Innenhof des EP-Gebäudes in Straßburg
ORF.at/Florian Bock
Skandal in Parlament

EU-Staaten fordern volle Aufklärung

Nach den schweren Korruptionsvorwürfen im EU-Parlament haben die Mitgliedsländer umfassende Aufklärung gefordert. Vor einem Treffen der Außenministerinnen und -minister in Brüssel am Montag sprach Deutschlands Ministerin Annalena Baerbock von einem „unglaublichen Vorfall“. Dieser „muss jetzt ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden, mit der vollen Härte des Gesetzes“. Am Nachmittag wird das Parlament in Straßburg tagen.

Die griechische Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili und drei weitere Verdächtige waren am Sonntag von den belgischen Behörden in Untersuchungshaft genommen worden. Ihnen werden Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption vorgeworfen. Katar soll mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidungen des Europaparlaments zu beeinflussen.

Es gehe hier um die Glaubwürdigkeit Europas, so Baerbock. Der irische Außenminister Simon Coveney sprach von einem „schädlichen Vorgang“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wiederum nannte die Vorwürfe „sehr besorgniserregend“. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meldete sich zu Wort: „Die Anschuldigungen sind äußerst besorgniserregend und sehr ernst“, sagte sie vor der Presse. Sie forderte ein unabhängiges Ethikgremium für die EU-Institutionen.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) gab sich vorerst abwartend. „Das wäre ein veritabler Skandal, wenn sich das bewahrheiten sollte“, sagte Schallenberg vor dem Treffen in Brüssel. „Aber wir sind Rechtsstaaten, wir sollten jetzt die Justiz arbeiten lassen, möglichst schnell hier für Aufklärung sorgen“, fügte er hinzu. Es gehe „immerhin um die Herzensinstitution der europäischen Demokratie“.

Vermögen von Kaili offenbar eingefroren

Die Vermögenswerte von Kaili in Griechenland wurden unterdessen eingefroren. Wie griechische Medien übereinstimmend berichteten, veranlasste der Chef der Anti-Geldwäsche-Behörde, Charalambos Vourliotis, den Schritt. Auch die Vermögenswerte der Eltern und der Schwester Kailis sowie die ihres Lebenspartners sollen gesperrt worden sein. Es gehe darum zu prüfen, ob die Vermögenswerte aus illegalen Aktivitäten stammen. Untersucht würden Konten, Immobilienbesitz, Unternehmensbeteiligungen und ähnliche Vermögenswerte.

Katar weist Vorwürfe zurück

Katar wies gleichzeitig Vorwürfe von Fehlverhalten in dem Korruptionsskandal entschieden zurück. Es sei haltlos, die Behauptungen darüber mit der Regierung in Doha in Verbindung zu bringen, so die katarische EU-Vertretung in Brüssel. Der Staat Katar handle in vollständiger Einhaltung internationaler Gesetze und Regeln.

Borrell: Keine Hinweise auf Diplomatenbeteiligung

Nach Angaben Borrells gibt es bisher keine Hinweise auf eine Verwicklung von EU-Diplomaten in den Korruptionsskandal. „Wir sind davon nicht betroffen“, sagte der Spanier am Montag am Rande eines Treffens der Außenminister der Mitgliedsstaaten in Brüssel.

Niemand aus dem Auswärtigen Dienst oder den EU-Vertretungen im Ausland werde im Zusammenhang mit den Geschehnissen genannt, so Borrell. Auf die Frage, ob der Skandal Auswirkungen auf die Beziehungen der EU zu Katar haben werde, sagte Borrell, er müsse auf Grundlage eindeutiger Beweise handeln. Derzeit laufe ein Verfahren, und er könne nicht weiter gehen als die Justizbehörden.

Vier Personen in Untersuchungshaft

Kaili und die anderen drei Verdächtigen sind aktuell in U-Haft. Wie es in der Causa weitergeht, bleibt offen. Quer durch alle politischen Lager gibt es aber bereits Rufe nach Konsequenzen – erste könnten bereits am Montag bei der Plenarsitzung in Straßburg folgen.

Im Fokus steht dabei ein von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola für den Nachmittag geplantes informelles Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden, bei dem es nach AFP-Informationen „um Kailis Absetzung und weitere Schritte“ gehen soll. Bei einem der vermutlich größten Korruptionsskandale in der Geschichte des EU-Parlaments geht es um Ermittlungen wegen mutmaßlicher Bestechung und Bestechlichkeit, Geldwäsche und versuchter Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch ein Golfemirat.

Am Freitag waren Kaili und fünf weitere Verdächtige von belgischen Behörden nach übereinstimmenden Medienberichten festgenommen worden. Bei der Durchsuchung von 16 Häusern seien auch 600.000 Euro Bargeld sichergestellt worden. Vier der Festgenommenen bleiben nun weiter in Haft. Ob sich die Vorwürfe erhärten, bleibt abzuwarten – es gilt die Unschuldsvermutung.

