Kapitol der Vereinigten Staaten
Getty Images/ak_phuong
Neuer US-Kongress

Chaos im Repräsentantenhaus droht

Der US-Kongress tritt am Dienstag erstmals in neuer Konstellation zusammen: Mit der Machtübernahme der Republikaner im Repräsentantenhaus droht dem demokratischen Präsidenten Joe Biden heftiger Gegenwind – und den Konservativen selbst parteiinterne Querelen. Bis zuletzt herrschte etwa keine Einigkeit darüber, wer das renommierte Amt des Parlamentssprechers übernehmen soll. Das könnte unangenehme Folgen haben.

Kevin McCarthy, der Chef der Konservativen in der Kongresskammer, will am Dienstag fast zwei Monate nach den Midterms zum „Speaker of the House“ gewählt werden. Üblicherweise handelt es sich dabei um eine „zeremonielle Übung ohne große Überraschungen“, schreibt die „New York Times“. Nun aber werde „ein Wirbel des Chaos“ befürchtet, „den es im Haus seit einem Jahrhundert nicht mehr gegeben hat“. Es sei „alles andere als sicher“, dass McCarthy das dritthöchste Amt der USA einnimmt, heißt es auch bei Fox News.

Der Grund? Bei seiner womöglich ersten Amtszeit als Speaker habe McCarthy eine „historisch kleine Mehrheit“ und sei im „Vergleich zu anderen Mitgliedern des Repräsentantenhauses, die Speaker werden wollten, historisch unbeliebt“, bringt es CNN-Kommentator Harry Enten auf den Punkt. Vor allem der Rechtsaußenflügel der Partei könnte McCarthy zum Verhängnis werden. Einige Vertreter hatten ihm bis zuletzt die Unterstützung verweigert und sich stattdessen für den ultrarechten Gegenkandidaten Andy Biggs starkgemacht.

Kevin McCarthy
IMAGO/Rod Lamkey
Der Republikaner Kevin McCarthy muss um seine Kür zum „Speaker of the House“ zittern

McCarthy muss zittern

Dabei kann sich der Abgeordnete aus dem Bundesstaat Kalifornien kaum Widersacher leisten. Bei den Midterms im November hatten die Republikaner nur eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen – die von vielen erwartete „rote Welle“ blieb aus. Die Republikaner stellen künftig 222 der 435 Abgeordneten, das liegt nur knapp über der Mehrheit von 218 Stimmen.

Und 218 Stimmen bräuchte McCarthy in der Regel auch, um Vorsitzender zu werden und in Nancy Pelosis Fußstapfen zu treten. Die hat er nach derzeitigem Stand nicht – zumindest fünf Republikaner haben sich im Vorfeld der Wahl gegen ihn ausgesprochen. Schon im Jahr 2015 scheiterte McCarthy bei der Wahl zum Speaker am Widerstand der eigenen Parteikolleginnen und -kollegen.

Grafik zeigt die Sitzverteilung im US-Senat und US-Repräsentantenhaus nach den Kongresswahlen 2022
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: dpa/CNN

„Seit dem Demokraten John Nance Garner im Jahr 1931 hatte kein potenzieller erstmaliger Sprecher des Repräsentantenhauses eine so knappe Mehrheit“, heißt es bei CNN weiter. Für den 57-Jährigen sind es also denkbar schlechte Voraussetzungen. Einzig wenn ausreichend Abgeordnete am Tag der Wahl zu Hause bleiben oder statt für einen Kandidaten bloß „anwesend“ stimmen, kann die Schwelle für eine Mehrheit auch unter 218 Stimmen sinken.

Blockade im Repräsentantenhaus befürchtet

Die Sprecherwahl steht am Dienstag jedenfalls ganz oben auf der Tagesordnung. Ohne Sprecher kann die Kammer ihre Arbeit nämlich nicht aufnehmen, da dieser auch dafür zuständig ist, die Abgeordneten zu vereidigen. Sollte McCarthy – der Ex-Präsident Donald Trump zu seinen Unterstützerinnen und Unterstützern zählt – beim ersten Wahlgang keine Mehrheit erhalten, dann folgt ein weiterer. Das kann so oft wiederholt werden, bis ein Speaker die Mehrheit bekommt. Vor 100 Jahren kam es zuletzt zu mehreren Wahlgängen. Im Jahr 1855 bzw. 1856 zog sich das Prozedere gar über zwei Monate und weit über 100 Wahlrunden.

Der rechte Parteiflügel weiß um seine Macht in der Frage und setzte McCarthy zuletzt deshalb deutlich unter Druck. Dass McCarthy etwa der Ukraine keinen „Blankoscheck“ ausstellen wolle, führten Beobachterinnen und Beobachter auf die heikle Lage innerhalb der Partei zurück. So ist es auch zu erklären, dass er Ultrakonservativen wie der Abgeordneten Marjorie Taylor Greene und dem Abgeordneten Paul Gosar wichtige Ausschussposten versprach.

