Winterliche Stadtansicht von Sarajevo
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Westbalkan

Bosnien ist EU-Beitrittskandidat

Bosnien und Herzegowina ist EU-Beitrittskandidat. Die Europaminister der 27 Mitgliedsstaaten hätten sich am Dienstag darauf verständigt, dem Westbalkan-Land diesen Status zu gewähren, hieß es. Bestätigt werden solle die Entscheidung auf dem EU-Gipfel am Donnerstag. Die Beitrittsperspektive, für Bosnien-Herzegowina nun schon konkreter als für andere mögliche Kandidaten, gilt vor allem auch als Signal an Russland.

Die EU-Kommission hatte den Kandidatenstatus für Bosnien-Herzegowina im Oktober empfohlen. Geknüpft ist er generell etwa an erfolgreiche Reformen in Justiz und öffentlicher Verwaltung. Zuvor hatte die EU als Signal an den Kreml wegen des von Russland begonnenen Krieges schon die Ukraine zum Beitrittskandidaten ernannt, außerdem das an die Ukraine grenzende Moldawien. Hier ist eine Beitrittsperspektive allerdings noch viel weniger konkret als im Fall der Westbalkan-Länder.

Wenn auch ethnische Konflikte zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken die EU-Annäherung der früheren jugoslawischen Teilrepublik behinderten, mussten bei der letzten Wahl dort die nationalistischen Parteien Stimmenverluste hinnehmen, was durchaus als ein Indiz für den Wunsch nach einer raschen Annäherung an die Union gewertet wurde.

Für Nehammer „europäische Verantwortung“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würdigte die Einigung der EU-27 als einen „historischen Schritt“. Österreich sei „von Beginn an Tempomacher“ gewesen und habe den EU-Kandidatenstatus für die frühere jugoslawische Teilrepublik unterstützt, schrieb er auf Twitter. Die EU-Perspektive der Westbalkan-Staaten sei „entscheidend für die Sicherheit und Stabilität in der Region“ und daher „nicht nur in Österreichs Interesse, sondern europäische Verantwortung“.

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten erst vor rund einer Woche den Westbalkan-Ländern – also den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens mit Ausnahme Sloweniens und Kroatiens, die bereits Mitglieder der Union sind – und Albanien eine Stärkung der Beziehungen zugesagt.

„Wieder Schwung“ in Annäherungsprozess

In die Beitrittsprozesse sei zuletzt „wieder Schwung gekommen“, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem Gipfel in der albanischen Hauptstadt Tirana gesagt. Dort berieten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten sowie der sechs Westbalkan-Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien über eine Vertiefung ihrer Beziehungen – auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg.

Bosnien-Herzegowina wird EU-Beitrittskandidat

Im Gespräch mit ORF-Korrespondent Benedict Feichtner sagte der EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi, dass es eine politische Einigung für den Kandidatenstatus Bosnien-Herzegowinas gebe. Dieser könnte schon in den kommenden Tagen offiziell beschlossen werden.

Es gehe bei diesem Krieg auch um die Frage, ob sich „Autokratien und das Recht des Stärkeren“ durchsetzten oder „die Demokratie und der Rechtsstaat“, sagte von der Leyen. Staaten müssten sich entscheiden, auf welcher Seite sie stünden: „Auf der Seite der Demokratie? Das ist die Europäische Union.“

Für alle sechs Länder sei das Ziel eine EU-Mitgliedschaft. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel bekräftigte die Beitrittsperspektive der Westbalkan-Staaten: „Die Zukunft unserer Kinder wird mit dem Westbalkan in der EU sicherer und wohlhabender sein, und wir arbeiten sehr hart daran, Fortschritte zu erzielen.“

Kandidaten und „potenzielle“ Kandidaten

Aktuell gelten acht Länder als EU-Beitrittskandidaten. Neben Bosnien-Herzegowina, der Ukraine und Moldawien sind das die Türkei, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und Albanien. Der Kosovo, der 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hatte und von Belgrad nach wie vor als abtrünnige Provinz angesehen wird, wird von der EU als „potenzieller Kandidat“ eingestuft. Ebenfalls ein „potenzieller“ Kandidat ist Georgien.

Projektion der Europäischen Fahne auf der Nationalbibliothek in Sarajevo
AP/Armin Durgut
Bosnien-Herzegowina war bisher „potenzieller“ Kandidat für einen Beitritt – nun hat Sarajevo eine klarere Perspektive

Noch einige Hürden auf dem Weg

Allerdings gibt es für die unterschiedlichen (potenziellen) Beitrittskandidaten aktuell noch unterschiedliche Hürden auf dem Weg in die Union. Im Fall des Kosovo etwa ist eine, dass einige EU-Länder dessen Unabhängigkeit nicht anerkennen. Eine weitere Hürde ist aktuell fehlender Konsens hinsichtlich der EU-Sanktionen gegen Russland.

Eine Grafik zeigt EU-Beitrittskandidaten und potenzielle Beitrittskandidaten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Serbien etwa gilt unter den Ländern des Westbalkans als engster Verbündeter Moskaus. Von den Westbalkan-Staaten verlangt Brüssel außerdem ein Ende der Visaerleichterungen für Drittstaatsangehörige, die dann in die EU weiterreisen. Hier hat Belgrad inzwischen entsprechende Abkommen ausgesetzt.

Weiteres großes Konfliktthema: die irreguläre Einreise aus Drittstaaten über die Westbalkan-Route und die Sicherung der EU-Außengrenzen. Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex vom Oktober kamen seit Jahresbeginn deutlich mehr als 100.000 Menschen auf irregulären Wegen in die EU, rund 170 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Zahl ist die höchste seit 2016.

Sehr gegensätzliche Reaktionen

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sprach in Brüssel von einem „starken Zeichen in die Region und vor allem an die Menschen im Land“. Sie betonte am Rande der Sitzung mit ihren EU-Amtskollegen, dass Bosnien-Herzegowina „vor großen und schwierigen Reformprozessen“ stehe. Österreich werde das Land dabei weiterhin mit seiner Expertise unterstützen. „Denn: Die Frage der EU-Erweiterung am Westbalkan ist eine der Sicherheit und der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union.“

„Erfreut“ zeigte sich in einem englischsprachigen Tweet auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). „Der Platz von Bosnien-Herzegowina ist in der EU!“

Gegen den Beitrittskandidatenstatus für Sarajevo sprach sich der freiheitliche Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, aus. Er sehe „derzeit die EU als nicht in der Lage, weitere Beitrittskandidaten zu akzeptieren“. Die Union habe „mit den derzeit 27 Mitgliedern schon ihre Not, in wesentlichen Bereichen zu sinnvollen Entscheidungen zu kommen“.

Außerdem erhalte mit Bosnien-Herzegowina ein weiteres Land den Kandidatenstatus, „das im Fall eines tatsächlichen Beitritts wohl auf EU-Mittel angewiesen ist. Das belastet die wenigen Nettozahler noch mehr, zu denen auch Österreich gehört“, so Vilimsky in einer Aussendung.