Russische Truppen in Panzern
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Probleme an der Front

Moskau schickt „kreative Brigaden“

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste will Moskau mit Musik und Kultur die Moral seiner eigenen Truppen im Ukraine-Krieg stärken. Es wird jedoch angezweifelt, ob diese Strategie die größten Probleme der russischen Truppen kompensieren kann. So berichten Medien von einer „Katastrophe“ bei der Ausstattung und Ausbildung der Soldaten. Bei der Handhabung der Waffen würden etwa Wikipedia-Anleitungen herangezogen werden.

Vor einigen Tagen seien zwei „kreative Brigaden“ mit Opernsängern, Schauspielern und Zirkusleuten angekündigt worden, die an der Front zum Einsatz kommen sollen, hieß es am Sonntag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums auf Twitter. Die Briten mutmaßen, dass Russland die Kultur- und Unterhaltungsoffensive eng mit ideologisch geprägter politischer Bildung verbindet. Das sei bei den Russen seit Sowjetzeiten eng verflochten.

Gleichzeitig wird in London angezweifelt, dass der Kreml damit die Moral der russischen Truppen tatsächlich stärken kann. Die größten Probleme der Russen seien weiterhin die hohe Zahl an Gefallenen, mangelhafte Führung, Probleme bei der Besoldung und lückenhafte Ausstattung. Bei diesen Herausforderungen könnten die „kreativen Brigaden“ wohl wenig ausrichten, hieß es.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.

Waffenanleitungen auf Wikipedia

Auch die „New York Times“ („NYT“) berichtete von einer „Katastrophe“ bei der Ausstattung der russischen Truppen. So hätten die russischen Soldaten kaum Nahrung, Munition oder Ahnung von den Waffen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Oftmals würden zur Vorbereitung Wikipedia-Anleitungen herangezogen werden. Wenn es Landkarten gebe, dann seien sie teilweise aus den 1960er Jahren.

Eine Untersuchung der „NYT“ auf der Grundlage von Interviews, abgefangenen Daten, Dokumenten und geheimen Schlachtplänen offenbare das „Durcheinander“ in den eigenen Reihen. „Unsere Artillerie beschießt unsere eigenen Soldaten. Die Idioten schießen gegenseitig auf sich. Wir bringen uns hier einfach selbst um“, zitierte die „NYT“ ein Gespräch, das über eine offene Telefonleitung eingesehen werden konnte.

Russischer Soldat an einer nicht definierten Stelle in der Ukraine
IMAGO/TASS/Russian Defence Ministry Press Office
In über acht Monaten hat Russland die Ukraine schwer verwüstet und den südöstlichen Teil zu russischem Gebiet erklärt

Fehlendes Vorwissen, mangelhafte Ausbildung

Nach der von Kreml-Chef Wladimir Putin im September befohlenen Teilmobilmachung hatten zahlreiche Rekruten darüber geklagt, nur unzureichend ausgerüstet und ausgebildet in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geschickt worden zu sein. Vor wenigen Monaten hatten die Männer noch als Fabriksarbeiter oder Lastwagenfahrer gearbeitet.

Ein Sanitäter sei ein ehemaliger Barista gewesen, der nie medizinisch ausgebildet worden war, heißt es weiter. „Das ist kein Krieg. Es ist die Zerstörung des russischen Volkes durch seine eigenen Befehlshaber“, zitierte die „NYT“ aus einem Telefongespräch eines russischen Soldaten außerhalb Moskaus. Nach Beginn der russischen Militäroffensive in der Ukraine im Februar waren Zehntausende Russen aus dem Land geflohen. Eine zweite Fluchtwelle erfolgte, nachdem Putin am 21. September die Mobilmachung von 300.000 Reservisten verkündete.

Schoigu besichtigt Frontstellungen

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat nach Behördenangaben die Positionen des russischen Militärs in der Ukraine besucht. „Der Leiter der russischen Militärbehörde hat die Stationierungsräume der Streitkräfte abgeflogen und die Frontstellungen der russischen Einheiten im Gebiet der speziellen Militäroperation besichtigt“, teilte das Verteidigungsministerium am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal mit.

In Russland wird der Krieg gegen die Ukraine offiziell nur „spezielle Militäroperation“ genannt. Unterlegt ist der Text mit einem Video, das Schoigu im Hubschrauber zeigt. In dem Bericht heißt es weiter, dass sich Schoigu die Berichte der Kommandeure angehört und mit einfachen Soldaten gesprochen habe. Diesen habe er auch für ihre „beispielhafte Pflichterfüllung“ gedankt. Beim Besuch sei es vor allem um die Versorgung der Streitkräfte gegangen.

Zwei Frauen sehen sich im Fernsehen eine Ansprache des russischen Präsidenten Putin an
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Für viele hatte der Krieg bis zur Mobilmachung nur auf TV-Bildschirmen stattgefunden

Artilleriebeschuss in Cherson

Am Sonntag setzte Russland seine Angriffe auf die Ukraine fort. Im Zentrum der kürzlich von den Russen aufgegebenen Stadt Cherson gab es zumindest drei Verletzte durch russischen Artilleriebeschuss, meldete die Nachrichtenagentur Ukrinform. In der südrussischen Region Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine sind nach Behördenangaben ein Mensch getötet und acht Menschen durch Granatenbeschuss verletzt worden.

Ukraine: Weiter Kämpfe um Bachmut

Nach den russischen Angriffen auf die Strom- und Wasserinfrastruktur in der Ukraine ist die Wärmeversorgung in der Hauptstadt Kiew wieder weitgehend hergestellt. Der Frontverlauf im Ukraine-Krieg hat sich in den letzten Wochen nur wenig geändert. In den letzten Monaten finden die schwerste Kämpfe um die östliche Kleinstadt Bachmut statt.

„Über Belgorod und dem Umland war unsere Luftabwehr im Einsatz. Es gibt Folgen auf dem Boden“, teilte der Gouverneur der Region, Wjatscheslaw Gladkow, am Sonntag in seinem Telegram-Kanal mit. Einschläge habe es sowohl im Stadtzentrum als auch in einem nahe gelegenen Zuchtbetrieb für Hühner gegeben. Dort kam auch ein Arbeiter ums Leben, der mit dem Bau einer neuen Stallanlage beschäftigt war. Von den acht Verletzten mussten sieben ins Krankenhaus, einer liegt auf der Intensivstation. Mehrere Wohnhäuser und Autos wurden beschädigt.

Belgorod ist eine der südrussischen Regionen nahe der Ukraine, in denen seit Kriegsbeginn Einrichtungen wie etwa Treibstoff- und Munitionslager durch Explosionen erschüttert wurden. Russland hat wiederholt ukrainische Angriffe dafür verantwortlich gemacht.