Die Demokraten hatten Greene unter Verweis auf rassistische und antisemitische Äußerungen 2021 von der Ausschussarbeit ausgeschlossen. Gosar hatte im selben Jahr ein Video verbreitet, das Comicszenen enthielt, in denen er als Superheld die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und den demokratischen Präsidenten Biden attackiert. Unklar ist indes auch, ob der jüngst ins Visier der Justiz geratene Republikaner George Santos tatsächlich als Abgeordneter vereidigt wird.

Untersuchungsausschüsse als Druckmittel

Doch welche Möglichkeiten bleiben den Republikanern mit der knappen Mehrheit im Repräsentantenhaus eigentlich? Klar ist: Mit eigenen Gesetzesvorstößen ist ob erwarteter Blockaden des von den Demokraten gehaltenen Senats nicht zu rechnen. Vielmehr können die Republikaner aber parlamentarische Untersuchungen gegen Biden und dessen Regierung einleiten.

Themen werden unter anderem der chaotische Truppenabzug aus Afghanistan im Jahr 2021, die Lage an der Grenze zu Mexiko und eine angebliche politische Instrumentalisierung des Justizministeriums und der Bundespolizei FBI sein.

US-Präsident Joe Biden und Hunter Biden
AP/Manuel Balce Ceneta
Joe Biden mit Sohn Hunter Biden

Hunter Biden im Visier der Republikaner

Einmal mehr will die Partei auch gegen Bidens Sohn Hunter vorgehen. Konkret wollen sie die geschäftlichen Aktivitäten Hunter Bidens untersuchen. Die Republikaner werfen ihm vor, die wichtige politische Position seines Vaters für Geschäfte in der Ukraine und in China ausgenutzt zu haben.

Einige Abgeordnete der Republikaner fordern sogar Amtsenthebungsverfahren gegen Joe Biden und Teile seines Kabinetts. Besonders im Visier ist dabei der für die Grenze zuständige Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas. Doch selbst wenn es zu „Impeachments“ kommen sollte, würden diese letztlich im von den Demokraten kontrollierten Senat, der am Dienstag ebenso zusammentritt, scheitern.

Biden droht Gegenwind

Die Mehrheit im Repräsentantenhaus ermöglicht es den Republikanern aber freilich, die Arbeit der Biden-Regierung zu behindern. Die Konservativen können in der Kammer nämlich alle Reformvorhaben Bidens blockieren. Bereits in seinen beiden ersten Amtsjahren hatte der 80-Jährige erhebliche Schwierigkeiten bei seiner Reformagenda, weil die Republikaner im Senat über eine Sperrminorität verfügen.

Der Verlust des Repräsentantenhauses stellt für Biden somit eine weitere Hürde dar. Reformen des Abtreibungs- oder Waffenrechts scheinen aussichtslos. Bei vielen anderen Gesetzestexten, etwa den jährlichen Haushaltsgesetzen, einigen sich die Parteien für gewöhnlich auf Kompromisse, auch wenn es dabei regelmäßig zu erheblichen Konflikten kommt.

Senatsmehrheit für Demokraten entscheidend

Dass der Senat nach den Midterms vom November weiterhin in der Hand der Demokraten bleibt, ist für Biden von großer Bedeutung. Hätten die Republikaner die Kontrolle über beide Kongresskammern gewonnen, hätten sie eine Reihe von Gesetzen verabschieden können, die Biden dann mit einem Veto hätte verhindern müssen. Jetzt könnten die Demokraten Gesetzesinitiativen aus dem von den Republikanern kontrollierten Repräsentantenhaus schon im Senat stoppen.

Insbesondere für die Besetzung von Posten in der Regierung und der Justiz ist die Senatsmehrheit aber bedeutend. Der Präsident nominiert etwa die landesweit eingesetzten Bundesrichterinnen und -richter. Vom Senat müssen die Personalia dann bestätigt werden. Möglich ist auch, dass Biden nochmal einen vakant werdenden Posten am US-Supreme-Court neu besetzen könnte.

Doch auch die Mehrheit der Demokraten im Senat ist denkbar knapp: Sie stellen 51 der 100 Senatorinnen und Senatoren. Für Aufsehen sorgte zuletzt auch die Senatorin Kyrsten Sinema. Sinema wollte die Demokraten verlassen und fortan als unabhängige Senatorin agieren. Noch ist unklar, inwiefern sich das Abstimmungsverhalten der zentristisch auftretenden Sinema, die in der Vergangenheit immer wieder Gesetzgebungsprojekte der Demokraten blockiert hatte, ändern könnte. Mit Bernie Sanders und Angus King gibt es bereits zwei unabhängig auftretende Senatoren, die allerdings meist mit den Demokraten abstimmen und diesen deshalb zugerechnet werden.