„Falter“: Nehammer wollte „aus politischen Gründen“ abschieben

Der frühere deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) wollte seinem früheren Amtskollegen, dem heutigen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), 2021 helfen, „aus innenpolitischen Gründen“ einen Abschiebeflieger mit Afghanen nach Kabul zu chartern.

Die Aktion sei in letzter Sekunde gestoppt worden, berichteten der „Falter“ und deutsche Medien gestern online. Hintergrund sei der Mord an einer 13-Jährigen in Wien gewesen − begangen durch drei Afghanen.

Der „Falter“, WDR, NDR und die „Süddeutsche Zeitung“ berufen sich auf vertrauliche Dokumente, Depeschen, E-Mails, Botschaftsberichte und Korrespondenzen der deutschen Bundesregierung.

„Provokation des Koalitionspartners in Kauf genommen“

So heißt es laut „Falter“ in einem Bericht der deutschen Botschaft in Wien, man habe Anfang August 2021, als Kabul schon längst unter Beschuss der Taliban war, „aus einem ÖVP-geführten Ressort“ gehört, „dass an eine demonstrative Abschiebung einer größeren Zahl von Afghanen per Charterflug gedacht werde, wobei damals eine Provokation des grünen Koalitionspartners wohl bewusst in Kauf genommen werden sollte“.

Nach dem Mord an der 13-jährigen Niederösterreicherin habe sich die Regierung in Wien unter enormem Druck gefühlt. „AUT (Österreich, Anm.) braucht aus innenpolitischen Gründen Abschiebungen“, heißt es laut „Falter“ in den Akten. Die ÖVP fürchte eine „erstarkende FPÖ“, die ihr nur einen „engen politischen Spielraum“ lasse, habe die deutsche Botschaft in Wien nach Berlin gemeldet. Aus „innenpolitischen Gründen“ wolle Österreich Afghanen abschieben, heißt es auch in einem Artikel der deutschen „tagesschau“.

Nicht ausnahmslos „schwere Straftäter“ an Bord

Der deutsch-österreichische Abschiebeflug hätte am 3. August 2021 um 21.30 Uhr von München starten sollen, heißt es den Berichten zufolge weiter. An Bord waren demnach mehrere Straftäter – verurteilt zum Beispiel wegen gefährlicher Körperverletzung, sexueller Belästigung, Volksverhetzung, Diebstahls mit Waffen, Drogenmissbrauchs –, aber nicht ausnahmslos „schwere Straftäter“, wie es die afghanische Regierung verlangt habe.

Zwei Afghanen aus Wien hätten gefehlt, einer davon R. A., dessen Abschiebung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt habe, so der „Falter“. Und das Flüchtlingsministerium in Kabul habe sein Veto eingelegt. Kurz darauf fiel Kabul in die Hände der Taliban.

Nehammer: Rückführungen kein Geheimnis

Nehammer erklärte in einer Stellungnahme auf Anfrage der APA zu den Vorwürfen: „Österreich hat von Beginn an klargestellt, dass Rückführungen nach Afghanistan so lange stattfinden werden, solange es rechtlich möglich ist. Das war kein Geheimnis und ist unzähligen öffentlichen Statements zu entnehmen.“

Aus dem Innenministerium hieß es in einer Stellungnahme: „Festgehalten wird, dass Österreich stets betont hat, dass solange Rückführungen nach Afghanistan möglich sind, diese auch durchgeführt werden.“ Vonseiten Österreichs sollten mit dem Charterflug alleinstehende Männer nach Afghanistan rücküberstellt werden.

Auch die Grünen verwiesen in einer Stellungnahme gegenüber Ö1 auf die Rechtslage. Abschiebungen dürfen nicht politisch instrumentalisiert werden, die Grünen hätten immer darauf hingewiesen, dass Abschiebungen zu den Taliban rechtlich unmöglich seien. Die Rechtslage sei den handelnden Personen offensichtlich auch bewusst geworden, so die Grünen, da die Abschiebung letztlich nicht stattgefunden habe.