Medikamente in einer Apotheke
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Knappe Medikamente

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Angesichts der aktuellen Medikamentenknappheit hat diese Woche eine Ankündigung des deutschen Gesundheitsministers Karl Lauterbach aufhorchen lassen: Er will per Gesetz die Preise erhöhen, um so mehr der knappen Medikamente nach Deutschland zu lenken. Darauf angesprochen, verwies das heimische Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at auf Unterschiede im System, bereits gesetzte Schritte und ein Vorhaben. Dabei geht es aber um gegensätzliche wirtschaftliche Interessen.

Dabei dürfte der Druck in den nächsten Wochen noch weiter steigen. Zuletzt betonte etwa der Vertreter der Großhändler, PHAGO-Präsident Andreas Windischbauer, gegenüber ORF.at, aus Angaben von Herstellern sei bereits jetzt ersichtlich, dass ab Jänner Lieferengpässe noch deutlich zunehmen werden.

Für diese Prognose spricht auch, dass China seine Null-Covid-Politik zuletzt abrupt aufgab und seitdem dort die Infektionen dramatisch ansteigen – und damit der Bedarf an Medikamenten. Das Land ist neben Indien aber der wichtigste Produzent für die Einzelbestandteile vieler Medikamente. Die Exporte werden angesichts des Bedarfs im eigenen Land wohl zurückgehen.

Gleichmäßige Verteilung an Apotheken

Wegen des aktuellen Lieferengpasses organisiert der Pharmagroßhandel eine gleichmäßige Verteilung von Antibiotika an die heimischen Apotheken. Heißt: Apotheken können nicht unbeschränkt bestellen, dafür werden alle versorgt. Damit sollen auch Hamsterkäufe durch gesunde Personen verhindert werden, wie es sie laut dem Verband pharmazeutischer Industrie (Pharmig) bereits gibt. Diese hätten aber die Situation verschärft, und dem müsse man gegengesteuern.

In dieser Ausgangslage klingt es jedenfalls logisch, wenn ein Land versucht, die Importe durch das Bezahlen eines höheren Preises zu erhöhen. Denn eine gemeinsame europäische Beschaffung – wie das bei den CoV-Impfstoffen geschah – gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die nationalen Gesundheitssysteme und damit auch die jeweiligen Medikamentenpreise derzeit. Hier will sich bisher auch kein Land wirklich „dreinreden“ lassen, sprich, Kompetenzen an Brüssel delegieren.

Ärztin zu Arzneimangel: „System ist krank“

Allgemeinärztin Naghme Kamaleyan-Schmid beschreibt die Ursachen und Folgen der aktuellen Medikamentenknappheit in Österreich. Vorhaltereserven fehlten an allen Ecken und Enden im Gesundheitssystem.

Zauberwort oder rotes Tuch

Eine schnelle Lösung ist derzeit nicht in Sicht – umso mehr, als es sich um ein Strukturthema handelt. Deutschland, wird im Gesundheitsministerium betont, verfüge über ein ganz anderes System bei der Preisbildung. Dort seien die Preise an die Wirkstoffe gekoppelt – Stichwort Wirkstoffverschreibung. In Österreich „ist die Preisfestsetzung an das jeweilige Produkt“ gebunden. In beiden Fällen gibt es staatliche Vorgaben bzw. eine staatliche Preiskommission.

Dass Ärztinnen und Ärzte statt bestimmter Medikamente Wirkstoffe verschreiben, das will Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) – wie einige seiner Amtsvorgänger – seit Längerem. Dann wäre es möglich, dass Apotheken selbstständig etwa ein Generikum mit dem gleichen Wirkstoff abgeben.

Derzeit kann das eine Apotheke nur nach telefonischer Rücksprache mit dem Arzt oder der Ärztin machen, die das Rezept ausgestellt haben. Das kostet Zeit, die – gerade in Zeiten von Erkrankungswellen wie derzeit – fehlt. Wenn mehrere Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff eingesetzt werden, kommt es weniger leicht zu einem Engpass, so die Logik.

Verhärtete Fronten

Ähnlich wie bei Lieferengpässen 2019 kocht auch jetzt angesichts der Medikamentenknappheit ein Konflikt um die Wirkstoffverschreibung hoch, der seit vielen Jahren besteht. Entsprechend verhärtet sind die Fronten: Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), Ministerium, Patientenanwaltschaft und Apotheker sind für diese Systemumstellung, Ärztekammer und Pharmaindustrie – auch die Generikaproduzenten – dagegen.

Laut Rauch ist Österreich das einzige EU-Land, in dem es die Wirkstoffverschreibung noch nicht gibt. Eine entsprechende Verordnung hatte Rauch im September angekündigt. Es gibt sie freilich noch nicht.

Preisanträge bei Sozialversicherung

Kurzfristig gibt es nur eine Schraube, an der gedreht werden kann: Die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente, deren Kosten von den Kassen übernommen werden, werden im niedergelassenen Bereich von den Sozialversicherungsträgern festgelegt. Pharmafirmen können laut Gesundheitsministerium Preiserhöhungen beantragen. Das geschieht laut Ministerium auch „laufend“. Die Sozialversicherung prüfe Anträge von Pharmaunternehmen auf Preiserhöhungen dann „insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit“.

Und das Ministerium verweist auf bereits umgesetzte Maßnahmen gegen Lieferengpässe. So wird bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ein Exportverbot verhängt, wenn diese knapp zu werden drohen. Damit werden Parallelexporte in Länder mit höherem Preisniveau für diese Medikamente verhindert.

Keine schnelle Lösung

Die Frage in Zeiten wie diesen ist freilich zuallererst, was getan werden kann, um mehr Medikamente im Land zur Verfügung zu haben. Vom gemeinsamen europäischen Einkauf über die Rückholung nach Asien ausgelagerter Medikamentenproduktion bis zu einem nationalen Notlager für Medikamente gibt es viele Ideen. Und natürlich sind die Medikamentenpreise ein wichtiger Faktor bei Lieferengpässen.

Aus Sicht des deutschen Gesundheitsministers Lauterbach wurde bei dem für das Gesundheitssystem wesentlichen Kostenfaktor Medikamente in den vergangen Jahrzehnten zu stark auf „Ökonomisierung“, sprich: Drücken der Kosten, geachtet, wie er laut „Süddeutscher Zeitung“ betonte. Das „Hauptsache-billig-Prinzip“ gefährde die Versorgung, sekundiert die deutsche Pharmabranche. Die Kassen sehen dagegen ein „beachtliches Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen“. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erwartet übrigens auch von Lauterbachs Gesetzesplänen kurzfristig keine große Wirkungen.