Europäisches Parlament Strassburg
ORF.at/Florian Bock
EU-Korruptionsskandal

Ermittlungen mit schwerwiegenden Folgen

Es geht um Bestechung, Korruption, Säcke voller Bargeld und das alles in genau jener EU-Institution, die sich vor allem die Moral auf ihre Fahnen geschrieben hat: dem EU-Parlament. Seit dem Wochenende kam es in Brüssel zu mehreren Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Im Mittelpunkt steht die griechische Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili. Während die einen meinen, es handle sich lediglich um einen Einzelfall, sehen andere die Wurzeln des Problems viel tiefergehend. Klar ist: Der Imageschaden dürfte erheblich sein.

Es ist nicht weniger als ein enormer Korruptionsskandal, der die EU derzeit erschüttert. Die 44-jährige Sozialistin Kaili ist eine der 14 Vizepräsidenten des Parlaments und steht im Verdacht, von Katar dafür bezahlt worden zu sein, sich für die Interessen des Golfemirats einzusetzen. Allein in ihrer Wohnung in Brüssel sollen „Säcke mit Bargeld“ gefunden worden sein. Nach Angaben einer ihrer Anwälte wies Kaili alle Vorwürfe zurück. Auch das Emirat erklärte, kein Fehlverhalten begangen zu haben.

Das Emirat, das derzeit die Fußballweltmeisterschaft ausrichtet und für seine Menschenrechtsverletzungen bekannt ist, soll mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidungen des Europaparlaments zu beeinflussen. Derzeit wird etwa auf EU-Ebene in Erwägung gezogen, die Visaregeln für Staatsbürger von Katar zu erleichtern – das Verfahren im Parlament liegt nach den Bestechungsvorwürfen erst einmal auf Eis.

Eine Gruppe macht ein Foto bei einer WM-Pokal Statue in Doha
APA/AFP/Fabrice Coffrini
Der Vorwurf wiegt schwer: Katar soll sich in die Brüssler EU-Politik eingekauft haben

Fragwürdige Lobrede auf Katar

Kaili hatte am 21. November eine Rede im Europaparlament zur Fußballweltmeisterschaft in Katar gehalten. Darin bezeichnete sie das Sportereignis als Beweis dafür, „dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“. Katar habe etwa bei Arbeitsrechten eine Vorreiterrolle gespielt.

EU: Kaili als Vizepräsidentin abgesetzt

Die ehemalige griechische Abgeordnete Kaili ist am Dienstag als eine von 14 Vizepräsidenten- und präsidentinnen im EU-Parlament abgesetzt worden. Sie und drei andere Personen befinden sich wegen des Verdachts auf Korruption und Geldwäsche in U-Haft.

Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung?

Kaili ist eine von sechs Verdächtigen, die von den belgischen Behörden seit Freitag in dem Korruptionsskandal festgenommen wurden. Vier von ihnen kamen am Sonntag in Untersuchungshaft, darunter Kaili selbst, ihr Freund und der ehemalige Europaabgeordnete Antonio Panzeri.

Die belgische Tageszeitung „Le Soir“ bezeichnete Panzeri als den „Bargeldbringer“, so soll der Leiter der Menschenrechts-NGO Fight Impunity doch maßgeblich an den Geschäften beteiligt gewesen sein. Den Festgenommenen wird „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption“ vorgeworfen.

Am Mittwoch soll bei einer Anhörung vor Gericht entschieden werden, ob die Verdächtigen bis zum Beginn ihres Prozesses in Haft bleiben. Kaili wurde inzwischen aus der Partei und Fraktion ausgeschlossen, als Vizepräsidentin abgesetzt und ihr Vermögen eingefroren.

Anwalt beteuert Unschuld Kailis

Kailis Anwalt Michalis Dimitrakopoulos beteuerte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, die Politikerin habe „von der Existenz dieses Geldes nichts gewusst“. Die 44-Jährige sei „unschuldig“. Nur ihr Lebensgefährte, der ebenfalls wegen Korruptionsvorwürfen festgenommene Italiener Francesco Giorgi, könne „Antworten auf die Existenz dieses Geldes“ geben.