Reaktionen auf Korruptionsvorwürfe

Wegen des Vorwurfs der mutmaßliche Korruption im Europäischen Parlament sind die die mittlerweile suspendierte griechische EU-Vizepräsidentin, Eva Kaili, sowie drei weitere Verdächtige in U-Haft. ORF-Korrespondent Robert Zikmund fasst die Reaktionen zusammen.

Als Reaktion auf die Festnahme entzog Metsola Kaili bereits am Samstag alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben als eine der 14 stellvertretenden Präsidentinnen und Präsidenten des EU-Parlaments. Über Kailis Absetzung können nur die EU-Parlamentarier gemeinsam entscheiden. Das dürfte aber trotz der erforderlichen Zweidrittelmehrheit wohl nur noch eine Formsache sein.

Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili
IMAGO/Eurokinissi
Die Abgeordneten des EU-Parlaments könnten bereits am Montag über Kailis Absetzung entscheiden

Visaliberalisierung für Katar wackelt

Da sich Kaili vor allem lobend über Katar geäußert hatte, könnte laut belgischen Medien der Golfstaat hinter den Korruptionsvorwürfen stecken. Das Außenministerium in Katar wies das allerdings scharf zurück. „Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert.“ Katar operiere nach den gültigen internationalen Gesetzen und Regeln.

Dennoch könnte der Vorfall Auswirkungen auf das Land haben. Konkret sprachen sich Vertreter mehrerer EU-Parlamentsfraktionen am Sonntag dafür aus, die Verhandlungen über Visaerleichterungen für Bürgerinnen und Bürger des Emirats, die eigentlich am Montag beginnen sollten, aufzuschieben.

„Wenn das Europaparlament möglicherweise mit Geld von Kräften aus dem Ausland beeinflusst wurde, muss man das Verfahren im Parlament erst einmal stoppen“, forderte etwa der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary. „In dieser Situation kann es natürlich keine Visaliberalisierung für Katar geben“, sagte der deutsche Grünen-EP-Abgeordnete Erik Marquardt: „Die geplante Abstimmung darüber wird entweder in den Innenausschuss zurücküberwiesen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen, oder wir stimmen als Parlament gegen die Visaliberalisierung.“

Katar-Reise abgesagt

Ein Sprecher des EU-Parlaments bestätigte laut AFP am Sonntag zudem, dass eine geplante Katar-Reise von Europaabgeordneten des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten „wegen der derzeitigen Umstände“ abgesagt werde. In zwei Wochen hätte eine Gruppe von Abgeordneten nach Katar und Saudi-Arabien reisen sollen. Die Reise nach Saudi-Arabien soll wie geplant stattfinden.

„Sehr ernst“

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte dem italienischen Fernsehsender Rai 3, dass der Fall „sehr ernst“ zu sein scheine. „Wenn sich bestätigen sollte, dass jemand Geld genommen hat, um die Meinung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen, wäre das wirklich eine der dramatischsten Korruptionsgeschichten der letzten Jahre.“

Mit Blick auf Kaili sagte die deutsche EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley gegenüber Reuters: „Die sozialdemokratische EP-Fraktion hat sie bereits suspendiert und wird auch ihre Abwahl als Parlamentsvizepräsidentin beantragen.“ Laut Barley gehe es „um einen offenbar kriminellen Einzelfall“, den man nie ausschließen könne.

Unter anderem sagte auch der österreichische EP-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP), dass Kaili ihr Amt entzogen werden solle. ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig stellte sogar den Abgeordnetensitz der Griechin zur Disposition. „Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, darf sie auch nicht weiter als Abgeordnete des Hauses tätig sein“, teilte Winzig am Sonntag mit.

Schaidreiter (ORF) zu Verhaftungen

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter spricht unter anderem über die Verhaftung von Eva Kaili, und wie diese abgelaufen ist. Des Weiteren berichtet sie über die am Montag startende Plenarwoche, und wie man dort auf das Ereignis reagieren wird.

Belgische Sozialdemokraten laden Abgeordneten vor

Caspary forderte zuvor von den Sozialisten schließlich auch Aufklärung darüber, ob noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter der Fraktion betroffen sein könnten bzw. wer möglicherweise Kenntnis von den im Raum stehenden Korruptionsvorwürfen hatte.

In Belgien hat die Sozialistische Partei (PS) in Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im Europaparlament bereits ihren Europaabgeordneten Marc Tarabella vor ein parteiinternes Gremium zitiert. Der Europaabgeordnete werde in den kommenden Tagen angehört, wie die Partei am Sonntag via Twitter mitteilte.

Die belgische Staatsanwaltschaft hatte zuvor mitgeteilt, dass in dem Korruptionskomplex um das Europaparlament am Samstagabend das Haus eines weiteren Abgeordneten durchsucht worden sei, jedoch keinen Namen genannt. Medienberichten zufolge handelt es sich um Tarabella. Dieser beteuerte in einer ersten Reaktion gegenüber der Nachrichtenagentur Belga, er habe „absolut nichts zu verbergen“.