Gerichtszeichnung der Angeklagten im Terrorprozess von Nizza
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Anschlag in Nizza

Alle Angeklagten schuldig gesprochen

Sechseinhalb Jahre nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag in Nizza mit 86 Toten sind am Dienstag in Paris Urteile gegen die Unterstützer des Attentäters gefallen. Zwei Freunde des von der Polizei erschossenen Täters wurden wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu jeweils 18 Jahren Haft verurteilt. Für die übrigen Angeklagten gab es unter anderem Haftstrafen wegen Waffenhandels. Die Angeklagten können noch Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen.

Der Vorsitzende Richter Laurent Raviot sagte am Dienstagabend im Pariser Justizpalast, die beiden Freunde des Attentäters hätten diesen moralisch und materiell unterstützt und ihn inspiriert. Der 31 Jahre alte Tunesier Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, der mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge auf der Uferpromenade von Nizza gefahren war, habe „so viele Menschen wie möglich töten wollen“, so der Richter. Er habe an einem immer vollen Ort und bei einem Fest, das die Republik und ihre Werte hochleben ließ, zugeschlagen. Der Anschlag sei auch ein nationales Trauma gewesen.

„Das Gericht ist überzeugt, dass der Anschlag am 14. Juli ein terroristischer Akt war.“ Der Prozess habe gezeigt, dass der Täter zwar ein Persönlichkeitsproblem gehabt habe, aber nicht psychisch krank gewesen sei. Der Täter schoss auch auf Menschen, nach zwei Kilometern wurde er erschossen. Letztlich gab es 86 Todesopfer, darunter Touristen, Einheimische, eine große Zahl an Kindern. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt.

Kläger spricht vor Kameras
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Ein Kläger spricht nach der Urteilsverkündung zur Presse

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat habe die Tat „aus opportunistischen Gründen“ für sich reklamiert und den Täter als einen ihrer Kämpfer bezeichnet. Es gebe jedoch keine Beweise für eine Verbindung des Täter zu irgendeiner dschihadistischen Organisation, betonte der Richter. Eine klare Inspiration hätte es beim Dschihadismus aber sehr wohl gegeben.

Prozess seit September

Seit September rollte ein Spezialgericht in Paris den Anschlag in Nizza auf. Mehr als 2.000 Angehörige und Opfer traten als Nebenkläger auf. Über vier Wochen hinweg berichteten sie vor Gericht von ihren Erinnerungen an die Attacke und von den Spuren, die der Terrorakt bei ihnen hinterlassen hat.

Obwohl der Attentäter damals von der Polizei getötet wurde, waren die Vorbereitung seiner Tat sowie seine Gesinnung wesentlicher Bestandteil des Prozesses. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass der Mann über weitaus mehr als bloße Neugier für den IS verfügte.

Er habe sich zahlreiche Köpfungsvideos der Terrormiliz angesehen, intensivste – irgendwann tägliche – Recherchen betrieben, etwa zum Geschehen in Syrien und im Irak, zu Terroraufrufen, zum IS und zu al-Kaida wie auch zum Aufputschmittel Captagon, das als „Dschihadisten-Droge“ gilt. „Der Täter wollte (dem Anschlag, Anm.) sehr eindeutig eine dschihadistische Dimension geben“, hieß es im Schlussplädoyer der Anklage.

Polizei vor dem LKW, der beim Terroranschlag von 2016 in Nizza verwendet wurde
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Vier Minuten und 17 Sekunden dauerte die Todesfahrt mit dem Lkw

„Von Ideologie gewusst“

Zwei der acht Angeklagten warf die Staatsanwaltschaft Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Die beiden engen Bekannten des Attentäters hätten um dessen Ideologie gewusst und diese zumindest ansatzweise geteilt. Sie seien sich zudem im Klaren gewesen, dass ihr Bekannter in der Lage sei, einen Anschlag zu begehen. Beide Männer sollen auch in die Suche nach einer Waffe eingebunden gewesen sein. Sie hatten unter anderem mit dem Täter zusammen die Uferpromenade der südfranzösischen Stadt abgefahren.

Für einen dritten Beschuldigten forderte die Staatsanwaltschaft anders als in der Anklageschrift keine Strafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Abgesehen von der Suche nach einer Waffe habe es keine Beziehung zum Täter gegeben.

86 Lichtstrahlen erinnern in Nizza an die 86 Opfer des Terroranschlags von 2016
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86 Lichterstreifen erinnern an die 86 Todesopfer des Anschlags

Der Mann, der dem Attentäter die beim Anschlag benutzte Pistole besorgte, sollte laut Staatsanwaltschaft aber ebenso wie die beiden Bekannten 15 Jahre in Haft. Er habe die schlimmste Tat begangen, um die es im Prozess gehe, hieß es im Schlussplädoyer der Anklage. Das Gericht verhängte zwölf Jahre Haft für den Mann.

Betonblöcke und Überwachungskameras

Auch über sechs Jahre später ist die französische Großstadt an der Mittelmeerküste noch gezeichnet. Betonblöcke an öffentlichen Orten erinnern in Nizza heute noch an den Anschlag. Nizzas Bürgermeister Christian Estrosi ließ zudem als Schutzmaßnahme zahlreiche Überwachungskameras installieren. Gleichzeitig blieb die Sinnhaftigkeit der Gesichtserkennung umstritten: Der Täter wurde vor seiner Tat elfmal gefilmt, der Anschlag hatte trotzdem nicht verhindert werden können.

Dass die Staatsanwaltschaft behördliche Fehler eingestand und sich für diese entschuldigte, dürfte die Erwartungen vieler Überlebender und Hinterbliebener übertroffen haben. Das Urteil markiert für sie nun einen wichtigen Schritt. Dennoch hoffen zahlreiche Opfer, dass die juristische Aufarbeitung damit nicht vorbei ist. Denn die Frage nach den Sicherheitsvorkehrungen in Nizza wurde in dem Pariser Verfahren nur am Rande behandelt. Untersuchungen dazu laufen in der Mittelmeer-Stadt noch, zahlreiche Opfer hoffen auf einen zweiten Prozess.