Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili
APA/AFP/Europäisches Parlament/Eric Vidal
Korruptionsverdacht

EU-Parlamentsvize Kaili suspendiert

Die wegen Korruptionsvorwürfen festgenommene EU-Abgeordnete Eva Kaili ist als Vizeparlamentspräsidentin des Europäischen Parlaments suspendiert worden. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola entzog der 44-Jährigen „mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben“ als ihre Stellvertreterin, wie eine Sprecherin Metsolas am Samstagabend mitteilte.

Kaili und vier weitere Verdächtige, darunter Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, der parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist, waren am Freitag in Brüssel im Zuge von Ermittlungen zu einer Korruptionsaffäre im EU-Parlament festgenommen worden. Die Griechin soll so wie andere Parlamentsmitglieder von einem Golfstaat – laut Medienberichten handelt es sich um Katar – bestochen worden sein.

Nach Informationen der belgischen Zeitung „L’Echo“ hatten die Ermittler „mehrere Säcke voller Geldscheine“ in Kailis Wohnung gefunden. Die Polizei veranlasste demnach die Durchsuchung der Räumlichkeiten, nachdem sie Kailis Vater mit einer großen Menge Bargeld in „einem Koffer“ angetroffen hatte.

Festgenommen wurden zudem der ehemalige sozialdemokratische Europaabgeordnete und heutige Chef der Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, Pier Antonio Panzeri, sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Luca Visentini. Aus Kreisen der italienischen Regierung wurden der Nachrichtenagentur AFP am Samstag in Rom zudem zwei weitere Festnahmen bestätigt: Betroffen sind die Ehefrau und die Tochter von Panzeri.

Datenträger und Mobiltelefone beschlagnahmt

Bei den Razzien beschlagnahmte die Polizei laut belgischer Bundesstaatsanwaltschaft Bargeld in Höhe von rund 600.000 Euro sowie Datenträger und Mobiltelefone, die nun ausgewertet würden. Am Samstag wurden die fünf Beschuldigten nach Angaben eines Sprechers der Ermittlungsbehörde in Brüssel weiter vernommen.

Zu dem in den Korruptionsfall involvierten Land teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass es sich um einen „Golfstaat“ handle. Dieser stehe im Verdacht, „wirtschaftliche und politische Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen“, indem er „beträchtliche Geldsummen zahlt oder erhebliche Geschenke verschenkt“.

Mit den Ermittlungen vertraute Kreise bestätigten der Nachrichtenagentur AFP Medienberichte, wonach es sich bei dem Golfstaat um Katar handle. Ein katarischer Regierungsbeamter sagte auf AFP-Anfrage, seinem Land seien „keine Details über eine Untersuchung bekannt“. Jegliche „Behauptung eines Fehlverhaltens des Staates Katar“ sei unzutreffend.

„Macht mich fassungslos“

Vor der Suspendierung hatten mehrere EU-Abgeordnete bereits den Rücktritt von Kaili, eine von 14 Vizepräsidenten – und präsidentinnen des EU-Parlaments, gefordert. Die deutsche Vizepräsidentin Nicola Beer zeigte sich schockiert. „Das macht mich fassungslos“, sagte die FDP-Politikerin. „Es ist völlig klar, dass das insgesamt negative Auswirkungen auf das Parlament hat.“ Beer sagte, Kaili habe das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das EU-Parlament erschüttert. „Ich hoffe, dass sie von sich aus Konsequenzen zieht.“

Analyse zum Korruptionsskandal

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel über die Ermittlungen im Korruptionsskandal rund um die EU-Vizepräsidentin Eva Kaili und wie der Fall im Kontext anderer Skandale einzuordnen ist.

Der ÖVP-EU-Abgeordnete und österreichische Vizepräsident Othmar Karas retweetete einen Post der maltesischen EU-Parlamentspräsidentin Metsola, in dem diese betont, man werde alles tun, um Korruption zu bekämpfen. Sie könne die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren, das Parlament werde aber die Behörden voll unterstützen.

Der Kovorsitzende der Arbeitsgruppe Antikorruption des Parlaments, der Deutsche Daniel Freund, zeigte sich von den Ermittlungen schockiert. „Die Vorwürfe müssen lückenlos aufgeklärt werden“, sagte der Grünen-Politiker. Geld dürfe bei den Entscheidungen in Europas größtem Parlament keine Rolle spielen. Es drohe ein gewaltiger Vertrauensverlust.

Haftprüfung am Sonntag

In den Korruptionsermittlungen gegen Kaili entscheidet sich am Sonntag, ob die griechische Politikerin und vier weitere Verdächtige im Gefängnis bleiben. Dann werde über mögliche Haftbefehle befunden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Samstag der dpa in Brüssel. Die fünf Verdächtigen waren am Freitag festgenommen worden.

Vizepräsidentin aus Partei ausgeschlossen

Die Griechin Kaili hatte noch am 21. November eine Rede im Europaparlament zur Fußballweltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete sie die Veranstaltung als Beweis dafür, „dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“. Katar habe etwa bei Arbeitsrechten eine Vorreiterrolle gespielt.

Kaili ist seit 2014 Europaabgeordnete und seit 2022 eine von 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten des Parlaments. Von 2004 bis 2007 war sie ihrem Lebenslauf auf der Parlamentshomepage zufolge Nachrichtensprecherin und Journalistin, später auch PR-Beraterin in Griechenland.

Welcher Golfstaat mutmaßlich Einfluss auf das Parlament auszuüben versucht, teilte die Staatsanwaltschaft nicht mit. Einer Recherche der französischsprachigen belgischen Tageszeitung „Le Soir“ und der flämischsprachigen Wochenzeitung „Knack“ zufolge handelt es sich dabei aber um das Emirat Katar.