienischen Perugia. Nach Angaben des Innenministeriums gab es in zwei heimischen Bundesländern Durchsuchungen.

Der „Kurier“ (Onlineausgabe) berichtete, dass sich unter den Festgenommenen ein Oberösterreicher und ein Tiroler befänden. Es gebe insgesamt „Spuren zu drei Österreichern“. Es soll neben Kitzbühel auch im Bezirk Amstetten in Niederösterreich eine Durchsuchung gegeben haben, dort sei es jedoch zu keiner Festnahme gekommen. Bestätigt ist das aber nicht.

Der Chef der österreichischen Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, nannte dazu am Mittwoch keine Details, die Kommunikation obliege den deutschen Behörden. Doch verwies er auf eine „starke Szene“ auch hierzulande. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sprach von einem „erfolgreichen Schlag gegen die verfassungsfeindliche, demokratiezersetzende und rechtsextreme Reichsbürger-Szene in Deutschland und Österreich“.

„Abgrund terroristischer Bedrohung“

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach mit Blick auf die mutmaßlichen Umsturzpläne am Mittwoch von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“. „Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung ist – nach dem Stand der Ermittlungen – von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben“, so Faeser in Berlin. Der Rechtsstaat wisse sich jedoch „gegen die Feinde der Demokratie zu wehren“.

Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythen

Die Mitglieder des mutmaßlichen Terrornetzwerks, für das die Behörden noch keinen Namen hätten, verbinde „eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“. Sie sollen Verschwörungsmythen anhängen und davon überzeugt sein, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines „Deep State“ regiert werde.

Der Karlsruher Behörde zufolge glaubten sie, dass eine „Allianz zur Befreiung“ einschreiten werde, ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, darunter Russland und die USA. Deren Angriff sei ihrer Überzeugung nach zeitnah bevorgestanden.

Festnahmen bei Razzia gegen Rechtsextreme

Die deutsche Bundesanwaltschaft hat 25 Menschen aus der „Reichsbürger“-Szene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. Rund 3.000 Beamte seien in elf Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde der dpa. Sie wirft den Beschuldigten vor, den Umsturz des Staates vorbereitet zu haben. 22 der Festgenommenen sollen Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer.

Pläne für militärische Übergangsregierung

Das Terrornetzwerk habe geplant, die verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen. Ein militärischer Arm habe den demokratischen Rechtsstaat beseitigen sollen, danach habe eine militärische Übergangsregierung gebildet werden sollen. Geplant war offenbar, dass diese mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die neue staatliche Ordnung verhandeln solle.

Kopf soll aus Hessen stammen

Als künftiges Staatsoberhaupt sollte dabei laut Generalbundesanwalt der Kopf der Gruppe fungieren. Der ARD und dem „Spiegel“ zufolge handelt es sich dabei um Heinrich XIII. Prinz Reuß – auch er wurde festgenommen. Den Ermittlungen zufolge soll der Adelstitelträger Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe gewesen sein. Der 71-jährige Unternehmer aus Hessen soll auch versucht haben, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen.

Russland: „Innere Angelegenheit“ Deutschlands

In einer aktuellen Reaktion bezeichnete Russland das ausgehobene mutmaßliche „Reichsbürger“-Netzwerk als innere Angelegenheit Deutschlands. „Das ist eher ein inneres Problem der BRD. Sie haben selbst konstatiert, dass hier keine Rede von einer Einmischung Russlands sein kann“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der russischen Agentur Interfax zufolge zu mutmaßlichen Umsturzplänen einer Terrorgruppe in Deutschland. Russland habe das nur aus den Medien erfahren und könne nichts dazu sagen, meinte Peskow.

Polizisten führen Heinrich XIII. Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug
APA/dpa/Boris Roessler
Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Festnahme in Frankfurt

Ex-AfD-Abgeordnete sollte „Justizministerin“ werden

Neben Heinrich Prinz Reuß sei auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann unter den Beschuldigten, berichteten deutsche Medien. Die Berliner Richterin, von 2017 bis 2021 Abgeordnete, sollte im „Kabinett“ von Heinrich XIII. „Justizministerin“ werden. Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) bezeichnete Malsack-Winkemann als „brandgefährliche Person“. „Das ist eine Person, die als Richterin auf keinen Fall mehr tätig sein darf“, so Kreck.

Ermittlungen gegen KSK-Soldaten

Die Ermittlungen richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) am Mittwoch der dpa.

