Bunte Fentanyl-Tabletten
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Fentanyl-Schwemme

USA bekommen Krise nicht in den Griff

Rund 70.000 Tote haben die USA 2021 allein durch den Missbrauch des synthetischen Opioids Fentanyl verzeichnet. Die meist aus Mexiko geschmuggelten Opioide entwickelten sich längst zur „tödlichsten Drogengefahr für das Land“, so die Drogenbehörde DEA. Zudem bringt die Fentanyl-Schwemme erhebliche Kollateralschäden mit sich. Trotz großer Anstrengungen scheint der Feldzug gegen den Opioidmissbrauch ein Kampf gegen Windmühlen.

Pharmazeutisches Fentanyl wird für die Behandlung starker Schmerzen, etwa bei fortgeschrittenem Krebs, verschrieben. Fentanyl hat eine heroinähnliche Wirkung, wirkt aber etwa 50-mal stärker als Heroin. Daher reichen schon zwei Milligramm, eine Menge, die auf die Spitze eines Bleistifts passt, um potenziell tödlich zu sein.

Illegal hergestelltes Fentanyl wird oft mit anderen Drogen gemischt oder in gefälschte Pillen gepresst. Auf der Straße werden sie unter Namen wie „Dance Fever“ und „Goodfellas“ verkauft. Die Chemikalien dafür stammen meist aus China, gefertigt werden die konsumfertigen Drogen in Mexiko, von wo sie in die USA geschmuggelt werden.

Opfer oft sehr jung

Dort entfalten sie eine fatale Wirkung. Schätzungen zufolge starben 2021 in den Vereinigten Staaten rund 108.000 Menschen an einer Überdosis Drogen, zwei Drittel davon an Fentanyl-Produkten. Der Trend ist im Steigen begriffen, die Todeszahl war um 17 Prozent höher als im Jahr davor. Stark betroffen sind Jugendliche, mitunter schon Kinder.

Von 2019 bis 2021 verdoppelte sich die Zahl der Drogentoten unter den Zehn- bis 18-Jährigen, wie eine aktuelle Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC zeigt. Die Zahl der Überdosisfälle im Zusammenhang mit Fentanyl sprang sogar um 182 Prozent nach oben.

Der Schwemme ist trotz großer Bemühungen momentan nicht beizukommen. Die Behörden beschlagnahmen enorme Mengen, doch der Markt liefert einfach mehr nach. Am Dienstag gab die DEA bekannt, dass sie heuer 50,6 Millionen Pillen und mehr als 4.530 Kilogramm Fentanyl in Pulverform sicherstellte. Das entspreche „mehr als 379 Millionen potenziell tödlichen Dosen“ – genug, „um jeden Amerikaner zu töten“. Die beschlagnahmte Menge verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahr.

Viele Kollateralschäden

Die Schäden der Fentanyl-Schwemme lassen sich nicht nur an der Zahl der Drogentoten ablesen. Sie sind auch in Mexiko zu beobachten, wo die Bandenkriege der Drogenkartelle jährlich ebenso Tausende Todesopfer nach sich ziehen.

Betroffen sind aber auch Menschen, die in den USA aus gesundheitlichen Gründen auf Fentanyl angewiesen sind. Das harte Durchgreifen der US-Arzneimittelgroßhändler hindert viele Apotheken daran, Medikamentenkombinationen herauszugeben, auch wenn diese von Psychiatern verschrieben wurden. Dieser Praxis vorausgegangen sind etliche Gerichtsurteile, die Medikamentenhersteller und -händler eine Mitschuld an der Opioidkrise attestierten.

US-Firmen müssen zahlen

So erklärte sich etwa im November der Supermarktriese Walmart bereit, 3,1 Mrd. Dollar (rund drei Mrd. Euro) Schadenersatz zu zahlen. Dafür sollen zahlreiche Verfahren eingestellt werden, die Bundesstaaten, Bezirke, Gemeinden und einzelne Gruppen angestrengt hatten. Auch die Apothekenketten CVS und Walgreens hatten Milliarden gezahlt, um laufende Verfahren zum Abschluss zu bringen.

Die Betriebe achten daher inzwischen genauestens darauf, dass keine Medikamente abgegeben werden, die ihrem Ruf weiter schaden könnten, selbst wenn die Mittel gar kein Fentanyl beinhalten und benötigt werden. Eine Reuters-Recherche unter Apotheken und Herstellern bestätigte kürzlich die Beschwerden vieler Patientinnen und Patienten.

Gescheiterter „Krieg gegen den Drogenhandel“

Die Opioidkrise begann nach Daten des CDC schon in den Nullerjahren, signifikante Anstiege gab es ab 2011 und 2012. Seither geht die Kurve jedes Jahr weiter nach oben. Für die US-Drogenbehörden ist das vorrangige Ziel, die mexikanischen Kartelle, vor allem Sinaloa und Jalisco, auszutrocknen. Doch diese haben trotz des politischen „Krieges gegen den Drogenhandel“ oft enge Verbindungen zu Behörden und Politik.

Vor wenigen Jahren gab es in den USA Erwägungen, die Kartelle als ausländische Terrororganisationen einzustufen. Das hätte der DEA mehr Kompetenzen bei der Verfolgung gegeben, die in Zusammenarbeit mit Mexikos Behörden auch in grenznahen mexikanischen Städten aktiv ist. Dazu kam es aber nicht, zuletzt wurde der Handlungsspielraum der US-Antidrogenbehörde gar beschnitten.