Polizisten führen Heinrich XIII. Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug
APA/dpa/Boris Roessler
Razzia gegen „Reichsbürger“

Netzwerk plante Umsturz in Deutschland

Die deutsche Bundesanwaltschaft hat Mittwochfrüh 25 Personen aus der „Reichsbürger“-Szene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen – 19 sind inzwischen in U-Haft. Die meisten Personen wurden in Deutschland festgenommen, auch in Österreich und Italien gab es Durchsuchungen, in Kitzbühel eine Festnahme. Die Beschuldigten sollen eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereiten wollte.

22 Festgenommenen wirft die Behörde vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein, zwei davon als Rädelsführer, wie der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank in Karlsruhe am Mittwoch bestätigte. Drei weitere gelten als Unterstützer. Mit Ausnahme einer Russin haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus gebe es 27 weitere Beschuldigte, hieß es. Insgesamt stieg die Zahl der Beschuldigten und belief sich am Donnerstag bereits auf 54.

Die spätestens Ende November vergangenen Jahres gegründete Vereinigung hatte laut Bundesanwaltschaft das Ziel, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“.

Laut deutscher Bundesanwaltschaft gab es insgesamt rund 150 Durchsuchungen. Die Beamten hätten umfangreiches Material sichergestellt. Rund 3.000 Beamte seien in elf deutschen Bundesländern im Einsatz gestanden, die Operation im Morgengrauen zählt zu den größten Polizeieinsätzen gegen Extremisten in der Geschichte Deutschlands.

Mutmaßlicher Rädelsführer in U-Haft

Unter den Festgenommenen ist eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und amtierende Richterin. Als ein Rädelsführer des mutmaßlichen Terrornetzwerks gilt laut dem deutschen Generalbundesanwalt der 71-jährige Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen.

Den Ermittlungen zufolge soll der Mann Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe („Rat“) gewesen sein und im Fall des Umsturzes als „zukünftiges Staatsoberhaupt“ gegolten haben. Auch er ist den Angaben zufolge unter jenen, für die Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Untersuchungshaft angeordnet haben.

„Reichsbürger“ planten Umsturz in Deutschland

Bei Razzien gegen Extremisten in Deutschland, Italien und Österreich sind 25 Menschen aus der „Reichsbürger“-Szene festgenommen worden, die mutmaßlich das politische System stürzen wollten. Das Oberhaupt des Netzwerks soll ein 71-jähriger Adeliger sein, der bereits als Verschwörungsideologe auffällig wurde. Mehrere Elitesoldaten, ein Waffenhändler sowie eine aktive Richterin sollen ebenfalls Teil der Gruppe sein.

Razzien in Kitzbühel und Amstetten

Nach Angaben des Innenministeriums fanden in Österreich in zwei Bundesländern Durchsuchungen statt – die Festnahme erfolgte dann in Kitzbühel. Neben Kitzbühel hat es auch im Bezirk Amstetten in Niederösterreich eine Durchsuchung gegeben, wie eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft gegenüber noe.ORF.at bestätigte.

Die zwei Bewohner würden im Verfahren gegen die „Reichsbürger“-Szene in Deutschland „als Beschuldigte, nicht als Verdächtige“ geführt. Sie seien österreichische Staatsbürger, ein Haftbefehl liegt nicht vor – mehr dazu in noe.ORF.at . Der „Standard“ berichtete hierzu von zwei 63-Jährigen, die den Vorsitz eines spirituell-esoterischen Vereins mit Sitz in Niederösterreich führen.

In Tirol Festgenommener für „militärischen Arm“ tätig?

Der in Kitzbühel Festgenommene werde laut „Standard“ verdächtigt, den „militärischen Arm“ der Gruppe unterstützt zu haben, weil er für dessen Verpflegung zuständig gewesen sei. Es soll sich um einen 62-jährigen gebürtigen Münchner handeln – das ist aber noch unbestätigt.

Der Chef der österreichischen Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, nannte dazu am Mittwoch keine Details, die Kommunikation obliege den deutschen Behörden. Doch verwies er auf eine „starke Szene“ auch hierzulande. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sprach von einem „erfolgreichen Schlag gegen die verfassungsfeindliche, demokratiezersetzende und rechtsextreme ‚Reichsbürger‘-Szene in Deutschland und Österreich“.

Die deutschen Sicherheitsbehörden waren nach Aussage des Präsidenten des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, früh über die Umsturzplanungen einer „Reichsbürger“-Gruppierung im Bilde. Die Verfassungsschutzbehörden hätten die Gruppe seit dem Frühjahr beobachtet und einen recht klaren Überblick über deren Planungen und Entwicklung gehabt. Die Planungen seien dann immer konkreter geworden und es seien Waffen beschafft worden, sagte Haldenwang in einem ZDF-„Spezial“. „Die deutschen Sicherheitsbehörden insgesamt hatten die Lage jederzeit unter Kontrolle. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegangen wäre, dann war diese Gefahr schon recht real.“

Jölli (ORF) zu „Reichsbürger“-Razzien

Andreas Jölli kommentiert die Razzien gegen das Netzwerk der „Reichsbürger“ in Deutschland. Der Kreis der Festgenommenen reicht bis in eine Bundestagspartei und in die Bundeswehr hinein. Sogar ein bewaffneter Sturm auf den deutschen Reichstag war geplant.