Es handle sich um einen Unteroffizier, dessen Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht worden seien. Er war in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen und später aus der Truppe heraus gemeldet worden. Bei den Ermittlungen seien bisher aber keine Bezüge zu früheren Extremismusvorfällen im KSK entdeckt worden.

„Der MAD war im Vorfeld in die Ermittlungen des GBA eingebunden und hat seine Erkenntnisse im Verfassungsschutzverbund und mit dem Bundeskriminalamt geteilt“, sagte der MAD-Sprecher. Der aktive Soldat sei Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte, es handele sich aber nicht um einen Kommandosoldaten. Hintergrund ist, dass in der Kaserne auch Teile der Logistik, Unterstützungskräfte und die Führung des Verbandes stationiert sind.

„Im Zuge der verdeckten Ermittlungen des MAD haben sich bisher keine Verbindungen zwischen dem beschuldigten Soldaten und zurückliegenden Ermittlungskomplexen im KSK erhärten lassen. Die Verbindungen sind jedoch weiterhin Gegenstand der laufenden Ermittlungen“, sagte der Sprecher weiter.

Entscheidung über Untersuchungshaft noch am Mittwoch

Den Angehörigen des Netzwerks soll laut Bundesanwaltschaft bewusst gewesen sein, dass ihre Pläne nur mit dem Einsatz von militärischen Mitteln und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten hätten verwirklicht werden könnten. Dazu hätten auch Tötungen gehört. Die Beschuldigten sollen am Mittwoch und Donnerstag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der über die Untersuchungshaft entscheidet.

Polizisten durchsuchen eine Garage
Reuters/Christian Mang
Polizisten durchsuchen eine Garage in Berlin

SPD und Grüne entsetzt

Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen äußerten sich entsetzt über das mutmaßliche Terrornetzwerk. SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast begrüßte die dagegen gerichteten Razzien der Sicherheitsbehörden: „Unsere Demokratie war, ist und bleibt wehrhaft“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. „Unsere Werte müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden“, hob Mast weiter hervor. „Es gibt Kräfte, die tagtäglich daran arbeiten, unsere Demokratie zu zersetzen. Und dagegen muss und kann sich unser Rechtsstaat wehren“, sagte die SPD-Politikerin.

„Heute Morgen zeigt sich, dass der Staat wehrhaft ist gegen die Feinde der Demokratie im Innern“, sagte auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dem Portal t-online. „Die Gewaltfantasien der Reichsbürgerszene darf man nicht als Klamauk oder Spinnerei abtun“, warnte er davor, die Beteiligten zu unterschätzen, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würden. „Rechtsextremer Terror ist die größte Gefahr für unsere Demokratie“, schrieb die grüne Fraktionschefin Katharina Dröge auf Twitter. Sie dankte den Menschen in den Sicherheitsbehörden, die „jeden Tag daran arbeiten, unsere Demokratie zu schützen“.

„Wir müssen die Gefahren des Rechtsextremismus ernst nehmen“, mahnte auch die Kofraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann. Der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz begrüßte im „Spiegel“ (Onlineausgabe), dass es den Sicherheitsbehörden mit ihren Razzien gelungen sei, „Machtergreifungsplänen einen Riegel vorzuschieben“.

Polizeigewerkschaft fordert mehr Anerkennung für Beamte

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte anlässlich der Razzia mehr Unterstützung für Einsatzkräfte. Polizeiliche Erfolge wie dieser dürften nicht „über viele Missstände innerhalb der Polizeien hinwegtäuschen“, sagte GdP-Chef Jochen Kopelke in Berlin.

„Es gibt Personalmangel, es gibt eine bundesweit unterschiedliche Gefahrenzulage der Polizeibeschäftigten sowie weitere föderale Ungerechtigkeiten“, fügte Kopelke hinzu. „Und unsere Kolleginnen und Kollegen verspüren einen rasant zunehmenden Mangel an Respekt, vor dem, was sie tun.“ Zugriffe wie die vom Mittwoch seien für die Einsatzkräfte mit großen Gefahren und einem enorm hohen Ermittlungs- und Planungsaufwand verbunden.

„Viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie es ist, eine Tür zu öffnen und nicht zu wissen, ob unvermittelt geschossen wird, eine Sprengfalle lauert oder, oder, oder“, sagte der Gewerkschaftschef.

Tausende „Reichsbürger“ in Deutschland

„Reichsbürger“ sind Menschen, welche die Bundesrepublik Deutschland und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu. Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1.150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene „Reichsbürger und Selbstverwalter“ 1.011 extremistische Straftaten zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein „Reichsbürger“ im bayrischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.