1,5 Mio. Euro bei Durchsuchungen beschlagnahmt

Belgische Ermittler hatten in den vergangenen Tagen 19 Häuser und Parlamentsbüros durchsucht und 1,5 Millionen Euro Bargeld sowie Computer und Handys von zehn parlamentarischen Mitarbeitern beschlagnahmt. Die belgischen Ermittler vermuteten nach eigenen Angaben seit Längerem, dass ein Golfstaat versuche, sich Einfluss in Brüssel zu erkaufen.

Im Zusammenhang mit dem Skandal rückte auch der griechische Vizepräsident der EU-Komission, Margaritis Schinas, in den Fokus: Der für die „europäische Lebensart“ und Migration zuständige Kommissar hatte Katar gemeinsam mit Kaili zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft im November besucht und dort Regierungsmitglieder getroffen. In einem Tweet schrieb er, Katar habe „beträchtliche und greifbare Fortschritte bei den Arbeitsreformen erzielt, die auch nach der Fußballweltmeisterschaft 2022 fortgesetzt und wirksam umgesetzt werden müssen“.

Bericht: Spur auch nach Marokko

Einem Bericht zufolge ist neben Katar offenbar auch Marokko in die Korruptionsaffäre verwickelt. Dem festgenommenen Ex-EU-Abgeordneten Panzeri werde vorgeworfen, auch von Marokko Geld angekommen zu haben, berichtete der „Spiegel“ unter Berufung auf interne Dokumente der belgischen Polizei. Zwei Familienmitglieder Panzeris sollen geholfen haben, „Geschenke“ zu transportieren, die ihnen der Botschafter Marokkos in einem östlichen EU-Staat übergeben habe.

Reformen angekündigt: „Schauen uns das an“

Laut „Politico“ weigerte sich die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bisher, Fragen zu den Beziehungen von Schinas zu Katar zu beantworten. „Wir haben sehr klare Regeln für alle Kommissare und schauen uns das an“, sagte sie und brachte die Bildung eines Ethikrates zur Überwachung von EU-Institutionen ins Spiel. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola versicherte: „Es wird nicht unter den Teppich gekehrt.“ Sie kündigte unter anderem eine interne Untersuchung und Reformen in Sachen Transparenz an.

ORF-Analyse: Imageschaden für EU-Parlament

ORF-Korrespondent Peter Fritz meldet sich aus Straßburg. Er spricht über den Imageschaden des EU-Parlaments, nachdem der Korruptionsverdacht gegen Kaili bekanntwurde.

Bestechungsskandal „symptomatisch“

Dennoch werden nun Befürchtungen laut, der Skandal könnte weitere Kreise ziehen. So zitiert „Politico“ in einer Analyse EU-Beamte, die davon ausgehen, dass noch mehr Namen auftauchen könnten. Und, „dass der Bestechungsskandal in Katar symptomatisch für ein viel tiefergehendes und weiter verbreitetes Problem mit Korruption – nicht nur im Europäischen Parlament, sondern in allen EU-Institutionen ist“. Andere wiederum würden von Einzelfällen sprechen. Die Ermittlungen würden zudem zeigen, dass die Systeme und Prozesse funktionieren würden, und es in der EU kein generelles Korruptionsproblem gebe.

Beobachter und Beobachterinnen befürchten allerdings einen erheblichen Imageschaden für die EU-Institutionen, gerade für EU-Skeptikerinnen und -Skeptiker sei der Skandal „Wasser auf deren Mühlen“. Bereits jetzt liegt das Image der EU laut Eurobarometer bei den EU-Bürgerinnen und -Bürgern gerade einmal bei 47 Prozent. 36 Prozent der Befragten sehen die EU neutral, 16 negativ. Und: Was das Europäische Parlament betrifft, vertrauen diesem rund 36 Prozent „eher nicht“. Inwiefern sich der Skandal auf das Vertrauen auswirkt, wird sich folglich spätestens in den nächsten Umfragewerten zeigen.