Pläne für militärische Übergangsregierung

Das Terrornetzwerk plante laut deutschem Generalbundesanwalt, die verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen. Ein militärischer Arm habe den demokratischen Rechtsstaat beseitigen sollen, danach habe eine militärische Übergangsregierung gebildet werden sollen. Geplant war offenbar, dass diese mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkriegs die neue staatliche Ordnung verhandeln solle.

Den Angehörigen des Netzwerks soll laut Bundesanwaltschaft bewusst gewesen sein, dass ihre Pläne nur mit dem Einsatz von militärischen Mitteln und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten hätten verwirklicht werden könnten. Dazu hätten auch Tötungen gehört.

Ex-Abgeordnete als „Justizministerin“ vorgesehen

Neben Heinrich Prinz Reuß sollte den Plänen zufolge auch die festgenommene Berliner Richterin – sie war von 2017 bis 2021 AfD-Abgeordnete im Bundestag – eine tragende Rolle spielen. Sie sollte im „Kabinett“ von Heinrich Prinz Reuß „Justizministerin“ werden. Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) bezeichnete Birgit Malsack-Winkemann als „brandgefährliche Person“. Berichten zufolge soll Heinrich Prinz Reuß versucht haben, über die ebenfalls festgenommene Russin Witalia B. Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen.

Russland: „Innere Angelegenheit“ Deutschlands

In einer aktuellen Reaktion bezeichnete Russland das ausgehobene mutmaßliche „Reichsbürger“-Netzwerk als innere Angelegenheit Deutschlands. „Das ist eher ein inneres Problem der BRD. Sie haben selbst konstatiert, dass hier keine Rede von einer Einmischung Russlands sein kann“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der russischen Agentur Interfax zufolge zu mutmaßlichen Umsturzplänen einer Terrorgruppe in Deutschland. Russland habe das nur aus den Medien erfahren und könne nichts dazu sagen, meinte Peskow.

Polizisten durchsuchen eine Garage
Reuters/Christian Mang
Polizisten durchsuchen eine Garage in Berlin

„Abgrund terroristischer Bedrohung“

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach mit Blick auf die mutmaßlichen Umsturzpläne von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“. „Die heute aufgedeckte mutmaßliche terroristische Vereinigung ist – nach dem Stand der Ermittlungen – von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien getrieben“, so Faeser in Berlin. Der Rechtsstaat wisse sich jedoch „gegen die Feinde der Demokratie zu wehren“.

Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsmythen

Die Mitglieder des mutmaßlichen Terrornetzwerks, für das die Behörden noch keinen Namen hätten, verbinde „eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“. Sie sollen Verschwörungsmythen anhängen und davon überzeugt sein, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines „Deep State“ regiert werde.

Der Karlsruher Behörde zufolge glaubten sie, dass eine „Allianz zur Befreiung“ einschreiten werde, ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, darunter Russland und die USA. Deren Angriff sei ihrer Überzeugung nach zeitnah bevorgestanden. Die US-Regierung bat der deutschen Regierung indes Unterstützung an. „Wir bleiben in engem Kontakt mit unseren Partnern in der Regierung und stehen bereit, um zu helfen, wenn wir darum gebeten werden“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre.

Ehemaliger KSK-Offizier festgenommen

Nahe Perugia (Umbrien) wurde zudem ein deutscher Staatsbürger, der sich seit einiger Zeit in Italien aufhielt, aufgrund eines europäischen Haftbefehls in einem Hotel festgenommen. Bei dem Deutschen handelt es sich nach Angaben der italienischen Polizei und des deutschen Militärischen Abschirmdienstes (MAD) um einen ehemaligen Offizier des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Deutschen Bundeswehr.

Der 64-Jährige sei in einem Hotel in Ponte San Giovanni südöstlich der mittelitalienischen Stadt festgenommen worden. Derzeit liefen die Verfahren zur Auslieferung des Mannes, erklärte die Polizei am Mittwoch. Zwei weitere Verdächtige, ehemalige Soldaten, seien noch auf freiem Fuß, hieß es vonseiten des MAD.

Weil sich nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums unter den Verdächtigen insgesamt drei Soldaten befinden, wird sich auch der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Großrazzia befassen. Die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) sagte dem „Tagesspiegel“, sie habe das Thema in der kommenden Sitzung auf die Tagesordnung gesetzt. „Wir werden diese braune Suppe austrocknen“, sagte Strack-Zimmermann.

Journalist Flade zur „Reichsbürger“-Razzia

Hinweis der Redaktion: Die Langfassung des Interviews mit dem Journalisten Florian Flade ist unter den Links zu dieser Sendung verfügbar.

Tausende „Reichsbürger“ in Deutschland

„Reichsbürger“ sind Menschen, welche die Bundesrepublik Deutschland und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu. Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1.150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene „Reichsbürger und Selbstverwalter“ 1.011 extremistische Straftaten zu.

Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein „Reichsbürger“ im bayrischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.